Säkulare und religiöse Bausteine einer universellen Friedensordnung. Christian J. Jäggi

Читать онлайн.
Название Säkulare und religiöse Bausteine einer universellen Friedensordnung
Автор произведения Christian J. Jäggi
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783828873438



Скачать книгу

71) festgestellt: „Da aber heute das allgemeine Wohl der Völker Fragen aufwirft, die alle Nationen der Welt betreffen, und da diese Fragen nur durch eine politische Gewalt geklärt werden können, deren Macht und Organisation und deren Mittel einen dementsprechenden Umfang haben müssen, deren Wirksamkeit sich somit über den ganzen Erdkreis erstrecken muss, so folgt um der sittlichen Ordnung willen zwingend, dass eine universale politische Gewalt eingesetzt werden muss“. Und Papst Franziskus nahm 2015 in der Enzyklika Laudato Si die Forderung nach einer politischen Weltautorität wieder auf und bekräftigte sie (vgl. LS 175).

      Deshalb braucht es – wie Heimbach-Steins (2016:93) zu Recht bemerkte – eine globale Ordnung nicht nur von Eigentums- und Nutzungsrechten, sondern auch des Zugangs aller zu den lebensnotwendigen Ressourcen. Das gilt auch für soziale Leistungen, etwa in Form eines weltweiten garantierten Rechts auf ein existenzsicherndes Grundeinkommen.

      In Anlehnung an Peter Singer hat Heather Widdows (2011:154) die These vertreten, dass Nähe und Distanz moralisch nicht signifikant sind und die Zahl der Menschen, welche in einer bestimmten Situation Hilfe leisten können, für die ethisch-moralische Bewertung einer Hilfeleistung irrelevant ist. Das bedeutet: Die Bewertung meines Verhaltens ist nicht davon abhängig zu machen, wie viele andere Menschen an meiner Stelle helfen könn(t)en oder nicht. Eine solche Haltung hat gravierende Folgen: Eine Verpflichtung zu sozialer und wirtschaftlicher Hilfe ist nicht von der geografischen Nähe oder sozialen Distanz zum Hilfebedürftigen abhängig, sondern davon, ob dieser Hilfe braucht oder nicht. Anders gesagt: Jeder Mensch – egal wo er wohnt – ist zu Hilfe und Solidarität verpflichtet, aber diese Hilfe muss auch koordiniert werden, sonst bleibt sie chaotisch, impressionistisch und punktuell. Und das kann letztlich nur eine demokratische Weltregierung leisten.

      Auch aus religiöser Sicht ist es mehr als berechtigt, den Aufbau eines demokratischen Weltstaates als Postulat zu formulieren. So folgerte etwa Frank Crüsemann (2003:143) mit Blick auf die Friedensthematik: „Wie Frieden und Recht, Frieden und Gerechtigkeit zusammengehören, kann nicht ein für alle Mal entschieden werden, so lange nicht, wie die Welt nicht wie ein wirklicher Rechtsstaat organisiert ist, also die Macht nicht dem Recht unterworfen ist, demokratisch und kontrollierbar, durchsichtig und überprüfbar “.

      Eng verbunden mit der Frage eines Weltstaates – und eine Voraussetzung dazu – ist die Forderung nach einer „globalen Staatsbürgerschaft“ („global citizenship“). Robin S. Seelan (2015:141) bezeichnet eine solche in der heutigen Zeit als „unvermeidbar und unerlässlich“. Sie ist verbunden mit einer Orientierung und einem Weltbild, welche die gesamte Menschheit im Blick haben. Zu Recht hat Seelan (2015:141) darauf hingewiesen, dass viele Religionen versucht haben, die Grundidee der Gemeinsamkeit aller Menschen, der Universalität und der Brüderlichkeit unter den Völkern ins Zentrum ihrer Heilsordnung zu stellen. Aber gerade auch in religiösen Kontexten wurde immer wieder versucht, eine Grenze zwischen den eigenen Gläubigen (Ingroup) und den übrigen Menschen (Outgroup) zu ziehen. Aber beides geht nicht gleichzeitig.

      An-Na’im (2011:22) hat in seinem Buch „Muslims and Global Justice“ darauf hingewiesen, dass die Durchsetzung der Menschenrechte und die Meinungsäusserungsfreiheit, Glaubens- und Religionsfreiheit, Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen und zu Bildung für alle Menschen unmöglich bleibt, wenn sie jeweils nur für die eigenen Bürgerinnen und Bürger eines Landes garantiert werden. Dieses Paradox könne nur aufgelöst werden, wenn es zwei sich überlappende Bereiche von Bürgerrechten gebe: nationale Bürgerrechte und Weltbürgerrechte. Gegenüber dem traditionellen, eindimensionalen nationalen Bürgerrecht brauche es eine Art abgestuftes internationales Bürgerrecht (vgl. An-Na’im 2011:22). Dabei müsse die Zivilgesellschaft lokal verwurzelt bleiben. Zivilgesellschaft und Staat müssten in einem komplementären, sich ergänzenden Verhältnis stehen.

      Dabei besteht das Problem, dass sowohl der Säkularismus als auch religiöse Heilsordnungen beanspruchen, universelle Gültigkeit zu haben. Das bedeutet, dass beide aufgrund ihres Machtanspruchs fast zwangsläufig in einen Konflikt miteinander geraten müssen. Dabei besitze beide – also säkulare Ideologien wie religionistische Bewegungen – grosse Mobilisierungs- und damit auch Gewaltpotenziale, wie die jüngere und jüngste Geschichte gezeigt hat. Vielleicht wäre eine global gedachte und garantierte „citizenship“ eine Möglichkeit, dieses Konfliktpotenzial nachhaltig zu entschärfen.

      Ich habe die Frage eines Weltstaates an verschiedenen Stellen eingehend diskutiert (vgl. Jäggi 2017a:298ff. sowie 2016c:131ff.). Deshalb hier nur so viel: Aus der Sicht einer interreligiösen Friedensethik wird man nicht darum herumkommen, die Frage nach einem gerechten und demokratischen Weltstaat neu zu stellen und auch konkrete Schritte zu seiner Verwirklichung einzuleiten. Entscheidend wird dabei sein, ob es gelingt, erstens einen weltumfassenden Grundkonsens über die gemeinsamen Grundwerte von Nationen und Religionen übergreifenden gesellschaftlichen Wertvorstellungen zu finden, zweitens diese auf übergreifende geistige und ethische Handlungsprinzipien auszurichten und drittens diese auch in Form von globalstaatlichen Institutionen umzusetzen. Und all dies muss auf der Grundlage der Menschenrechte geschehen.

      Ausgehend von der sukzessiven Entwicklung und Entfaltung der Menschenrechtslehre im Rahmen einer Reihe von Verträgen und Abkommen, die im Grunde eine – wenn auch immer wieder von Rückschlägen unterbrochene – Erfolgsgeschichte darstellen, lassen sich nach Beitz (2009:27ff.) folgende Kategorien von Menschenrechten unterscheiden:

      1) Rechte in Bezug auf die Freiheit und Sicherheit der Person: Dazu gehören das Verbot der Sklaverei, das Verbot von Folter sowie grausamer und brutaler Strafen, das Recht aller Menschen auf Anerkennung als Rechtsperson, Gleichheit vor dem Gesetz, Verbot willkürlicher Inhaftierung und die Unschuldsvermutung.

      2) Rechte in der Zivilgesellschaft: Zu dieser Kategorie zählen Schutz der Privatheit in Familie, Heim und zwischenmenschlichen Beziehungen, Bewegungsfreiheit und freie Wahl des Wohnorts innerhalb des Staates, Recht auf Auswanderung, gleiches Recht zu heiraten für Männer und Frauen, gleiche Rechte in der Ehe, Recht auf Scheidung, Recht auf freie Zustimmung zur Heirat.

      3) Politische Rechte: Bestandteil der politischen Rechte sind Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, Versammlungsfreiheit und Recht auf Gründung von Vereinigungen, Recht auf Regierungsmitbestimmung im eigenen Land, Recht auf Teilnahme an Wahlen.

      4) Ökonomische, soziale und kulturelle Rechte: Dazu gehören das Recht auf angemessenen Lebensstandard, Zugang zu geeigneter und genügender Ernährung, Kleidung, Unterkunft, medizinischer Versorgung, garantiertes Recht auf Grundschulunterricht, freie Wahl der Anstellung, gerechte und angemessene Entlöhnung, gleicher Lohn für gleiche Arbeit, das Recht, einer Gewerkschaft beizutreten, vernünftige Begrenzung der Arbeitszeit und soziale Sicherheit.

      Dazu ist laut Beitz (2009:28) eine weitere Menschenrechtskategorie zu ergänzen.

      5) Rechte von Gruppen oder Communities als soziale Entitäten im Sinne von Selbstbestimmung und Autonomie der einzelnen Gemeinschaften, unter anderem über Selbstverwaltung, Kontrolle über natürliche Reichtümer und Ressourcen an Ort, korporative Glaubensfreiheit usw.

      Neben der UNO-Menschenrechtskonvention von 1948 (vgl. Allgemeine Erklärung der Menschenrechte 1948 und 1948b) bestehen folgende weitere Vereinbarungen:

      – Pakt I (Sozialrechte): Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR)

      – Pakt II (Bürgerrechte): Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR)

      – Antirassismuskonvention: Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (ICERD)

      – Antifolterkonvention: Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche