Die vorderen Hände. Martin Zels

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Название Die vorderen Hände
Автор произведения Martin Zels
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783992002962



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hinter ihm, da war Hoffnung! Da wurden all diese Barbaren zermalmt. Zwischen ihm und ihm. Centurio! So hatten sie also doch noch gesiegt, alle beide?

      Und schon war alles vorbei gewesen. Das Wasser. Das Meer. Aqua …

      „Das war wieder einmal der Hammer. Du kochst mich schwindlig.“

      Karla saß Anton an Tisch 3 gegenüber. Sie waren inzwischen allein im Lokal, wie immer.

      Schon am Anfang ihrer kurzen Zeit im roxane & freunde war Karla klar gewesen, dass sie Anton mochte. Nicht, dass er ihr wirklich von Herzen gefallen hätte. Aber sie erkannte etwas an seinem Wesen in sich selber wieder, etwas an ihm klang in ihr nach Nahesein, nach kleinen, hinnehmbaren Einheiten von „Warum nicht?“

      Und ebenso schnell hatte sich herausgestellt, dass Anton die junge Musikstudentin nicht nur auch mochte, sondern ihr auf eine seltsam unsentimentale Weise sogar verfallen war. Nicht, dass er etwas Hübscheres nie mehr hätte haben können. Das nicht. Er stand, ungeachtet seines Alters, ungeachtet auch seines beträchtlichen körperlichen Umfangs, noch immer gut im Kurs. Weil er es wirklich draufhatte, Menschen schwindlig zu kochen. Wenn er es drauf anlegte. Und das tat er bei Karla.

      „Das ist mir schon ganz recht, schöne Frau. Ich mag das, wenn ich später selber davon profitieren darf.“

      Sie überhörte den Ton nicht, übersah nicht sein unverstelltes Grinsen. Aber sie war einverstanden.

      „Was macht dich da so sicher?“

      „Ach, bin ich ja gar nicht. Ich denk mir halt, dass du schwindlig weniger streng mit mir bist?“

      „Musst dir halt ein bissel mehr Mühe geben.“

      Sie hatte es ihm schon auch leicht gemacht. Gleich nach dem ersten Essen im Frühling hatte sie Gitti gefragt, ob sie nicht einmal kurz auf die Brücke dieses unglaublichen Raumschiffes blicken dürfe? Die Kellnerin war aber nicht recht im Stande gewesen, dieses Wortbild zu übersetzen, und hatte stattdessen reflexartig „ihr dämliches Eliza-Doolittle-Grinsen“ aufgesetzt, das Anton so sehr an ihr hasste, weil es „ihr vollkommenes Nichtverstehen!“ und „ihren unerträglich engen Kopf!“ auch noch neugierig und liebenswert aussehen ließ.

      Also anders fragen. Ob sie den Koch kennenlernen dürfe?

      Ja, selbstverständlich, natürlich.

      Keine drei Minuten später war Anton das erste Mal an ihrem Tisch gesessen. War zuerst in ihre Augen eingefallen, dann in ihren Mund, und etwa drei Stunden später brach er schon ein in die ganze Frau.

      Warum träumte der Mensch überhaupt? Anton war doch bis jetzt wunderbar ohne Träume ausgekommen! Und wenn man schon träumte, warum so ein Zeug? Was sollte denn das alles? Wollte er sich selber etwas mitteilen? Sich selber aus irgendeiner Not retten, wie dieser zweigeteilte Centurio? Und das mit den neun Fingern. Das war überhaupt das Letzte. Anton!

      Er blinzelte, rieb sich die Augen.

      Und schnalzte mit der Zunge. Tschlak!

      Ist der verheißungsvolle Abendwein mit dieser wunderbaren Elfe nicht Traum genug? Was irrst du herum in deinen eigenen Rätseln?

      Es war nicht eben das, was Karla erfüllend genannt hätte, oder wenigstens aufregend. Und auch nicht eben das, was Anton als ausreichend wild oder zu ihm passend bezeichnet hätte. Aber irgendwie hatte sich an jenem ersten Abend eine tiefe, wenn auch banale Einsicht in diese so unterschiedlichen Zeitgenossen geschlichen. Er hatte ihr etwas zu geben. Und sie ihm auch. Karla liebte Antons Küche, aber sie verabscheute seinen Körper. Wenn sie ehrlich war. Anton liebte Karlas Körper, aber er war völlig überfordert von ihrem Wesen. Was ihn nicht weiter kümmerte.

      Dass dennoch eine so eigenartig passend gestimmte Musik von den beiden ausging … vielleicht war es ein vorübergehendes Abkommen des Himmels mit der Hölle. Eine Gnade besonderer Art. Wenn auch auf eine Weise nur ein lächerlicher Aufschub.

      In Wien. In einer Zeit wie dieser.

      Inmitten von immer noch mehr Unordnung, inmitten von täglicher Vergängnis. Und außerhalb jeder Vorstellung, wie diese Stadt je wieder zu ihrem Gleichgewicht kommen sollte. Wer wusste schon, wann der erste Stein durch die Scheibe knallen würde? Jeder Mensch in Wien, der öffentlich sichtbar und genussvoll etwas viel Besseres aß, als die meisten Menschen sich hier je würden leisten können, musste doch inzwischen fast damit rechnen, dass man ihn genauso öffentlich sichtbar und genussvoll auch dafür bestrafen würde. Und Karla wäre nicht Karla gewesen, wenn sie sich nicht eingestanden hätte, dass es genau diese Lust war, die ihr einen Besuch im roxane & freunde so süß machte: die Lust an einem diffusen Schuldigsein bei gleichzeitig durchaus elitärem Trotz gegen jegliche breite Masse.

      „Sagst mir, was ich da gegessen hab?“

      „Gebratenen Oktopus?“

      „Ja, das erkenn ich auch selber noch! Das andere, mein’ ich.“

      „Fregola Sarda, Paprika, Taggiasca Olive, marinierter Fenchel.“

      „Diese Kügelchen heißen Fregola Sarda?“

      „Ja. Eine Art Pasta, aus Weizen.“

      „Und aus Sardinien?“

      „Genau.“

      „Das war ein Gedicht! Eine Komposition, eine Fantasie aus Süden und Meer und Grün. Auch dieser Fenchel, unglaublich!“

      „Keine Idee Blau?“

      „Doch!“

      Anton genoss ihre ungezügelte Freude über seine Kochkunst, sog Karlas Worte gierig auf. Konnte es ihr aber nicht zeigen. Er gehörte zu den Menschen, die alles taten, um bewundert zu werden, um dann jede Bewunderung bescheiden, wenn nicht gar brüsk von sich zu weisen. Wobei jeder mühelos sah, wie sehr da jemand rang. Mit sich. Im Grunde peinlich, als Darbietung. Aber so menschlich. Darum nahm Karla es gerne hin.

      „Du bist heute irgendwie stiller als sonst. Hat dich jemand geärgert?“

      „Mich ärgern immer alle. Wen genau meinst du?“

      „Na, deine drei Chefs vielleicht?“

      „Geh, hör auf, allein schon das Wort ‚Chef‘ macht mich völlig rotäugig.“

      „Glühkohlen im Kopf!“

      Anton musste lachen, Karla blieb ernst.

      „Ja, so groß wie Stiereier! Heute war die Baba Yaga da.“

      Karla verschluckte sich am Wein, prustete kurz, konnte aber das Schlimmste verhindern. Das Kerzenlicht flackerte. Der ganze Raum tanzte für ein paar Augenblicke.

      „Die Hexe aus den russischen Märchen?“

      Ein wunderbar geschmackvoller Raum! Hatte Karla von Anfang an gefunden. Etwa fünf Meter hoch, schätzte sie. Man kam nach der eisenbeschlagenen, alten Eichenholztüre durch den klassischen, weinroten Wollfilzvorhang herein, ein Windfang, zweigeteilt, auch schwer und alt, unten mit Leder abgesäumt, aufgehängt an Messingringen. Rechts daneben ein etwa drei Meter breites Fenster, unverhängt und von knapp über dem Boden bis etwa einen Meter unter die Decke durchgängig. Es gab einem das Gefühl, entweder selbst draußen zu sitzen, oder aber, dass die Hektik der Großstadt einem ungehindert über den Tisch lief. Und durch den Bauch. Ein Schild, alt. Geschlossen.

      „Ja, die schlimmste Hex’, die in Wien herumläuft! Dass diese ganze Verwaltungsarmada in diesem Land immer blutrünstiger wird, ist das eine. Aber was diese Frau aufführt, ist nicht zu ertragen.“

      „Du hast eine Rechnung mit ihr offen.“

      Das Licht flackerte wieder.

      „Sie ist im Marktamt die oberste Chefin der Abteilung Gastronomie.“

      „Ui.“

      Anton nahm einen übergroßen Schluck Wein und goss sich hektisch nach.

      „Willst das wirklich wissen?“

      „Erzähl ruhig. Wird dir auch guttun.“