Название | Die vorderen Hände |
---|---|
Автор произведения | Martin Zels |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783992002962 |
Seine Worte hatten sie im Griff. Kaum gelang ihr echte Konzentration. Wenn sie ehrlich war, starrte sie nur in die Noten, um in keine Leere zu schauen, und in der Leere in einen Abgrund.
Der Platz am Klavier. Ein wenig war das wie ihr Platz am Kamin. Die vergilbten und abgegriffenen Tasten beruhigten sie, führten sie in einen leeren Raum, aus dem heraus sie sich selber zuschauen konnte. Beim Ausder-Ruhe-sein. Beinahe war das die viel schönere Ruhe. Nicht selten waren sie in solchen Stimmungen schon auf grundlegende Wahrheiten gestoßen, sie und sie.
Ja, ich bin eine Frau. Ich bin hübsch, sagt man, und ich finde das auch, meistens. Und ich hasse es, wenn ich sogar in mir drin zuerst auf Äußerliches stoße. Es ist doch scheißegal, wie ich aussehe. Nein, ist es nicht. Aber das hat nichts zu tun mit meiner Qualität als Musikerin. Ganz ehrlich, den meisten Dirigenten hat es eher genützt, wenn sie gut ausgesehen haben. Und bei den Frauen ist es natürlich wieder ein Nachteil. Ich will diese blöden Geschlechterdinger nicht haben in der Kunst! Im Orchester haben sie es wenigstens halbwegs geschafft, gleichberechtigt nebeneinander zu spielen, Frauen und Männer; na ja, was man gleichberechtigt nennt. Sie lassen sich halt in Ruhe. Ist ja schon was. Aber vorne am Pult, eine Katastrophe! Ach, eine Frau dirigiert mir einfach nicht leidenschaftlich genug, der packende Zugriff fehlt doch da immer, bäbäbäh. Speiben könnt ich. Und dass ich trotzdem ein Kind haben will, oder zwei, irgendwann, was soll denn daran schlimm sein? Was kann ich denn danach nicht mehr machen? Keine Tourneen, so ein Witz! Brauchst halt einen g’scheiten Mann dazu. Hast halt nicht. Leck mich.
Sie las und blätterte in Igor Strawinsky herum, amüsierte sich über frühere technische Eintragungen, war stolz über ihre heutige Souveränität in diesem Werk, und verwarf sich wieder, weg will ich, in irgendein Eck. Und raus. Aus.
„Ich glaube, du wirst das wunderbar machen.“
„Ach, du.“
Die Stimme kam leise hervor, aus ihrer stillen Herberge, und flog aus, in den dunklen Raum. Hinten am Bett standen zwei Kerzen, und das schwache Pultlicht über den Noten tauchte Karla in einen schummrigen Kreis aus mühsamem Interesse. Der Rest: In Dunkelheit getauchte Wirklichkeit. Auch im Sommer war hier immer ein Ton Herbst. Ihr kleiner Pavillon im Hinterhof, diese steingewordene Mischung aus Exil und Stallwärme, ein Refugium für allerlei Wiener Absonderlichkeiten. Darin geborgen: Eine weibliche Dirigentin in Selbstzweifeln, und eine Stimme, die irgendwann, irgendwie, einem Körper entlaufen sein musste. Dem Klang nach ein schöner, stellte Karla sich öfter vor.
„Kannst du inzwischen Gedanken lesen oder meinst du die Noten hier?“
„Deine Gedanken sind, wie immer, gar nicht zu übersehen, du Schöne. In allen Winkeln haben sie sich zueinander gestellt wie Schatten.“
„Das klingt bedrohlich.“ Sie gähnte.
„Das sollte es nicht. Ich liebe den Schatten.“
„Ich liebe ihn auch.“
„Ich weiß, Karla.“
„Glaubst du, ich kann mit so vielen wirren Träumen im Kopf auch nur den Hauch einer Seligkeit im Leben finden?“
„Das glaube ich!“
Der Mann im Klavier klang oft, als ob er lächelte. Jetzt klang er ernster, auch tiefer als sonst.
„Ohne diese Träume wüssten die vielen Schatten doch gar nicht, dass sie hier zu Hause sind, Karla. Bei dir.“
„Weißt du. Der Mann, von dem ich träume, der hat vielleicht auch so eine Stimme wie du.“
„Ach. Und wie wäre er noch? Sein Gesicht, wie ist es?“
„Das weiß ich nicht. Ich kann ihn nicht sehen. Ich höre ihn eher. Und gar nicht so sehr seine Stimme. Sondern seine Musik.“
„Er ist Musiker? Wie du?“
„Nein, anders als ich. Er schreibt, er erfindet Musik. Ich dirigiere sie doch nur.“
„Was für Musik? Ich interessiere mich sehr für Musik.“
Karla lachte hell auf, ein kleiner Blitz im Dunkeln.
„Das glaub ich, dass du das tust! Du wohnst in einem Klavier, mein Lieber, in meinem Klavier!“
„Stand es nicht schon vor dir hier?“
„Ja, aber jetzt ist es meins?“
„Das ist wohl richtig.“
„…“
„Und du kannst die Musik hören, die Musik, die dieser Mann schreibt, dieser Mann, von dem du träumst, und den du vielleicht lieben wirst?“
Das Tempo seiner Worte war von einem solchen Ebenmaß, dass …
„Und wie ich den lieben werde! Er soll nur halt endlich kommen!“
Wieder ihr Lachen, ein leiseres jetzt. Kein Blitz, nur ein Glimmen. Und seine Stimme, jetzt fast greifbar, schwieg dazu.
„Ja, ich höre seine Musik. Schon seit ich ein Kind war, höre ich die! Immer wieder begegnet sie mir. Manchmal aus heiterem Himmel, manchmal nicht. Weißt, ich glaube, diese Musik ist sogar der Grund, warum ich das alles hier überhaupt angefangen hab.“
„Ist sie schön, diese Musik?“
„Sie ist vollendet. Sie ist alles! Sie ist so überirdisch und vollkommen wie nichts anderes. Aber es ist mir unmöglich, sie auch nur im Ansatz aufzuschreiben, sie irgendwie festzuhalten. Wie oft hab ich das versucht! Weißt du, ich bin so sicher, dass diese Musik von einem Mann kommt. Von genau diesem Mann! Und dass genau dieser Mann zu mir gehört, oder sogar ein Teil ist von mir. Von uns.“
„Das ist jetzt so schön gesagt worden. Danke dafür, Karla, so viele Male!“
„Geh, hör auf, es ist halt das, was es ist.“
„Ich glaube, du wirst das wunderbar machen.“
„Das hast du vorhin schon gesagt.“
„Das weiß ich.“
„Was meinst du denn genau damit?“
„…“
„Magst du mir nicht endlich einmal sagen, wie du heißt?“
„…“
„Gut, dann nenn ich dich halt ab jetzt Ferdinand. Ganz wienerisch. Wer weiß, ob du überhaupt von hier kommst? Hm, Ferdl?“
„…“
Bei meiner alten Hausverwalterin
ging das noch.
Jetzt nicht mehr, bei der neuen.
Kaum, dass sie mir das erste Mal
eiNEN BRief geschrieben hatte
Wusste ich, dass ich sie nicht mit
Liebe würde vertrösten können .
Eine Idee Blau
Die Beiried von der Kalbin lag schon auf dem Teller. Die reduzierte Madeira-Jus kochte kurz noch einmal im Kupfertopf auf, bevor sie erst als feine, sämige Spur am Rand des Tellers entlangwanderte, geschickt einmal um die drei Variationen vom Kohlrabi herumtanzte – roh, glasiert und als beinahe schaumiges Püree – und sich dann sachte an das Fleisch legte. Die dunklen Schalotten, in Rotwein, Lorbeer und Butter reduziert, bekamen als zwei gelöffelte Nocken ihr kleines Solo gegenüber. Eine Spur grünes Öl zwischen Püree und Schalotten. Die Pinzette nahm huschend die Zucchiniblüten auf, gruppierte sie auf den höchsten Punkten des Gerichts, Püree, Kalbin, dann steckte sie die Brunnenkresse an den Rand der Nocken. Schnell noch zwei eingelegte, dünne Radieschenscheiben an das Fleisch gelehnt, und schon zog sie sich tanzend wieder zurück in Antons Brusttasche. Seine Zunge schnalzte. Tschlak. Er konnte