Название | Säkulare und religiöse Bausteine einer universellen Friedensordnung |
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Автор произведения | Christian J. Jäggi |
Жанр | Документальная литература |
Серия | |
Издательство | Документальная литература |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783828873438 |
Dabei übten die USA nicht erst unter der Administration Trump einen systematischen Obstruktionismus gegen internationale Organisationen, so etwa gegen den Internationalen Strafgerichtshof (ICC), dem sie nie beitraten, gegen die UNECSO, gegen die WHO – insbesondere unter Trump im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie – usw. Doch Letzteres war nur der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, die schon lange zuvor begonnen hatte. So kritisierte etwa Richard Falk (2009:33) den eher symbolischen Widerstand des Uno-Sicherheitsrats gegen den aggressiven Krieg der USA gegenüber dem Irak 2003. Eigentlich hätte der Irak und vor allem dessen Zivilbevölkerung durch die UNO vor den Sanktionen und der kollektiven Bestrafung geschützt werden müssen, meint Falk (2009:33). Als die USA nach 9/11 erklärten, sie würden sich nie durch das internationale Recht davon abhalten lassen, ihre Sicherheitsinteressen zu verfolgen, erwies sich damit im Grunde auch das Ungenügen, ja die Nutzlosigkeit internationaler Rechtsvereinbarungen vor dem Souveränitätsanspruch der Supermächte. Auch der laut Falk (2009:34) „dubiose Kosovo-Krieg“ der NATO gegen Serbien 1999 war Ausdruck dafür.
Doch auch China bedient sich internationaler Abkommen und Einrichtungen nur dann, wenn diese ihren eigenen Grossmachtzielen dienen – andernfalls setzt es sich über Schiedssprüche und internationale Urteile hinweg, wie etwa im Zusammenhang mit der militärischen Expansionspolitik im südchinesischen Meer.
All das – so Falk (2009:33) – zeige den opportunistischen Gebrauch des internationalen Rechts durch hegemoniale Akteure, wenn diese das für notwendig erachteten.
Das bedeutet, dass letztlich nur eine handlungsfähige, demokratisch legitimierte Weltregierung in der Lage sein kann, den Hegemonialismus der Gross- und Supermächte in Schranken zu weisen und die Menschenrechte auch in kleinen Ländern zu schützen. Demgegenüber hat sich – nach Meinung von Falk (2009:143) – in den letzten Jahren die Menschenrechtssituation in vielen Gegenden der Welt verschlechtert, ja laut Falk (2009:143) hat die Sache der Menschenrechte nach 9/11 sogar einen regelrechten Backslash erlebt.
Mit Blick auf die Europäische Union hat Ferdinand von Schirach eine neue europäische Verfassung gefordert. Anstelle eines Vertrags zwischen Staaten habe diese von den Grundrechten eines jeden einzelnen Bürgers auszugehen. Insbesondere müsse jeder Mensch das alleinige Recht über seine Daten haben, einen Anspruch auf eine intakte Umwelt und die Menschenrechte müssten über wirtschaftlichen Interessen stehen – und zwar weltweit (vgl. Publik-Forum 13/2020:27).
Auch die grossen Auswirkungen der Klimaveränderungen und die durch sie mitverursachten Folgen wie Zunahme der globalen Migration (vgl. dazu Jäggi 2016c:56ff. sowie Ionesco et al. 2017) lassen es auf die Dauer unumgänglich erscheinen, dass eine Weltinnenpolitik und entsprechende planetare demokratische Staatsstrukturen entstehen (vgl. dazu auch Jäggi 2016c:131ff).
Was Sandel (2015:123) für Nationalstaaten wie die USA formulierte, nämlich dass das nationalstaatliche Projekt zwar einen starken Nationalstaat schaffen konnte, aber oft nicht auch eine „von allen geteilte nationale Identität“, gilt weit mehr noch für die Weltsituation: Ein globaler demokratischer Weltstaat kann und wird nur dann erfolgreich sein, wenn er von einem globalen menschlichen Bewusstsein der Zusammengehörigkeit und Einheit der gesamten Menschheit getragen wird. Weltstaatliche Institutionen ohne entsprechendes Bewusstsein werden zu einer leeren Bürokratie, aber ein globales „kosmopolitisches“ Bewusstsein ohne entsprechende globalstaatliche Strukturen wird zu einer Luftblase – oder schlimmer noch – zu einer Chimäre.
Das grosse Problem – darauf hat auch schon Hans Küng (1990:49) mit Blick auf John Rawls’17 „overlapping Consensus“ hingewiesen – ist die Erlangung eines grundlegenden, grenz- und kontextüberschreitenden Konsenses in politischen Fragen. John Rawls (1998:22) hat die Frage eines dauerhaften, politischen Konsenses aus der Sicht eines politischen Liberalismus wie folgt formuliert: „Wie kann eine stabile und gerechte Gesellschaft freier und gleicher Bürger, die durch vernünftige und gleichwohl konträre religiöse, philosophische und moralische Lehren einschneidend voneinander getrennt sind, dauerhaft bestehen?“. Oder noch pointierter mit Blick auf religiöse Weltanschauungen: „Wie können auch diejenigen, die eine auf einer religiösen Autorität, wie zum Beispiel der Kirche oder der Bibel, beruhende religiöse Lehre bejahen, eine vernünftige politische Konzeption haben, die eine gerechte demokratische Ordnung stützt?“ (Rawls 1998:35). Die gleiche Frage stellt sich auch für Angehörige anderer Religionen, etwa des Islams.
Ins Zentrum seines Konzepts des überlappenden Konsenses stellt Rawls (1998:83) Reziprozität: Dabei gehe es um eine „Beziehung zwischen Bürgern, die in Gerechtigkeitsgrundsätzen zum Ausdruck kommt, welche eine soziale Welt ordnen, in der … ein jeder profitiert“. Allerdings sind im Rawls‘schen Sinn Reziprozität und gegenseitiger Vorteil nicht identisch (Rawls 1998:83). Entsprechend sei eine „symmetrische Stellung der Parteien zueinander … notwendig, wenn sie als Vertreter freier und gleicher Bürger betrachtet werden sollen, die unter fairen Bedingungen zu einer Übereinkunft gelangen“ (Rawls 1998:91).
Zu Recht weist Küng (1990:49) darauf hin, dass dieser politische Grundkonsens „in einem dynamischen Prozess stets neu gefunden werden“ werden muss. Doch das Problem ist, wie das geschehen kann und soll. Ausserdem besteht im heutigen öffentlichen Diskurs die Schwierigkeit, dass sich dieser „entweder aus technokratischen, auf Managementaspekte begrenzten Gesprächen oder aus höhst parteilichen, erbitterten Schaukämpfen [speist], deren Teilnehmer einander anschreien, anstatt sich auf eine vernunftgesteuerte Auseinandersetzung einzulassen“ (Sandel 2015:7). Dazu kommt, dass die Menschen in der Politik lieber grosse Themen abhandeln wollen, als sich mit sehr spezifischen und teilweise höhst komplexen Detailfragen auseinanderzusetzen (vgl. Sandel 2015:7). Dabei hat der heutige politische Mainstream-Diskurs Schwierigkeiten, sowohl die grossen politischen Fragestellungen als auch die komplexen Detailfragen und Zusammenhänge aufzugreifen und sachlich zu diskutieren.
Ein weiteres Problem besteht in der Umsetzung des – im günstigsten Fall – erlangten politischen Grundkonsenses in eine entsprechende vertikale Machtverteilung und Souveränität, und zwar auf lokaler, nationaler und Weltebene.
Dabei muss die Souveränität breit von oben nach unten – und von unten nach oben verteilt sein: Kommunale, lokale, nationale und globale Zuständigkeiten sind dabei erforderlich, ohne dass es zu Übergriffen von oben nach unten kommt. Viele Bundesstaaten verfügen bereits heute über vielfältige Erfahrungen mit dieser Art von demokratischer Machtverteilung.
Allerdings hat sich Hans Küng (2010:271) explizit gegen eine Weltregierung in irgendeiner Form ausgesprochen: Eine Weltregierung „ist weder realistisch noch erstrebenswert. Sie wäre allzu weit entfernt von der Welt-Bürgergesellschaft und demokratisch auch kaum legitimierbar“. Diese Position ist zwar nachvollziehbar, aber sie ist vom Weltethosgedanken her weder überzeugend noch plausibel. Dass die von der UNO eingesetzte Kommission für Weltordnungspolitik (The Commission on Global Governance) sich nicht für eine Weltregierung ausspricht, hat wohl eher mit der Rücksicht auf die nationalstaatlichen Interessen der grossen Mächte zu tun als mit einer grundsätzlichen Ablehnung. Und darüber, ob ein demokratischer Weltstaat realistisch ist oder nicht, kann man streiten. Vor Ende des Zweiten Weltkriegs erschien auch eine UNO kaum als realistisch, und vor 1989 ebenso die Überwindung des Kalten Kriegs.
Küng befindet sich mit seiner Forderung nach einem globalen politischen Grundkonsens in guter Gesellschaft. So hatte bereits Papst Benedikt XVI. in seiner Enzyklika Caritas in Veritate (CV) vom 29.6.2009 „das Vorhandensein einer echten politischen Weltautorität“ (CV 2009:6718;