Die vorderen Hände. Martin Zels

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Название Die vorderen Hände
Автор произведения Martin Zels
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783992002962



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er mittags aufgewacht und hatte auf seinem Dachbodenabteil fieberhaft nach der alten Schreibmaschine gesucht. Die seine Mutter auf dem Flohmarkt gekauft hatte. Weil sie zu billig gewesen war. Seine Mutter hatte ein Auge für gute, alte Dinge, besonders wenn sie zu billig waren. Und diese Maschine hatte er ihr weggenommen. Manche Söhne dürfen so etwas. Er hatte sie mitgenommen. Für –

      Wer wollte schon wissen, wofür?

      Er hatte sie erst nicht halb so sehr geschätzt, wie seine Mutter gehofft hatte. Hatte sie deshalb gelangweilt oben auf seinem Dachboden verstaut, wieder zurück in Wien.

      Aber an einem Mittwochmorgen wollte er plötzlich seine Gedichte nur noch mit einer Maschine schreiben. Mit genau dieser Maschine. Man konnte ein Gedicht nicht am Computer schreiben! Nie mehr, ab jetzt.

      Er forderte, dass man sich künftig vorher überlege, was man zu sagen habe, er wollte, dass schon das fehlerhafte Schriftbild, die noch nicht fertige Form, den Lesern sofort zeige, dass das Momentaufnahmen waren! Nicht mühselig verdichtetes Material. Nicht schwächelnde, tausendmal neu formatierte Gewächse!

      Er wollte jeden Tag eines schreiben.

      Was ihm in guten Zeiten auch gelang.

      Und schon nach kurzer Zeit sah man, dass seine Gedichte jetzt unmittelbarer wirkten, viel lebendiger sprachen als noch vor seiner Schreibmaschinenepoche. Als zeitgenössischer Dichter hatte Darius Pettrich daraufhin natürlich sofort das „neue mechanische Zeitalter“ ausgerufen, hatte sich unter den Bobo Jagern viele Nachahmer erhofft. Stattdessen aber jedes Mal Gelächter geerntet, wenn er davon erzählte. Weshalb er das Ausrufen wieder bleiben ließ.

      Nur ab und zu, wenn sie alle wieder einmal in seinem Zimmer gelandet waren, entdeckte natürlich immer einer die alte Schreibmaschine. Im obersten Fach des schäbigen Regals. Und daneben den Stapel mit seinen Tagesgedichten.

      „Geh bitte, wofür brauch ich um die Zeit noch eure vollkommen depperten Meldungen?“

      Natürlich saß man heutzutage viel mehr draußen. Erst recht im Sommer. Die Weinkanister in den Parks, die mitgebrachten Flaschenbiere in den drahtseilgesicherten Schanigärten. Nach Sperrstunde. Bis irgendwo immer ein Fenster aufging.

      „Könnts ihr jetzt einmal die Bappm halten, da drunten!“

      „Bittä, bittä, Porca Madonna! Bambini nixe schlafe, immär, immär dumme spreche und singe, halte sie bittä, bittä die Goschn, subito! Stupide! Porca Madonna!“

      Er zog das vorhergehende Gedicht aus dem Stapel. Es war schon drei Tage alt. Und er verstand noch immer kein Wort davon.

      Wieder zurückgedacht,

      sich wieder eingefunden

      Alles bezahlt, viel ausgegeben, soweit

      Zurück, er hat sich wieder eingefunden

      Jetzt ist Unten, hier ist Tief,

      dort ist Oben

      Schon ganz zu sehen, alle Blicke,

      alle Weite, jetzt

      Unten bleibt eins, und bleibt jetzt,

      dort ist oben

      Wieder und wieder, weiter,

      und weg, nach weiter

      Kann da eine stille Weile,

      kann alles sein, soweit

      Dort bleibt aber Oben,

      und alles will als ich

      Nach weiter!

      Ja, das war ganz … nun, wie war es denn? Sinnlos?

      Gut möglich.

      Und wenn schon! Das muss doch möglich sein! Dass man jeden Tag anders schreibt. Dass man jeden Tag anders ist. Und anders lebt, anders geht, anders denkt, alles! Anders.

      Ja, bien sur, Jeanne d’Austria!

      Du hast ganz große Augen.

      Und really aufregend dein MUnd!

      Am Abend suchst Du Deinen Teint

      Verloren, gestern, what a morning…

      Und ach,Du bist zuviel? Zwei Pfund?

      Du findst Dich nicht im Spiegelchen?

      Hör! Auf den Strassen

      weht ein dusty wind

      Allez, Enfants, kommt,

      schenkt Uns eure Hände!

      Anton, roxane & freunde

      Antons Lust hielt sich heute sehr in Grenzen. Inzwischen tat sie das öfter.

      Dafür war die Wut wieder einmal schwer hinter den Gattern zu halten. Seine übergroße Wut. Es war ein kleines Wunder, dass die Gäste nicht manchmal krank wurden von der Wut in seinem Essen. Dass sie nicht über Nacht zu Käfern wurden. Oder einfach lautlos vergingen! Einfach, weil er ihr Essen mit solchem Grimm im Bauch komponiert hatte.

      Stattdessen ließen sie ihm frech weiter Grüße zukommen – wenn es denn welche waren, die ihn noch von vorher kannten. Als sein Laden noch „Roxane“ geheißen hatte. Oder sie erzählten Gitti munter, wie außerordentlich und bemerkenswert und überraschend und wohltuend doch die Küche hier sei!

      Seine Küche.

      Über dem großen Herd hing bis heute der gleiche, goldene Spiegel. In dem er sich bis heute anschauen musste: Anton, der meisterhafte Koch von damals! Und heute? Der Totalversager. Ein Feigling.

      Schon bei der ersten größeren Krise hatte er das Handtuch geschmissen. Hatte sich von seinem eigenen Personal einschüchtern lassen. Hatte ihnen geglaubt, dass sie ihn weiter regieren lassen würden, in seiner Küche.

      In seiner Küche!

      Und dann hatte er ihnen alles übergeben. Nur, damit der verdammte Laden nicht zumachte. Und hatte sich von ihnen in seinem eigenen Lokal anstellen lassen, als Koch.

      Dieselben Idioten, angeblich waren sie einmal seine Freunde gewesen, hatten ihn vor Urzeiten sogar gedrängt, auf Knien angefleht, dass er sich doch endlich selbstständig machen solle, dass er sein Leben, seine Karriere, seine Küche in die eigene Hand nehmen solle, endlich, es sei doch verdammt nochmal höchste Zeit, dass er, der Anton, es allen zeige!

      Und dann hatte er es allen gezeigt.

      Seine Freunde hatte er natürlich mit hereingenommen, so wie sie es sich gewünscht hatten: bei ihrem Freund, beim Anton, im Dienst, im Roxane! Als einfaches Personal. Buchhaltung. Kellnerin. Chef de Partie. Alle zusammen hatten sie bei ihm lernen wollen, wie man so ein Lokal führt. Wie man es regiert. Regieren, ja! Hatte er schon immer so gesagt, denn er war ein König. Er war der König der Köche in Wien.

      Und heute, zwei Jahre später? Hatte er seinen Stern längst abgegeben. Und sein Lokal auch. Abgegeben an das eigene Personal, an seine früheren Freunde. An genau die Leute, die sehr gut aufgepasst hatten, die gut bei ihm gelernt hatten, wie man regiert, und die er wegen Betruges verklagen würde, wenn er nur die Mittel dazu hätte.

      roxane & freunde.

      Heute stand er in ihren Diensten. Und als Chef de Cuisine in ihrer Küche. Bert stand daneben, viel zu oft. Als Chef de Partie. Das war die offizielle Bezeichnung für einen leitenden Gesellen. Es brauchte ja weiter einen. Der in der Vorbereitung auf den Abend in der Küche mithalf. Wenngleich es auch ziemlich lächerlich war, sich selbst als einzelnem Kerl den Titel „Chef de Partie“ zu verleihen. Aber Bert liebte Titel. Und Anton nannte ihn einfach „Parteichef“.

      Gitti servierte, hatte das sogar gelernt, einst. Angeblich. Edi, der Buchhalter, hielt weiter die Bücher. Statt den Mund. Und er, Anton, kochte nach ihren Vorgaben. Nur seine Rezepte, das freilich schon! Davon verstanden sie ja bis heute viel zu wenig. Das war gut so. Aber er musste ihre Karte kochen. Ihren mittelmäßigen. Kleingeistigen. Weg. Mitgehen.

      roxane