Tod im Bankenviertel. Detlef Fechtner

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Название Tod im Bankenviertel
Автор произведения Detlef Fechtner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955423957



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geht.“

      Der Chefredakteur willigte stumm ein, indem er nickte und seine rechte Hand wie zum Schwur erhob. Dann aber hakte er sofort nach: „Ich hatte also recht mit meiner Vermutung, dass irgendjemand das Opfer aus dem 47. Stock in den Tod gestoßen hat?“

      Der Polizeipräsident schüttelte den Kopf: „Nein.“

      Verwirrt fragte Stolberg: „Wie? Also war es doch ein Selbstmord?“

      „Nein“, antwortete Herzog erneut. „Es ist komplizierter.“ Der Polizeichef rückte etwas nach vorne, lehnte sich zu seinem Gesprächspartner hinüber und sprach so leise, dass die Tischnachbarn garantiert nichts aufschnappen konnten: „Wir gehen nach der ersten Obduktion davon aus, dass das Opfer bereits tot war, als man es in das Hypo-Hochhaus verfrachtete und vom Dach herunterwarf. Und das, mein lieber Stolberg, bedeutet nichts Gutes. Wahrscheinlich haben wir es mit dem zu tun, was unsere Kriminalisten ein Zeigedelikt nennen. Irgendwer will wohl irgendwen erschrecken. Oder warnen. Oder rächen. Oder was auch immer. Auf jeden Fall sieht es danach aus, dass wir gerade erst den Auftakt zu einer ganzen Serie von Kriminaltaten erlebt haben.“

      Stolberg nickte und erinnerte sich daran, dass sein junger Redaktionskollege Oskar Willemer beim Gespräch nach der Blattmacherkonferenz am Vormittag bereits ähnliche Vermutungen geäußert hatte.

      „Sie haben völlig recht, Herr Herzog“, sagte Stolberg schließlich. „Das bedeutet wirklich nichts Gutes. Wahrscheinlich haben Sie es mit einem Täter zu tun, der ebenso systematisch wie kaltblütig vorgeht.“

      8

      Nur wenige wussten, wie der Schatzmeister mit richtigem Namen hieß. Alle sagten zu ihm Schatzmeister, so wie sie Nowitzki ungefragt Nowitzki nannten und Vito eben Vito. Es konnte nur von Vorteil sein, wenn jeder gerade das Nötigste über den anderen wusste. Der Schatzmeister freilich war die Ausnahme. Er war der Einzige, der alle Beteiligten auch mit ihren echten Namen kannte – oder zumindest alle, die zur eigentlichen Mannschaft zählten. Bei ihm liefen die Fäden zusammen, er koordinierte das Projekt. Und er gab die Anweisungen.

      Zur Mannschaft im engeren Sinne gehörten auch Nowitzki und Vito. Sie konzentrierten sich auf Botendienste und Spezialaufgaben – der Schatzmeister sprach von ihnen als den „Handwerkern“. Ihre Arbeit war allerdings strikt auf Aufträge beschränkt, die jeder Kleinkriminelle ausführen konnte. Dass sich der Schatzmeister gerade für den großen Blonden und den kleinen, pummeligen Portugiesen entschieden hatte, lag daran, dass er die beiden schon seit Ewigkeiten kannte. Sie waren zwar nicht brillant, aber hundertprozentig loyal – und sie hatten noch etwas gut, weil Nowitzki vor einigen Jahren zu Falschaussagen vor Gericht bereit gewesen war, um ein Alibi zu decken. Insofern waren sie in den Augen des Schatzmeisters durchaus die Richtigen für alle Dienste, die nicht allzu große Geschicklichkeit und Kaltblütigkeit verlangten.

      Für alles, was darüber hinausreichte, gab es einen Profi namens Mikail, mit dem selbst der Schatzmeister nur telefonisch in Kontakt trat – sozusagen ein externer Partner für das grobe Geschäft. Der Schatzmeister vermutete aufgrund des starken slawischen Akzents, dass er es bei Mikail mit einem in Deutschland untergetauchten Russen, Weißrussen oder Ukrainer zu tun hatte. Er war gleichzeitig froh, dass er es nicht mit Gewissheit sagen konnte. Denn das gab ihm das Gefühl, dass Mikail seinerseits auch keine Ahnung hatte, von wem er Instruktionen und Geld erhielt – und das war dem Schatzmeister ausgesprochen recht. Denn ihm war unwohl dabei, mit einem kriminellen Söldner zusammenzuarbeiten. Mehr noch: Er hatte schlichtweg Angst vor diesem Mann am anderen Ende der Leitung, der kaltschnäuziger war als er selbst und deshalb unheimlich und bedrohlich. Andererseits blieb ihm keine andere Wahl, als auf Mikails Dienste zurückzugreifen, wollte er nicht auch die schmutzigen Aufgaben selbst erledigen, die das Projekt nun einmal mit sich brachte.

      Neben Nowitzki und Vito gehörten ein halbes Dutzend Software-Fachleute zum Team – allen voran Hakan, ein begnadeter Hacker, dem es bereits gelungen war, in viele geschützte Systeme einzudringen. Hakan war in Belgrad geboren, seine Familie siedelte ins Rhein-Main-Gebiet um, als er gerade einmal drei Jahre alt war. Trotzdem hatte er bis heute engen Kontakt mit Serben, Kroaten, Montenegrinern und insbesondere Albanern. Zwei albanische Freunde waren es auch, die ihn dazu brachten, sich bereits als Teenager intensiv mit Software, Programmierung und Ausflügen ins Netz zu beschäftigen.

      Schließlich waren da noch insgesamt acht Händler und Aktienstrategen aus sechs verschiedenen Banken, die sich um die Finanzen kümmerten. Und um die Verwaltung des eingesetzten Kapitals – selbstverständlich unter strenger Kontrolle des Schatzmeisters, der den Bankern genaue Anweisungen erteilte. Sie waren für den operativen Teil zuständig und mussten möglichst unauffällig und kursschonend Wertpapiere zusammenkaufen. Eigentlich waren es ja neun gewesen. Aber einer von ihnen war heute Morgen aus dem Hypo-Union-Tower gefallen und lag nun tot auf dem Obduktionstisch der Gerichtsmedizin.

      Der Schatzmeister gab nicht nur die Aufträge. Er war es auch, der die Gehälter überwies – natürlich über Umwege auf Drittkonten, um es im Fall der Fälle Ermittlern so gut wie unmöglich zu machen, der Spur des Geldes zu folgen. Keiner konnte sich beschweren – weder die Banker noch die Software-Truppe, ganz zu schweigen von Vito und Nowitzki. Die monatlichen Zahlungen an sie lagen um ein Vielfaches über den Einkommen, die alle Beteiligten mit ehrlicher Arbeit hätten einstreichen können. Die Risikoprämie war also durchaus üppig und das Geld leicht verdient. Allerdings gab es keine Kündigungsmöglichkeit. Das zumindest war allen Beteiligten klar, spätestens seit sie heute die Tickermeldungen über den Toten im Bankenviertel gelesen hatten.

      Dass der Schatzmeister in der Schaltzentrale des Projekts die entscheidenden Hebel bediente, hieß allerdings nicht, dass er der Chef des Projekts war. Alle zwei Wochen kam er mit vier Anwälten zusammen, die den „Aufsichtsrat“ bildeten und dort die Interessen ihrer Mandanten vertraten – einem Dutzend anonymer vermögender Privatpersonen, die das Kapital für die ganze Unternehmung zur Verfügung stellten und sich vollkommen im Hintergrund hielten.

      Der Schatzmeister kannte nur einen von ihnen – Gregor Corvinius, einen Kronberger Investmentbanker, der sich in den späten neunziger Jahren drei Millionen Euro in die eigene Tasche geschaufelt hatte. Corvinius war reich geworden, indem er seine Position als Händler im Auftrag von Versicherungen und Fonds ausgenutzt hatte. Er hatte sich unmittelbar vor großvolumigen Geschäften seiner Kunden auf private Rechnung mit den entsprechenden Wertpapieren eingedeckt und sie wenige Stunden später gewinnbringend wieder abgestoßen. Dieses Frontrunning war nie aufgefallen, denn die Summen, mit denen Corvinius in die eigene Kasse wirtschaftete, waren maximal fünfstellig – und damit zu klein, um die Aufmerksamkeit der Marktaufsicht auf sich zu lenken.

      Anders als der Schatzmeister war Corvinius immer nach oben gefallen. Und man hatte ihm niemals irgendein Fehlverhalten im Handel mit Wertpapieren nachgewiesen, obwohl er sich aller möglicher unlauterer Praktiken bedient hatte. Gerade wegen dieses ausgeprägten Talents, sich nie erwischen zu lassen, war Corvinius von vornherein der Wunschpartner des Schatzmeisters gewesen. Deshalb hatte er vor acht Monaten schrittweise den Kontakt zu ihm aufgebaut und ihm schließlich im März, als er vertraut genug mit ihm war, den kompletten Plan vorgetragen.

      Die Kalkulation war voll aufgegangen. Corvinius war sofort von dem Vorhaben begeistert und stieg ein. Er brauchte anschließend gerade einmal zehn Tage, um die nötigen anderen Geldgeber an Land zu ziehen. Bereits im Mai landete die erste Überweisung auf dem Konto des Schatzmeisters, sodass er sich unverzüglich an die konkrete Umsetzung des Projekts machen konnte. Über jeden einzelnen Schritt wachte allerdings der „Aufsichtsrat“, um dessen Geheimhaltung viel Aufhebens gemacht wurde. Eigentlich kein Wunder, schließlich waren dort Anwälte mit von der Partie. Und denen ging genau jene Risikofreude und Unverfrorenheit völlig ab, die Investmentbanker wie Corvinius auszeichneten.

      Der Schatzmeister setzte sich vor einen der sechs Bildschirme in der Zentrale, steckte sich eine filterlose Zigarette an und klickte sich durch die Meldungen der Nachrichtenagenturen. Alle hatten sie über den Toten im Bankenviertel berichtet – Realtime, Worldnews, apx und die Mediendienste sowieso. Der Schatzmeister nahm den Meldungsstand mit Genugtuung zur Kenntnis. Es war so gut wie ausgeschlossen, dass irgendjemand aus der Mannschaft nicht davon erfahren hatte. Saßen doch Banker und Softwareentwickler, so