Säkulare und religiöse Bausteine einer universellen Friedensordnung. Christian J. Jäggi

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Название Säkulare und religiöse Bausteine einer universellen Friedensordnung
Автор произведения Christian J. Jäggi
Жанр Документальная литература
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Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783828873438



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eines neuen Menschen in solidarischer Gemeinschaft und drittens die Befreiung von der Sünde durch die Schaffung einer neuen Gemeinschaft mit Gott und anderen Menschen7 (vgl. Lukoschek 2013:142). Dabei ist die Idee der „Königsherrschaft Gottes“ und die Befreiung durch Jesus Christus von der Sünde sozusagen die Grundlage für die Schaffung eines neuen, solidarischen Menschen. In ihrer ersten Phase war in der Befreiungstheologie vor allem die Ebene der sozialen, politischen und wirtschaftlichen Befreiung stark von der Dependencia-Theorie8 geprägt – und von den Erklärungen der Lateinamerikanischen Bischofskonferenz von Medellín 1968 und Puebla 1979 (vgl. Lukoschek 2013:130).

      Theologisch gibt es nach Gutiérrez (1992:349ff., vgl. auch Lukoschek 2013:151) eine dreifache Begründung für die von der Befreiungstheologie vertretene „Option für die Armen“: Erstens widerspreche Armut dem Grundanliegen der mosaischen Religion, weil die jüdische Religion selbst aus dem von Mose angeführten Akt der Befreiung aus der Sklaverei entstanden sei (vgl. Ex 22,20; 23,9; Dtn 10,19 und Lev 19,34); zweitens stehe Armut im Gegensatz zum Auftrag der Genesis (Gen. 1,26 und 2,15), wonach der Mensch als Abbild Gottes aufgefordert sei, gestalterische Arbeit in der Natur zu leisten und in schöpferische Beziehung zu anderen Menschen zu treten; und drittens – als wichtigster Punkt – sei die Unterdrückung der Armen eine Verletzung von Gottes Gerechtigkeit und eine Schädigung des Menschen als Sakrament Gottes (vgl. Lukoschek 2013:151).

      Im Zusammenhang mit der Befreiungstheologie stellen sich zwei Fragen: Erstens: Inwieweit ist das theologische Befreiungskonzept geeignet, die Dichotomie zwischen Diesseits und Jenseits zu überwinden, welche nicht nur das christliche Denken, sondern auch andere religiöse Traditionen – wie etwa den Islam – über Jahrhunderte hinweg gelähmt und zu politischem Konservativismus geführt hat? Zweitens: Lässt sich das befreiungstheologische Konzept des Heils und der zu errichtenden Heilsordnung als historisch-sozial-politisch gedachte Befreiung interreligiös denken und transreligiös umsetzen?

      In Bezug auf den ersten Punkt – der Trennung von Diesseits und Jenseits – ist zu sagen, dass alles davon abhängt, wie „Befreiung“ verstanden wird, und wer von wem (wovon), oder genauer zu wem (wozu) befreit werden soll. Wenn damit die Befreiung von Machtabhängigkeit, Diskriminierung, Ausbeutung und Armut in dieser Welt und Befreiung zu ganzheitlicher geistig-spiritueller Entwicklung sowohl der einzelnen Menschen als auch der Menschheit als Ganzes gemeint ist, kann dagegen aus biblischer Sicht überhaupt nichts eingewendet werden. Vielmehr bewegt sich eine solche Sicht durchaus in der hebräischen Tradition und auch in der Tradition des Neuen Testaments – beide haben sich immer gegen die Trennung des Leben in zwei getrennte Sphären, nämlich in eine als jenseitig verstandene geistige Sphäre der Vertröstung und in eine diesseitige Sphäre des Leidens und der materiellen Not gewehrt. Schon die Hebräische Bibel macht in Dtn 15,11 eine doppelte Aussage zur Armut: „11 nicht ausgehn wird der Arme im Land; darum gebiete ich dir und spreche: Öffnen sollst du deine Hand deinem Bruder, deinem Armen und Elenden in deinem Land“ (Tur-Sinai-Übersetzung). Damit betont die Tora einerseits, dass Armut nie (völlig?) verschwinden wird, und anderseits, dass die Menschen die Pflicht haben, armen Menschen zu helfen. Diese doppelte Sicht der Armut wird durch eine dritte, sozusagen heilsordnungsbezogene Aussage ergänzt: „4 Nur daß bei dir kein Armer sein wird; denn der Ewige wird dich segnen in dem Land, das der Ewige, dein Gott, dir zum Erbe gibt, es zu besitzen. 5 Aber nur, wenn du hörst auf die Stimme des Ewigen, deines Gottes, bedacht zu sein, dieses ganze Gebot, das ich dir heute gebiete, zu üben“ (Dtn 15,4f.; Tur-Sinai-Übersetzung).

      Auch das Neue Testament ist diesbezüglich sehr klar. Noch stärker als in der mattheischen Bergpredigt kommt dies in der Feldpredigt bei Lukas zum Ausdruck:

      „20 Er richtete seine Augen auf seine Jünger und sagte: Selig, ihr Armen, denn euch gehört das Reich Gottes. 21 Selig, die ihr jetzt hungert, denn ihr werdet satt werden. Selig, die ihr jetzt weint, denn ihr werdet lachen. 22 Selig seid ihr, wenn euch die Menschen hassen und aus ihrer Gemeinschaft ausschließen, wenn sie euch beschimpfen und euch in Verruf bringen um des Menschensohnes willen“ (Lk 6,20ff.; Einheitsübersetzung).

      Aus all dem geht klar hervor, dass Armut in den Augen Gottes nicht akzeptabel ist und dass Armut keinen Bestand haben kann. Geistigkeit oder spirituelle Entwicklung ohne Bekämpfung der Armut ist nicht nur ein Unding, sondern widerspricht auch diametral der biblischen Botschaft. In diesem Sinn bewegt sich die Befreiungstheologie voll und ganz auf der biblischen Linie. Die Tatsache, dass die vatikanische Theologie so hart gegen die Befreiungstheologie reagiert hat, bestätigt im Grunde nur, dass deren Anliegen an einem zentralen Punkt ansetzte, aber auch, dass sich die Kirche sehr wohl der Problematik ihrer jahrhundertelangen engen Zusammenarbeit mit den Oligarchien und sozialen Oberschichten, insbesondere in Lateinamerika, bewusst war und ist.

      Zum zweiten Punkt schreibt Dussel (1994:83): „Die Ethik der Befreiung beschränkt sich nicht bloss auf den lateinamerikanischen Kontext, sondern ist auf die Welt als Ganze ausgerichtet; die planetarische Offenheit [,mundialidad‘] ist allerdings von der abstrakten oder formalen Universalität der Vernunft zu unterscheiden“. Allerdings sei damit nicht eine kommunitaristische oder diskursethische Position gemeint. Befreiungsethik gehe nicht von einem abstrakten „Sein“ oder von einem „Guten“ im ontologischen Sinn aus, sondern vom „Andere[n], der als beherrschter und funktioneller Teil des Systems negiert wird“ (Dussel 1994:86). Also betont die Befreiungstheologie die Relationalität von Unterdrückern und Unterdrückten und versucht, dieses konstitutive Verhältnis zu überwinden durch Anspruch auf eine zu schaffende egalitäre Beziehung im Diesseits wie im Jenseits. So gesehen kann Befreiungstheologie und Befreiungsethik gar nicht anders als interreligiös und interkulturell gedacht werden.