Die vorderen Hände. Martin Zels

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Название Die vorderen Hände
Автор произведения Martin Zels
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783992002962



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das Blut in den Adern gefriert! Scheißfreundlich tut sie, und hintenrum sperrt sie dir deine Küche zu.“

      „Ist das die, von der du schon erzählt hast? Die mit deinen Freunden gemeinsame Sache gemacht haben soll?“

      „Genau die. Stauffacher. Adele. Diese Idiotin.“

      „Und die war heute da?“

      „Ständig kommt sie her, rein privat, selbstverständlich, und auch erst, seit es das ‚roxane & freunde‘ ist. Was für ein Zufall, oder? Mir hat sie damals die Hölle heiß gemacht, hat mir so horrende Nachbesserungen aufgebrummt, dass ich fast gespieben hätt. In der Küche hauptsächlich, von wegen Holzbrettln und Kühlregale und Hygiene, aber auch bei den Klos, obwohl das immer alles sauber war, Klimaanlage, und was weiß ich noch alles! Überall hat ihren Leuten was nicht gepasst. Ich hab so einen grandiosen Start hingelegt, zwei Jahre lang war meine Küche jeden Tag voll, verstehst? Und dann kommt die daher, schreibt eine Liste und ruiniert mit einem kleinen Wisch mein Lebenswerk. Und dann?“

      „Weil du die Nachbesserungen nicht bezahlen hast können?“

      „Das war doch ein Wahnsinn! Und dann hat sie so freundlich mit mir getan, dass ihr das auch leidtut, und dass sie überzeugt ist, dass ich ein großer Koch bin, vielleicht einer der besten in Wien, aber dass ihr da halt die Hände gebunden sind. Die falsche Sau. Dieses Geld. Ich hab dieses scheiß Geld so satt!“

      Anton schmiss gerne mit Sachen. Zuerst flog heute die Tischblume. Quer durch den Gastraum.

      Der Gastraum. Hoch. Unten ein zwei Meter hoher, weiß getünchter Sockel, rundherum. Unterbrochen von einem weiteren weinroten Vorhang, hinten: „Zu den Toiletten“, wunderschöne, alte Schrift, grüngrau. Und von der kleinen Theke zur Küche hin Messing. Oberhalb dieses weißen Sockels war alles bloß, war Zeugnis, stehengelassene Zeit, illustriert von unzähligen verschiedenen Anstrichen aus wenigstens zwei Jahrhunderten. Teils farbig, teils abgeblättert. Wasserflecken, Gasrohre. Alles von einer Patina überzogen, die nicht nur von Zigarrenrauch erzählte. In der Mitte ein quadratischer, hoher, mattschwarzer Kachelofen, modern, und durchgängig umlaufen von einer schwarzen Ledersitzbank. Fünf gleich große, quadratische Tische, ebenfalls schwarz, Eiche, schlicht.

      „Aber deine Freunde haben die Sache –“

      „Das sind nicht meine Freunde, merk dir das! Sie haben das Geld gehabt, ich hab es nicht gehabt. Ganz einfach. Das war halt mein Pech. Aus. Kann passieren! Ja, stimmt schon, das waren einmal Freunde, und sie haben mir das damals ja sogar eingeredet, dass ich unbedingt selbstständig sein soll und einen eigenen Laden brauche. Waren halt Fans von meiner Küche, und wahrscheinlich haben sie von Anfang an spekuliert auf die Nummer! Ich bin aber auch ein Depp! Ich hätte spätestens hellhörig werden müssen, als die bei mir als einfaches Dienstpersonal anfangen wollten.“

      „Und wie ist das dann zugegangen?“

      „Ganz einfach. Watscheneinfach! Die Baba Yaga hat nicht lockergelassen, da hab ich telefonieren können, oder selber hingehen, so oft ich wollt. Einen Zahlungsplan hat sie mir noch gemacht, und eine Frist gesetzt, und dann war Schluss. Ba Ba! Ciao. Und das haben halt die drei mitbekommen. Zumindest haben sie es mir so erzählt! Dann ist dieser Anruf gekommen. Dass ihnen das so leidtut und dass sie einen Vorschlag machen möchten. Bummsdi, war ich meine Selbstständigkeit wieder los.“

      Ein alter Dielenboden, liebevoll restauriert. Und Stühle, alle verschieden. Keiner glich dem anderen, alles war vertreten, Biedermeier, Jugendstil, Fünfziger, alles. Nicht selten versuchten Stammgäste, immer auf demselben Stuhl zu sitzen. Verzeihen Sie, gnädige Frau, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich Ihnen diesen wunderschönen Art-déco-Hocker überlasse, und mir dafür den ihren …? Nein, bitte nicht böse sein, ich häng sehr an dem Stuhl, und hab ihn mir grad vorhin erst selber eintauschen müssen!

      „Also, sie haben dir das Geld geliehen?“

      „Nein, das wollt ich nicht! Lieber hätt ich meine Küche zugemacht und wäre wieder zum Frondienst in irgendeinen besseren Laden gegangen, Jobprobleme hab ich ja nicht. Nein. Sie haben vorgeschlagen, dass sie das ‚Roxane‘ pachten, also übernehmen, alle Nachbesserungen einrichten, und es zu dritt führen. Der Bert weiter neben mir, als Hilfe in der Küche, und die Gitti im Service. Der Edi als Geschäftsführer, aber nur von Zuhause aus. Ich soll für ein festes Gehalt weiter kochen, zwei Ruhetage, ein bissel veränderte Küche, aber im Prinzip mein Ding, und sie haben so auch was davon.“

      „Eigentlich nicht schlecht, die Idee.“

      „Ja, das hab ich erst auch gedacht. Und dann hat es auf einmal ‚roxane & freunde‘ geheißen. Der Laden ist bombig weitergelaufen, und ich war einer von vier. Und zwar der Hinterste. Und wer ist seither immer wieder im Lokal? Sicher einmal im Monat?“

      „Die Baba Yaga.“

      „Bingo, Bummsdi! Kommt herein, lässt mich immer schön in der Küche grüßen und versteht sich mit der Gitti so prächtig, dass man sie fragen möcht, ob sie schon zusammenwohnen. Wie die miteinander tuscheln, und nachher immer schön noch zwei, drei Grappa! Da erzählt mir keiner, dass das nicht ein vollkommen abgekartetes Spiel war.“

      „Was meinst genau?“

      „Wenn du mich fragst, dann haben die das zu viert eingefädelt. Die drei sind irgendwann zu der ins Amt gegangen, haben ihr einen Hinweis gegeben, man könnt doch beim Anton Roggen mal ein paar Sachen finden, und was weiß ich, vielleicht haben sie die Hexe sogar beteiligt! Wenn sie nur dafür sorgt, dass ich den Löffel von der Roxane abgeb! Vielleicht speist sie seither umsonst, weiß ich das?“

      Es klopfte an die Scheibe.

      Draußen stand ein schmaler, eher hagerer Kerl, zeigte auf Karla, winkte, hüpfte von einem Bein auf das andere, und grinste.

      „Den kenn ich. So, Bürscherl, jetzt wart einmal!“

      Anton sprang auf. Sein Gewicht? Vergessen. Und war mit einem Satz schon vor dem roten Windfang.

      „Anton, hör auf!“ Karla verstand erst jetzt, was vor sich ging.

      „Ich kenn ihn auch, der ist meinetwegen da.“

      Anton blieb genauso jäh stehen, wie er sich auf die Beine geschmissen hatte. Drehte sich um, und –

      „Das ist der –“ Beide, gleichzeitig.

      Jetzt Karla: „Darius, ein Freund von mir!“

      Und Anton: „– der immer meine Kundschaft vertreiben will!“

      Draußen hatte der Kerl auch innegehalten. Größere Augen jetzt als sonst. Aber schon hüpfte er wieder, grinste, winkte, klopfte.

      „Sag mir einen Grund, warum ich den nicht auf der Stelle windelweich schlagen soll? Schnell!“

      Schon war er wieder auf dem Weg. In diesem Moment fiel Anton ein, wer er jetzt in allererster Hinsicht war: ein Mann, der verdammt scharf auf Karla war. Sein Groll war nur noch halb so groß, ganz plötzlich.

      Der Mann, draußen, schaute. Die Frau, drinnen, schaute. Der Mann, drinnen, fragte, atmete schwer. Kein Rösselsprung.

      „Bist du sicher, dass das eine gute Idee ist, den kleinen Stinker –“

      „Anton, ich glaube, du bist ein Trottel. Komm, lass ihn kurz rein.“

      „Hey, spinnst du?“

      „Was soll das Gehabe?“

      Der Mann, draußen, war noch kein Mann.

      Da stand er einfach, der Kerl.

      Und grinste.

      Stumm.

      Mit stierem Blick voran gesehen

      Nicht nach vorne, nein,

      wo denkst du hin?

      Auch nicht nervös um sich

      herum im kreis geglotzt

      Nur voran, gesehen,

      sogar voran gehört, und ja-