Название | Die vorderen Hände |
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Автор произведения | Martin Zels |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783992002962 |
Aber dieser fixierte Blick auf jeden seiner Handgriffe! Studierte, registrierte, merkte sich, kalkulierte, verglich.
Anton sah hinauf zum Spiegel. Der Goldrahmen, seine heute fast noch ganz weiße Kochhaube darin, die lange Nase, die Backen. Unrasiert war er, gestern auch schon. Glänzende Stirn, die vollen, aufgeworfenen Lippen … früher hatte das alles sinnlicher ausgesehen.
„Eh wie sonst auch, Anton.“
Gitti lachte und streckte die Hände aus. Er atmete durch.
Über ihrem rechten Arm hing das Serviertuch, bei anderen, bei normalen Servierkellnern, hängt es links, logisch, aber bitte, die Gitti halt. Diese fordernden Arme. Er hätte einfach draufschlagen sollen. Aber er reichte Gitti stumm den Teller, den Kopf gesenkt, den Blick auf die nächsten Zettel werfend, vor sich an der Klemmleiste. Gittis Rücken stolzierte mit der Beiriedschnitte auf den letzten Tisch hinten rechts zu, Nummer 1.
Noch vier? Es ist doch schon viel zu spät! Haben sie wieder zwei Augen zugedrückt. Meine nämlich. Dieser Traum. Ich träum doch sonst nie. Ein Centurio? Ich versteh gar nichts mehr. Die Flusskrebse? Mensch, ich hab doch vorhin ausdrücklich dazugesagt, dass das die letzten waren!
Er schlug auf die Klingel und überflog die anderen drei Zettel.
Rehravioli mit einer Idee Blau? Karla ist da! Dann wird der grausliche Tag vielleicht noch eine schöne Nacht. Was war das, gestern? Ich mag nie wieder was träumen.
„Anton?“ Gitti war ungewöhnlich schnell zur Stelle. Wenigstens.
„Hab doch vorhin schon gesagt, die Flusskrebse sind aus!“
„Das ist nicht bei mir angekommen.“ Gitti bemühte sich um diskrete, leise Töne. Anton nicht.
„Kann ich auch nichts machen. Ich habs gesagt.“
„Ja, vielleicht zu dir selber. Aber nicht mir!“ Gitti wurde noch ein bisschen leiser. Anton nicht.
„Die Flusskrebse sind aus. Gehört?“
„Weißt du eh, dass du manchmal ein ziemliches Arschloch bist?“ Zisch.
„Merk dir einfach, was ich sag.“
Gitti öffnete schon wieder den Mund, aber Anton beugte seinen massigen Oberkörper derart unmissverständlich nach vorne, dass die Worte kehrtmachten. Stattdessen. Anbieten.
„Was kann ich dem Gast stattdessen anbieten?“
„Stell ihm einen Schnaps hin.“
„Und?“
„Ja, nix und! Die Karte gilt. Und es ist Küchenschluss, zum Kuckuck, und ich kann mich nicht zweiteilen!“
„Anton, du weißt genau, dass ich ihm dafür was anderes …“
„Die Flusskrebse sind aus!“ Anton hatte es jetzt so laut gesagt, dass es der freundliche, alleinsitzende Herr an Tisch 4 gehört haben musste.
„Sag ihm, ich hab sie selber aufgegessen, absichtlich! Ich bin schuld!“
„Wir müssen wirklich bald reden, Anton.“
Der lächelte nur kurz und künstlich, ließ Gitti stehen und betrachtete wieder die Zettel. Wenn Karla da war, musste immer etwas anderes her als die von ihr bestellten Rehravioli. Mit einer Idee Blau. Er schüttelte, nein, er zauberte dann schnell etwas aus dem Ärmel. Und es war jedes Mal ein kleines Meisterwerk. Viel teurer, viel ausgefuchster als das bestellte Gericht. Natürlich. Das war eine seiner zahlreichen, kleinen Unarten. Der Rösselsprung. Für die Kollegen. Für ihn selbst war es eine Königsgeste.
Das ist Werbung. Sagte Anton gern.
Die anderen hassten ihn sicher dafür. Weil: Das ist nicht Werbung! Geschäftsschädigung ist das! Und der jungen Dame sicher auch sehr unangenehm, so wie der dicke Koch sich da aufdrängt?
Nein.
Karla hätte jederzeit etwas anderes bestellen können, sich so setzen, dass Anton sie von der Küche her gar nicht sah, schon würde sie das bekommen, was sie sich ausgesucht hatte. Und den üblichen Preis dafür bezahlen. Sie dachte aber gar nicht dran. Und gar nichts war ihr daran unangenehm.
Dass sie immer die Rehravioli mit einer Idee Blau bestellte, war ihrer beider gemeinsames Ding. Sie liebte Überraschungen. Wenn sie nicht gerade die eigene Kunst betrafen. Karla hatte ein gespaltenes Verhältnis zu Überraschungen in der Kunst. Nur wenige wussten sie wirklich zu meistern, zu gestalten. Aber für Karla war Anton so einer. Ein Künstler, ein großer sogar! Rehravioli mit einer Idee Blau hieß also: mach mir irgendetwas, verzaubere mich oder enttäusche mich, wie du willst. Aber bitte keine Rehravioli, ich hasse sie.
Wenn Anton darüber nachdachte, war es wohl dieses Gespräch gewesen, das ihn endgültig für Karla eingenommen hatte. Sie hatte sein Können erkannt. Und war auch völlig im Bilde gewesen, welchen Ruf er sich schon im Roxane erkocht hatte. Ohnehin schien sie offensichtlich wild entschlossen, nie mehr in ihrem Leben schlecht zu essen. Nicht, wenn sie es irgendwie verhindern konnte. Wofür sie gerne ihren Preis bezahlte.
Er ging in die Kühlkammer, besah sich die Regale, und fing in sich wild zu jonglieren an.
Wozu den Geist aus der Flasche bemühen?
Es blieben doch genügend Irre
auf der Strasse liegen…
Und auch der alte Teufel aus
der Kiste, geschenkt!
Nein, niemand hält das Leben auf,
schon gar nicht Du.
Dafür hast Du einen Glauben
um Dich herum gestellt…
Wer wollte Dir den reinen
Wein je wiederr nehmen?
Am Abend halten unsere Beine
ihre Füße in den Wind
Wie eine Fahne, die ganz weiß
nach Schonung schielt
Und unsere Hände winken,wedeln,
wie zwei Halunken
Die Bobo Jager und der alte Kaiser
„Schau, Darius, Bruder. Ich will auch niemanden umbringen, niemand hier will irgendwen umbringen! Wie soll das gehen? Wir sind acht Millionen in Österreich –“
„Ich hab gehört, fast neun?“
„Wurscht. Jeder kennt hier jeden. Da ist die Hemmung viel zu groß. Aber man wird doch noch davon träumen dürfen, dass man einmal zu anderen Mitteln greift als immer nur zu dieser depperten Provokation!“
Fünf Gestalten, diesmal alle männlich. Im Wiener Burggarten, gleich hinter der neuen Hofburg, zu Füßen des gütigen, alten Kaisers Franz Joseph. Es war bereits dunkel. Seit dem späten Nachmittag tagten sie, und waren strengen Willens, weiter zu tagen und zu nachten. Bis zum frühen Morgen, bis zum immergleichen, trotzigen Ende des allerletzten Abers.
Man saß lose im Gras. Nur einer lag, und atmete gerade die Reste eines tiefen Marihuanazuges aus. Zwei waren einander näher, auch im echten Leben. Im fahlen Zwielicht des kleinen städtischen Parks fand jedes Wort sein Widerwort, und wäre der Kaiser als einziger Zeuge nicht schon in Bronze gegossen gewesen, er hätte inmitten dieser viel zu warmen Spätsommernacht das Zeitliche gesegnet. Aus reiner Verzweiflung. Über seine Kinder, sein Volk. Diese Menschen.
„Es kommt doch schlicht und ergreifend nur darauf an, was man erreichen will, nicht? Wir jedenfalls scheitern schon daran, dass wir das zwar gar nicht genau wissen, aber immerhin seit ungefähr hundertfünfzig Jahren darüber diskutieren!“
„Geh, Darius, so würd ich das jetzt nicht sagen.“
„Genau. Echt nicht.“
„Na