Название | Säkulare und religiöse Bausteine einer universellen Friedensordnung |
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Автор произведения | Christian J. Jäggi |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783828873438 |
Der Säkularismus schliesst unter anderem Agnostizismus, Atheismus und verschiedene Formen des säkularen Humanismus ein (Hiorth 2009:124). Funktionell gesehen übernimmt der Säkularismus durchaus religiöse Aufgaben. Für Ericson (1988:1f.) ist ethischer (säkularer) Humanismus ein moralischer Glaube, der auf dem Respekt vor der Würde und dem Wert des menschlichen Lebens beruht. Er sei eine „praktische, funktionierende Religion, dem ethischen Leben gewidmet, ohne rituelle Verpflichtungen oder einen Glauben an das Übernatürliche vorzuschreiben“ (Hiorth 2009:129f.).
Für den Ansatz des Weltethosprojekts bedeutet das, dass dieses im Grunde nur funktionieren kann für Menschen, die sich zu einer säkularen Weltanschauung bekennen – oder anders gesagt: Wenn der Säkularismus als eine über den grossen religiösen Weltanschauung stehende und eigenständige Weltanschauung verstanden wird. Daraus entsteht aber die Frage, ob säkulare Weltanschauungen funktional-weltanschaulich den einzelnen Religionen übergeordnet sind oder als konkurrierende Weltanschauungen sozusagen auf gleicher Ebene neben den grossen Religionen anzusiedeln sind. Anders gesagt: ob der Säkularismus über den Religionen steht oder neben ihnen. Zweifellos gibt es für beide Sichtweisen Argumente. Doch es sollte aus den vorangehenden Ausführungen klar geworden sein, dass eine übergreifende Ethik sowohl säkulare als auch religiöse Sichtweisen und Anliegen aufnehmen muss – und es ist durchaus denkbar, dass auch nicht säkulare Staatsformen die Grundrechte garantieren und demokratische Selbstverwaltung garantieren können.
Wenn es stimmt, wie Peter Antes (2001:19) meint, dass Religionen „ethische Instanzen der Kritik und des schlechten Gewissens für die Gesellschaft im Zeitalter von Modernisierung und Globalisierung“ darstellen, dann bedeutet das, dass auf der einen Seite Religionen selbst einen transnationalen bzw. transkulturellen Charakter haben, um entsprechende Antworten zu generieren, und auf der anderen Seite die Religionen selbst der traditionellen konfessionellen Sicht abschwören müssen, weil sie sonst weder als glaubhafte Vermittler ethischer Antworten noch als Alternativen zu weltanschaulich enggeführten Akteuren auftreten können. Gleichzeitig darf aber eine entsprechende weltanschauliche Öffnung nicht auf Kosten der Verbindlichkeit religiöser Aussagen gehen – vielmehr muss die Verbindlichkeit wachsen.
Es stellt sich die Frage, ob der Weltethos-Ansatz tatsächlich eine genügend breite Basis darstellt, um eine gleichzeitig transsäkulare, interreligiöse und globale Ethik zu entwickeln. Barbara Lukoschek (2013:32ff.) hat die Einwände gegen den Weltethos-Ansatz wie folgt zusammengefasst:
Zu starke Ausrichtung auf eine christliche bzw. westlich-abendländische Sicht. Diese Kritik haben unter anderem Paul Hedges (2008:159ff.) und Sallie B. King (1995:213ff.) vorgebracht. Reinhard Hummel (1993:7) hat diesen Einwand wie folgt formuliert: „Den fundamentalistischen Gegnern wird es nicht verborgen bleiben, dass der Küngsche Text trotz aller Absprachen in seiner Substanz westlich-christlich konzipiert und an der zweiten Tafel der Zehn Gebote orientiert ist. Die anderen Religionen werden prüfen müssen, ob ihre eigene Tradition hergibt, was die Erklärung als gemeinsames Weltethos formuliert hat“.
Zu hoher Abstraktheitsgrad und zu starke Anbindung an eine makroperspektivische Sicht. Hans J. Münk hat diese (zu?) starke Ausrichtung auf „universale Grundmaximen“ als mögliches Problem bezeichnet, weil „ein gleich liegender Wortlaut vorschnell tiefer liegende Spannungen, Unterschiede und Gegensätze überspringt“ (Münk 2004:108). Dabei entstehe die Gefahr, nicht nur wesentliche Unterschiede zwischen den Religionen, sondern auch innerhalb der einzelnen religiösen Symbolsysteme – also „den jeweiligen Binnenpluralismus“ (Münk 2004:108) – zu unterschätzen.
Dazu kommt ein noch grundsätzlicherer Einwand, den ich an anderer Stelle ausführlich diskutiert habe (vgl. Jäggi 2016a:273).
Statische bzw. „substantialistische“ Ausrichtung des Ethoskonzepts und eine additive Aufzählung kulturspezifischer Teilethiken. Diese Kritik beinhaltet zwei Aspekte: Auf der einen Seite erscheint eine rein deskriptive Umschreibung und Aufzählung verschiedener kulturspezifischer (Minimal-)Ethiken als ungenügende Grundlage, um gestützt darauf eine universell gültige Ethik zu begründen. Auf der anderen Seite verändern sich die kulturspezifischen ethischen Vorstellungen und die darauf basierenden Normen laufend. Eine universelle Ethik muss deshalb als kommunikativer Prozess konzipiert werden, der nach vorne offen und nie abgeschlossen ist5 – sozusagen als Work in Progress.
Aus meiner Sicht sind die ersten beiden Kritikpunkte kaum zu vermeiden, aber sie sind auch nicht entscheidend: Erstens geschieht jede wissenschaftliche wie populäre Aussage vor dem Hintergrund eines weltanschaulich-semantischen Rahmens – letztlich ist keine ethisch-moralische Aussage ohne entsprechende anthropologisch-sprachlich-philosophische Einbettung möglich – ausser vielleicht für den lieben Gott. Wichtig ist, dass der eigene semantische Bezugsrahmen mitreflektiert wird und dass versucht wird, diesen Rahmen zu erweitern. Mehr kann man wohl aus einer interkulturellen Perspektive nicht erwarten. Zweitens sind wissenschaftliche Aussagen immer durch eine bestimmte Abstraktheit und Verallgemeinerung gekennzeichnet. Deshalb besteht bei wissenschaftlichen Erkenntnissen immer auch eine gewisse Gefahr des Reduktionismus. Aber auch hier gilt: Die Art der Reduktion und der Verallgemeinerung muss reflektiert, begründet und plausibel sein, und das inhaltliche Ergebnis darf nicht willkürlich oder beliebig sein. Entscheidend bleibt deshalb der dritte Kritikpunkt: Eine globale, universelle Ethik kann nur als permanenter Kommunikationsprozess, nach vorne offen, zugänglich für alle und mit entsprechender institutioneller Abstützung gelingen.
Aus dieser Sicht erscheint der Versuch von Lukoschek (2013:71ff.) richtig angelegt, zwei Religionsgemeinschaften – in diesem Fall den Buddhismus und das Christentum – aus einer dynamischen Perspektive, nämlich der Befreiungstheologie, zu vergleichen. Dabei geht es darum, einen religions- oder weltanschauungsübergreifenden Diskurs über zentrale Themen zu führen – etwa über die Bedeutung von Frieden, eine demokratische Weltregierung oder eine Weltverfassung mit für alle Menschen verbindlichen Grundrechten.
Theologie der Befreiung als Ansatz?
Gustavo Gutiérrez (1992:68ff.) hat drei Aufgaben der Theologie formuliert: Erstens Theologie als Weisheitslehre, zweitens Theologie als Wissensgebäude und drittens Theologie als kritische Reflexion geschichtlicher Praxis (vgl. auch Lukoschek 2013:127). Dabei zielte die Befreiungstheologie darauf ab, den dritten Punkt wieder stärker ins Bewusstsein zu rufen: „Gegenstand der kritischen Reflexion sind sowohl Theologie und Kirche selbst, einschliesslich ihrer Grundlagen, als auch die gesellschaftlichen, d.h. wirtschaftlichen, sozialen und politischen Rahmenbedingungen des Lebens der christlichen Gemeinde“ (Lukoschek 2013:127). Entsprechend konzentrierte sich die Befreiungstheologie darauf, die Vorstellung der Erlösung auf die kirchliche und gesellschaftliche Praxis hin zu hinterfragen und zu konkretisieren. „Denn Heil ist nicht mehr etwas ‚Überirdisches‘, dem gegenüber das gegenwärtige Leben nur eine Prüfung wäre. Rettung als Gemeinschaft der Menschen mit Gott und Gemeinschaft der Menschen untereinander ist etwas, das schon jetzt real und konkret wirksam wird, die gesamte menschliche Seinsweise umgreift, verwandelt und in Christus zu ihrer Vollendung führt“ (Gutiérrez 1992:208; vgl. auch Lukoschek 2013:128). Entscheidend für die Befreiungstheologie ist der Zusammenhang der – sozialen, politischen und wirtschaftlichen – Befreiung und des Heilsanspruchs6: „Wer von Theologie der Befreiung spricht, hat eine Antwort auf die Frage zu suchen: ‚Welche Beziehung besteht zwischen der Erlösung und dem historischen Prozess der Befreiung des Menschen?‘“ (Gutiérrez 1992:109; vgl. auch Lukoschek 2013:128).
Dabei ist im Sinne von Gutiérrez (1992:242) „jeder Kampf gegen Ausbeutung und Entfremdung … im umfassenden Zusammenhang der einen Geschichte ein Versuch, den Egoismus als Negation der Liebe zu bannen. Deshalb wirkt jedes Bemühen um eine gerechte Gesellschaft befreiend … und ist schon Erlösungstat, wenn auch nicht Erlösung im umfassenden Sinn“.
Die von der Befreiungstheologie überarbeitete und erneuerte Erlösungslehre enthält