Название | Die letzte Blüte Roms |
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Автор произведения | Peter Heather |
Жанр | История |
Серия | |
Издательство | История |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783534746620 |
Die Quellen zeigen auch, wie sich viele römische Adelige und aristokratische Großgrundbesitzer politisch positionierten, um die internen Abläufe des Systems so für sich zu nutzen, dass sie steuerlich besonders gut dastanden. Alle wichtigen Informationen wurden auf lokaler Ebene verzeichnet. Die Stadträte verfügten über Register, die den gesamten Grundbesitz innerhalb des Territoriums der Stadt enthielten. Beigefügt war jeweils eine Erklärung des Eigentümers über den angenommenen Jahreswert der Überschüsse, die das jeweilige Grundstück erzeugen konnte, mitsamt der Steuerschuld, die sich daraus ergab. Folglich war die örtliche Neubewertung, die alle fünfzehn Jahre stattfand, von immenser Bedeutung. Und wer ein besonders gutes Verhältnis zu den Beamten hatte, die mit diesem Prozess betraut waren – das waren, wie wir gesehen haben, in der Regel pensionierte Bürokraten, die oftmals auch aus der Gegend stammten –, dessen Grundstück wurde nicht selten steuerlich besonders niedrig bewertet. Aus eben diesem Grund genossen diese Beamten in ihren lokalen Gemeinden einen enormen Einfluss, und man darf durchaus annehmen, dass sie diesen Einfluss in vollem Umfang zu nutzen wussten.
Was es genau bedeutete, einen entsprechenden Beamtenposten zu bekleiden, wird aus einigen konkreten Fallstudien deutlich. Der Aufstieg der ägyptischen Familie Apion vom lokalen zum kaiserlichen Adel im 5. Jahrhundert beruhte beispielsweise ganz eindeutig auf der neuen Rolle, die die Dynastiegründer Strategios I. und Apion I. in der kaiserlichen Steuerverwaltung spielten. Ebenso beruhte die fortgesetzte Bedeutung der Familie im 6. Jahrhundert zumindest im Gau Oxyrhynchos darauf, dass sie gegenüber den zentralen Behörden Rechenschaft abzulegen hatte über die Besteuerung eines großen Teils der vom gesamten Gau geschuldeten Summe – eine zweifellos recht lukrative Aufgabe.37
Das System, nach dem die Steuern tatsächlich bezahlt wurden, bot ebenfalls interessante Betrugsmöglichkeiten. Die Steuern wurden im Laufe eines Jahres in drei getrennten Raten bezahlt, und wer besonders gut vernetzt war, der setzte seinen ganzen Einfluss dafür ein, diese Zahlungen hinauszuzögern, indem er zum Beispiel auf ungünstige Wetterbedingungen verwies. Es gab einen guten Grund dafür, so wenig wie möglich direkt zu bezahlen und die Auszahlung der ausstehenden Steuerschuld mit allen Mitteln so weit wie möglich hinauszuschieben: Die Kaiser gerierten sich gerne als Wohltäter, und um sich bei den politisch einflussreicheren Landbesitzern im Reich besonders beliebt zu machen, erließen sie regelmäßig Steueramnestien, bei denen alle derzeit in den Büchern verzeichneten Steuerschulden erlassen wurden. Sowohl auf städtischer Ebene, wo tatsächlich Bargeld floss, als auch auf den höheren Hierarchieebenen, wo die ausstehenden Steuerrückstände kontrolliert wurden, so gut vernetzt zu sein, dass sich die jährlichen Zahlungen so weit wie möglich minimieren ließen, war ganz offensichtlich strategisch von hoher Priorität.38
Mit anderen Worten: Die Neuausrichtung des römischen Steuersystems, die den Ausbau des Militärapparats finanzieren sollte, führte unter den Eliten zu einer komplett neuen Organisation ihrer politischen Prioritäten: Die Beteiligung im Stadtrat verlor an Attraktivität, stattdessen drängten die Eliten in den kaiserlichen Dienst. So entstand innerhalb des Imperiums eine ganz neue Personalstruktur, die um einen kolossalen Fluss fiskalisch erzeugten Reichtums herum organisiert war. Detaillierte Aufzeichnungen darüber existieren keine, aber es erscheint immerhin plausibel, dass der Kaiser am oberen Ende und die lokalen Machthaber weiter unten in der Hierarchie die Möglichkeiten der maximalen politischen Einflussnahme manipulierten – ganz so wie König Johann Ohneland und später sein Sohn Heinrich III. im England des 13. Jahrhunderts. Dort wurde über alle Summen, die die Groß- und Kleingrundbesitzer aus diversen Gründen der Krone schuldeten, Buch geführt, aber eine Analyse im Jahresvergleich zeigt, dass die Summe, die ein Individuum dann tatsächlich zu zahlen hatte, zu einem erheblichen Teil von politischem Kalkül abhing. Personen, die beim König oder seinen hohen Beamten wohlgelitten waren, mussten selbst dann, wenn sie eigentlich gewaltige Schulden hatten, nur geringe Summen zahlen. Wer es sich aber mit der Obrigkeit verscherzte, von dem verlangte der Staat, dass er seine Schulden sofort komplett beglich.39
Das Römische Reich – und sogar nur die östliche Hälfte ab 476 – war viel größer als das mittelalterliche Königreich England, wo es nach 1066 nur rund 2000 bedeutende Grundbesitzer-Familien gab. Die römischen Kaiser hatten somit an einem viel kleineren Anteil der Elite ihres Reiches ein direktes Interesse als Johann Ohneland; stattdessen hing das Schicksal vieler eher von den zwischengeschalteten kaiserlichen Beamten ab. Aber die Grundprinzipien waren hier und da durchaus vergleichbar. Die Besteuerung der besonders wohlhabenden und gut vernetzten Bürger ist stets eine Angelegenheit von großer politischer Relevanz, und das neue Steuersystem des späten Kaiserreichs sorgte dafür, dass sich der Fokus der lokalen politischen Eliten darauf verlagerte, sich so zu vernetzen, dass man auf möglichst effiziente Weise durch das neue System navigieren konnte.
So sah, grob umrissen, das politische System des oströmischen Kaiserreichs aus, das Justinian 527 erbte. Das Berufsbild des Kaisers hatte noch weitere wichtige Komponenten, insbesondere war er für die Aufrechterhaltung der religiösen Orthodoxie und der für die civilitas notwendigen Strukturen zuständig, doch tendenziell zeigte sich vor allem auf dem Schlachtfeld, ob ein kaiserliches Regime Bestand haben würde oder dem Untergang geweiht war. In ideologischer Hinsicht war der militärische Sieg der ultimative Härtetest der Legitimität des Monarchen. Die Armeen des Kaisers konnten nicht verlieren, wenn der göttliche Schöpfer des Kosmos seine Hand über ihren Dienstherrn hielt, doch das tat er nur, falls der jeweilige Kaiser wirklich für seine Aufgabe geeignet war. Jede militärische Niederlage rief daher sofort Gegner des Kaisers auf den Plan, die seine Legitimität anzweifelten, und heizte unter den Mächtigen die immerwährende politische Diskussion an, was immer wieder in handfeste Verschwörungen mündete. Zudem konnte das Regime sich durch militärische Erfolge vor äußeren und inneren Feinden schützen. Doch die immensen Kosten für den ausgebauten und umgestalteten Militärapparat der römischen Spätantike sorgten zugleich dafür, dass die fiskalischen und administrativen Strukturen des Staates komplett neu organisiert wurden, und das veränderte von Grund auf die Art und Weise, wie sich die Elite des Imperiums politisch engagierte.
Der Erfolg oder Misserfolg jedes einzelnen Kaisers hing davon ab, inwieweit er in der Lage war, diese Systeme und die darin vorherrschenden Bedingungen zu nutzen, um effektiv auf die Bedrohungen und die Chancen zu reagieren, die sich während seiner Herrschaft ergaben. Die Expansionspolitik von Kaiser Justinian testete die Strukturen des Reiches bis an die Grenzen ihrer Belastbarkeit aus – und wie viele fanden, sogar darüber hinaus. Bevor wir uns jedoch mit diesem Thema befassen können, müssen wir zunächst einmal die politischen Prozesse untersuchen, die Justinian auf den