Название | Säkulare und religiöse Bausteine einer universellen Friedensordnung |
---|---|
Автор произведения | Christian J. Jäggi |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783828873438 |
Wenn dies stimmt, könnte die Befreiungstheologie eine der wichtigsten theologischen und interreligiösen Innovationen sein, welche in den letzten 100 Jahren entstanden sind. Dies gilt insbesondere dann, wenn die soziale und ökonomische, aber auch ökologische Befreiung in dieser Welt mit dem jenseitigen Heilsversprechen kombiniert werden kann.
Aspekte interkultureller Kommunikation
Otfried Höffe (2015:30) hat darauf hingewiesen, dass in der Vormoderne, so etwa in der griechischen Philosophie – ausser in der Stoa – und auch im Judentum und im Christentum, der Gedanke des Menschen als Ebenbild und Schöpfung Gottes, verbreitet war. Dabei sei die im Judentum noch „enthaltene ethnische Begrenzung“ im Christentum aufgehoben worden. Doch – so Höffe (2015:30) – hätten alle drei Weltanschauungen daraus kaum rechtliche Konsequenzen gezogen.
Mit Blick auf die heutige Weltsituation hat Otfried Höffe (2015:129) zu Recht darauf hingewiesen, dass die Auseinandersetzung um globale Werte so geführt werden muss, dass sich alle Kulturen und Weltanschauungen gleichgewichtig einbringen können. Dabei seien die Grundelemente des Liberalismus in einer interkulturell verständlichen Sprache zu legitimieren. Das geht jedoch nur, wenn die Diskursbedingungen nicht schon in sich selbst vereinnahmend sind und bestimmte kulturelle, religiöse oder weltanschauliche Vorstellungen von diesem Diskurs ausschliessen. Dabei dürfen auch nicht kulturspezifische Gründe als Argumente für einen restriktiven Zugang zum interkulturellen Diskurs vorgeschoben werden: „Aus Achtung vor dem Eigenwert der anderen Kulturen sind mit ihnen keine kulturspezifischen, sondern interkulturelle Diskurse zu führen“ (Höffe 2015:129). Das gilt besonders auch für umstrittene Bereiche wie etwa das Strafrecht.
David Novak (2005:5) hat mit Blick auch die jüdische Community eine religiöse Begründung der säkular-demokratischen Ordnung gefordert. Er plädiert für einen begrenzten Säkularismus, ohne aber in eine säkulare Ideologie zu verfallen. Laut Novak (2005:6) sollte man jedoch nicht den Fehler machen, irgendeine Religion als die Quelle für die Demokratie oder als Ziel der Demokratie zu verstehen: Weder sei Demokratie die Vollendung des Judentums noch das Judentum das Endziel der Demokratie. Und das gilt im Grunde für alle Religionen. Hingegen könne Demokratie dazu beitragen, dass Gläubige verschiedener Religionen ihr Glaubensverständnis leben können. Gläubige können, müssen aber nicht aktive Teilnehmer der Demokratie sein. Jedoch sollte – so Novak (2005:8) – die Demokratie nicht dazu benutzt werden, eine eigene Kultur zu entwickeln, vielmehr sollten Demokratie und Zivilgesellschaft von der Pluralität der Kulturen und der Religionen abhängen. Ziel sollte ein interkulturelles Abkommen sein, um eine Art übergreifenden öffentlichen Raum losgelöst von den sakralen Räumen der einzelnen Religionsgemeinschaften zu schaffen. Gleichzeitig müssten die Zivilgesellschaft und die Demokratie die Existenz der Religionsgemeinschaften und die korporative Religionsfreiheit11 sichern. Ausserdem sind – so Novak (2005:9) – die Religionsgemeinschaften vor staatlichen Übergriffen zu bewahren. Novak (2005:10) spricht von einem Vertrag zwischen den Minderheiten („contract between minorities“). Weil die Familien die primären Gemeinschaften darstellten, seien die Communities als eine Art erweiterte Familien zu sehen.
Eine solche Vision einer interkulturellen Gesellschaft, die unter einem begrenzten säkular-demokratischen Dach funktioniert, steht der kommunitaristischen Sicht recht nahe. Allerdings stellen sich dabei spezifische Fragen, etwa im Zusammenhang mit der wachsenden Zahl von interkulturellen und interreligiösen Ehen und Partnerschaften, der bikulturellen Kindererziehung, unterschiedlicher und übergreifender Vorstellungen sozialer Absicherung, der Frage der Stellung homosexueller Partnerschaften, usw. All diese Fragen sind auf kommunitärer Ebene kaum zu lösen. Und darüber hinaus ist darauf zu bestehen, dass alle Religionsgemeinschaften und Communities auch in ihrem Inneren die Anwendung und Durchsetzung der Menschenrechte garantieren.
Diskursethik
Einiges spricht dafür, dass der diskursethische Ansatz gut geeignet wäre, aus pragmatischer Sicht eine globale interkulturelle Kommunikation über grundlegende Werte und Normen zu ermöglichen und zu institutionalisieren.
Lienemann (2008:132) hat die Diskursethik wie folg definiert: Sie ist „der Versuch, eine Antwort auf die Frage nach der Bestimmung eines ‚guten‘ oder womöglich ‚gerechten‘ Handelns und Verhaltens dadurch zu geben, dass grundlegende, unabdingbare Regeln für Verständigungsprozesse zwischen Menschen gesucht werden, welche sich unter Bedingungen eines gesellschaftlichen Pluralismus und Antagonismus miteinander nach allgemein geteilten oder mindestens allgemein zustimmungsfähigen Prinzipien zu koordinieren versuchen“. Dabei gründet die Diskursethik nicht auf festen, „allgemein geteilten ethischen Prinzipien“, sondern stellt „Verfahren vernunftgeleiteten Argumentierens“ (Lienemann 2008:132) ins Zentrum. In diesem Sinn geschieht in der Diskursethik eine „Ablösung der Sprache der Autorität und der Gewalt durch die zwanglose Anerkennung der Kraft des besseren Argumentes unter Menschen, die sich gegenseitig respektieren können, auch wo sie um wechselseitige Achtung und Anerkennung ringen“ (Lienemann 2008:132, vgl. auch Jäggi 2016a:207ff). Nach Habermas kann in der Diskursethik „eine Norm nur dann Geltung beanspruchen, wenn alle von ihr möglicherweise Betroffenen als Teilnehmer eines praktischen Diskurses Einverständnis darüber erzielen (bzw. erzielen würden), dass diese Norm gilt“ (Habermas 1983:76). Das bedeutet: die Wahl von Normen kann begründet werden, sie müssen im Interesse aller Betroffenen sein und alle Betroffenen müssen sich dazu äussern können (oder einmal dazu genäussert haben).
Apel (1993:18ff.) hat in Bezug auf die Diskursethik einen „abstrakten Begründungsteil“ und „einen geschichtsbezogenen Begründungsteil“ unterschieden. Der abstrakte Begründungsteil bezieht sich auf das Diskursverfahrensprinzip im Sinne einer Situationsangemessenheit und der Ausschöpfung des diskursbezogenen Universalisierungsprinzips selbst und beinhaltet nach Apel unbedingte Gültigkeit. Dabei geht es um prozedurale Prinzipien. Der geschichtsbezogene Begründungsteil beruht – immer nach Apel (1993:26ff.) – auf einer geschichtsbezogenen Verantwortungsethik und geht von verschiedenen Entwicklungsstufen kollektiver Sittlichkeit und damit von der „postkonventionellen Moralität“ aus. Ohne hier auf die Problematik der Kohlbergschen Entwicklungsstufen12 moralischen Bewusstseins einzutreten, auf die sich Apel (1993:26) beruft – Fakt ist, dass Apel in Bezug auf die Diskursethik durchaus auch historische oder phylogenetische Veränderungen einbezieht.
Arens (1992:58) hat an der Diskursethik mehrere Aspekte kritisiert: Erstens sei die Diskursethik deontologisch13, weil es ihr um die „Sollgeltung von Nomen“ gehe, um richtiges und gerechtes Handeln zu bestimmen. Das mache die Diskurskursethik für eine Befreiungsethik letztlich unakzeptabel, weil diese vom absoluten Prinzip „Befreie die Armen!“ ausgehe. Zweitens sei die Diskursethik kognitivistisch, begreife „normative Richtigkeit als wahrheitsanalogen Geltungsanspruch, also als etwas, das wie der Wahrheitsanspruch … rational begründbar“ (Arens 1992:58) sei. Und drittens sei die Diskursethik eine formalistische Ethik. Sie zeichne keine bestimmten oder konkreten normativen Inhalte aus, sondern „macht ein formales Kriterium als Prinzip der Rechtfertigung jedweder Handlungsnorm aus“ (Arens 1992:59). Doch – so könnte man Arens‘ drittem Argument entgegenhalten – macht genau das die Stärke der Diskursethik aus: Durch die Ausrichtung auf das prozedurale Vorgehen trennt sie Inhalte – die immer kontextabhängig sind – von Vorgehensfragen und ermöglich damit eine Vielzahl von inhaltlichen Kompromissen und eröffnet den Horizont für einen weltanschauungsübergreifenden Konsens, der zwar immer nur vorläufig sein kann, aber damit auch künftige mögliche Änderungen erschliesst. Alles andere führt in einen inhaltlich-weltanschaulichen Dogmatismus oder – noch schlimmer – in eine Welt, die von Partikularismus, Fraktionismus oder gar Separatismus geprägt ist. Damit erledigt sich der vierte Kritikpunkt von Arens