Название | Säkulare und religiöse Bausteine einer universellen Friedensordnung |
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Автор произведения | Christian J. Jäggi |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783828873438 |
So logisch kohärent der diskursethische Ansatz erscheint – es stellt sich die Frage, inwieweit er als kulturübergreifender Begründungsprozess für die Entwicklung global geltender Normen praktikabel ist. Dazu ist eine zentrale Bedingung notwendig: Ein gleichberechtigter, grenzüberschreitender Diskurs setzt entsprechende Diskursregeln und damit verbunden für alle zugängliche, grenz- und kulturüberschreitende Institutionen voraus. Fehlen diese, degeneriert der Diskurs zu einem Kampf hegemonialer Interessen – und genau dies scheint im Moment in der Weltpolitik abzulaufen.
Als Diskurs- und zugleich Handlungsprinzipien für einen egalitären, nach den Bedingungen der Diskursethik ablaufenden, globalen Kommunikationsprozess nennt Ekardt (2016:213) Würde bzw. Achtung, Unparteilichkeit und nach vorne gerichtete Offenheit im Diskursprozess, also die stets vorhandene Möglichkeit eines weiteren Diskurses.
Ähnlich wie Arens hat Ekardt (2016:233) Einwände gegen die ausschliesslich formelle Ausrichtung der – zumindest habermas’schen Version der – Diskursethik formuliert: „Die klassische Diskursethik [ist] jedenfalls in ihrer habermasianischen Variante … latent inhaltsleer insofern, als sie als universales Richtigkeitskriterium für Diskursergebnisse vor allem das Unparteilichkeitsprinzip fokussiert (also das Prinzip allgemeiner Zustimmungsfähigkeit)“. Dieser Einwand lässt sich mit der Verankerung des Diskurses im Autonomieprinzip und mit einer engen Verknüpfung mit den Menschenrechten zumindest teilweise entkräften.
Zweifellos ist Arens (1992:66) zuzustimmen, wenn er verlangt, dass die Diskursethik nicht isoliert als ein idealistischer Ansatz gesehen werden sollte, sondern in eine Demokratietheorie zu integrieren ist, die auf den Menschen- und Grundrechten basiert, aber immer auch entwicklungsfähig ist. Ebenso hat eine Diskursethik inhaltlich auf der Entwicklung individueller und kollektiver Identität und Solidarität zu beruhen – ja Arens (1992:69) spricht sogar von einer „kommunikativen Gegenmacht“. Auch Hugo Assmann (1993:12) betont die Bedeutung der Solidarität in einer ernst zu nehmenden Diskursethik. So müsse aus einer Weltperspektive eine „Inklusionslogik“14 entwickelt werden, welche radikal aus einer Solidaritätsperspektive argumentiere und sich auch nicht scheue, vorausgesetzte Rationalitätsbegriffe und -konzepte aufzubrechen. Das gelte insbesondere auch für die betriebswirtschaftliche „Exklusionslogik“ der Marktwirtschaft und des Kapitalismus.
In ihrem Plädoyer für eine abwägende Demokratie („deliberative democracy“) hat Cristina Lafont (2011:152) die Frage gestellt, was eigentlich so schlecht an einer autokratischen Regierung sei, in welcher Experten einfach bessere Entscheidungen treffen könnten als andere. Ihre Antwort: Die Illegitimität der Annahme, dass diese Experten von der Verpflichtung befreit werden, diejenigen zuvor um eine Erlaubnis zu fragen, bevor sie für diese Entscheidungen treffen. Demgegenüber beruht die abwägende Demokratie darauf, durch eine solche vorgängige Ermächtigung der Entscheidungsträger durch die von politischen Entscheiden Betroffenen zuvor zu legitimieren. Allerdings ist diesem theoretischen Konzept die politische Realität entgegenzuhalten, welche weit weniger auf einer prinzipiellen Ermächtigung der Regierenden aufgrund von grundsätzlichen Vorüberlegungen der Wählenden beruht, sondern im besseren Fall als persönlicher Sympathietest und im schlechteren Fall als demagogisches und mediales Spektakel. Nicht nur in Bezug auf die Reflexion kommt die deliberative Demokratie an Grenzen, sondern auch hinsichtlich des Verständnisses vieler Menschen für komplexe politische, soziale und wirtschaftliche Zusammenhänge. Das zeigt sich nicht nur bei Wahlen, sondern auch bei Abstimmungen: Zur Frage, ob ein Fahrradständer für einige Tausend Euro aufgestellt werden soll oder nicht, hat jeder eine Meinung, aber von komplexen fiskalischen, währungspolitischen oder rechtlichen Fragen sind viele Stimmbürgerinnen und Stimmbürger schlicht überfordert.
Angesichts der wachsenden Komplexität politischer und wirtschaftlicher Zusammenhänge könnte ein gangbarer Weg darin bestehen, zwischen grundsätzlichen Entscheidungen und regulatorischen Grundmechanismen auf der einen Seite und Detailentscheiden auf der anderen Seite zu differenzieren. Erstere sollten durch gesamtgesellschaftliche Diskurse legitimiert werden, letztere durch punktuelle Entscheide der Betroffenen in Zusammenarbeit mit den zuständigen Stellen.
Demokratischer Weltstaat als Fortsetzung der Weltethos-Idee
Robert W. McGee (2012:23) hat in seinem Buch über Steuervermeidung und Steuerflucht darauf hingewiesen, dass die Demokratie in den Augen einiger Gelehrter zum neuen Gott geworden sei. So erscheine jeder demokratisch abgestützte Entscheid als notwendig und richtig, und Kritik an der Demokratie werde nicht selten als blasphemisch empfunden. Doch das Problem ist, dass eine ausschliesslich auf die Interessen der eigenen Community abgestützte Ethik nicht nur ganze Menschengruppen exkludiert, sondern auf direktem Weg zu einer – ethnisch oder religiös geprägten – Standes- oder Klassengesellschaft führt. Wenn – wie McGee (2012:25) als Beispiel erwähnt – keine moralische Verpflichtung für Muslime in einem islamischen Staat für die Bildung nicht muslimischer Kinder – also zum Beispiel für Kinder jüdischer, christlicher oder atheistischer Familien – besteht, verstärkt sich die Desintegration oder gar Segregation der Gesellschaft. Oder wenn in einer säkularen Gesellschaft Menschen ohne gültige Aufenthaltsbewilligung – so genannte Sans-Papiers – weder Krankenkassenleistungen beziehen noch ihre Kinder zu Schule schicken können, führt das nicht nur zu einer Auflösung des gesellschaftlichen Zusammenhalts, sondern es entstehen eigentliche soziale Ghettos. Kaum jemand dürfte bezweifeln, dass dies weder staatspolitisch erwünscht noch bildungspolitisch gerecht ist. Von daher gilt es, Lösungen zu suchen, die einerseits alle Kinder unabhängig vom rechtlichen Status ihrer Eltern oder deren Religion gleich behandeln, anderseits aber auch allen Eltern ermöglichen, ihre Kinder gemäss ihrer Glaubensüberzeugung zu erziehen – also auf Wunsch an eine konfessionell oder weltanschaulich ausgerichtete Schule zu schicken oder an eine konfessionell neutrale Schule.
Aus der Sicht eines Staates ist – wie Eabrasu (2012:121) zu Recht betont – sowohl Steuerflucht als auch Sezession illegal. Beide widersprechen im Grunde dem territorialen Anspruch von Staat und Regierung. Vielfach die einzige Möglichkeit, sich diesem Anspruch zu entziehen, ist die Emigration15. Dieser territoriale Anspruch gründet auf ganz konkreten individuellen Rechten, die jedoch auf ein bestimmtes geografisches Gebiet – nämlich innerhalb der jeweiligen Staatsgrenzen – begrenzt sind. Das ist im Grunde eine irrationale Situation, nicht nur aufgrund der zunehmenden Mobilität und Migration, sondern auch, weil damit auch die territorial sehr unterschiedlich verteilten Ressourcen – von Wasser, über die klimatischen Bedingungen bis hin zu Rohstoffen und Energieträgern – zu unterschiedlichen Rechtsansprüchen der Menschen führen. Entscheidend für die Gewährung oder Verweigerung von Rechten ist lediglich, in welchem Land jemand geboren ist, über welche Staatszugehörigkeit die Eltern verfügen oder – pointierter gesagt – wo der Zufall oder die historische Entwicklung Grenzen gezogen hat und wo nicht.
Michael J. Sandel (2015:121) kommt in seinem Buch über Moral und Politik zum Schluss, dass es zwischen dem Denken fortschrittlicher Liberalen Anfang des 20. Jahrhunderts und der Situation im 21. Jahrhundert eine wichtige Parallele gibt. So „schwappten“ Anfang des 20. Jahrhunderts „wie heute neue Geschäfts- und Kommunikationsformen über vertraute politische Grenzen und schufen Netze wechselseitiger Abhängigkeiten zwischen Menschen an entfernten Orten“. Was damals Eisenbahnen, Telegrafen und landesweite Märkte waren, seien „heute Satellitensysteme, CNN, Cyberspace und globale Märkte – Instrumente, welche die Menschen miteinander verbinden, ohne sie zwangsläufig zu Nachbarn, Mitbürgern oder Teilnehmern einer gemeinsamen Unternehmung zu machen“ (Sandel 2015:121). Wenn man die damalige Situation auf heute übertrage, müsse man – ähnlich wie damals durch die Kultivierung des nationalen Staatsbürgertums als Antwort auf die nationalen Märkte – heute auf die globale Wirtschaft und die zunehmende Vernetzung reagieren, „indem man eine globale Autoritätsausübung stärkt und einen entsprechenden Sinn für globales oder kosmopolitisches Staatsbürgertum kultiviert“ (Sandel 2015:121).
So verlangte etwa die Commission on Global Governance eine „grössere Autorität für internationale Institutionen“ und eine „breite Akzeptanz für eine globale staatsbürgerliche