Tod im Bankenviertel. Detlef Fechtner

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Название Tod im Bankenviertel
Автор произведения Detlef Fechtner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955423957



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froh drum, dass es heute wenig Neuigkeiten gibt“, erklärte Ben, „denn ohne O’Bowman – also ich meine ohne den echten O’Bowman – muss ich alle Meldungen selbst schreiben. Zumal ich mich ja auch noch um diesen blöden Selbstmörder bei der Hypo-Union kümmern muss.“

      „Ach, du meinst den Toten, den sie vor dem Hypo-Union-Hochhaus gefunden haben? Ich bin noch längst nicht überzeugt, dass das ein Selbstmörder war – ich habe da eine ganz andere Vermutung“, entgegnete Oskar.

      „Von der musst du mir später erzählen, Oz“, brach Benjamin die Plauderei mit ihm jäh ab, denn auf der Gegenseite des Foyers gaben ihm die Kollegen von apx und Realtime gerade das Signal, dass er sich sputen müsse. „Verdammt, ich habe mich sowieso schon verquatscht. Es ist fast Viertel nach elf, ich muss runter zum VIP-Eingang. Berenbrink ist im Anflug und wir müssen ihn gleich am Eingang abfangen, sonst kriegen wir heute keine vernünftige Zeile mehr von Mister Bundesbank“, verabschiedete er sich von Oskar. „Oben im zweiten Stock findest du einen Presse-Arbeitsraum für die Agenturen, da wird alles auf Leinwand übertragen, was dich interessiert“, rief er Oskar noch rasch zu. „Und außerdem gibt es da oben eiskalte Cola, belegte Brötchen und Redemanuskripte. Und keine Hostessen in Gelb, die einen rausschmeißen wollen.“ Mit diesen Worten war Benjamin in der Menge der Banker verschwunden.

      Oskar drehte sich um, schritt zu den Aufzügen und machte sich auf den Weg in die zweite Etage.

      5

      Und Sie glauben wirklich, dass sich irgendjemand für diese staubtrockenen Themen interessiert?“, fragte Franz Berenbrink seinen Pressesprecher Tobias Heinen ungläubig.

      Die beiden saßen nebeneinander auf der Rückbank des silbernen Daimlers mit den Panzerglasscheiben, in dem der Bundesbankchef zu seinen Terminen gefahren wurde. Berenbrink blickte mit miesepetriger Miene auf den 18-seitigen Text der Rede, die er in wenigen Minuten halten sollte. „Downside-Risk, Volatilität, Barwert – kein normaler Mensch hat bei 29 Grad im Schatten Nerven für solch einen Mumpitz“, schimpfte Berenbrink.

      „Herr Präsident, Sie sprechen ja auch nicht vor normalen Menschen“, entgegnete ihm sein Sprecher, der es gewohnt war, dass sein Chef vor Pflichtauftritten auf Bankkongressen oder bei Hearings maulig war.

      Von seinem Äußeren her passte Berenbrink durchaus in die Rolle des Notenbankers. Sein schlankes, strenges Gesicht und sein gescheiteltes graues Haar verliehen dem immer noch athletisch wirkenden 65-Jährigen Würde und Autorität. Auch brachte Berenbrink die nötige Kondition mit, um selbst schwierige Verhandlungen zu überstehen. Allerdings passten sein lebhaftes Temperament und sein direkter und manchmal frecher Umgangston so gar nicht zur landläufigen Vorstellung eines staatsmännischen Bundesbankers. Als lästige Pflicht empfand er zudem die vielen gesellschaftlichen Auftritte. Berenbrink war ein Mann wahlweise für den Poker im Hinterzimmer oder für das schnelle Bier an der Theke. Aber garantiert nicht für die Gala im Ballsaal. Und ganz sicher passte sein Arbeitsstil nicht zu dem von Behördengesichtern wie Pressesprecher Tobias Heinen, dem die Krawatte regelrecht an den Hals gewachsen war.

      „Schwer zu sagen, mit welchen Fragen Sie die Nachrichtenagenturen heute bombardieren werden“, lenkte Heinen das Gespräch auf das, was seinen Chef bei der Ankunft an der Alten Oper erwartete. Wie bei jedem öffentlichen Auftritt Berenbrinks würden ihn auch an diesem Tag die üblichen Verdächtigen bei der Ankunft abfangen: die Reporter der Nachrichtenagenturen. Realtime, Worldnews, apx, dpx und wie sie sonst alle hießen. Viele waren es ja nicht mehr, denn in Zeiten massenweiser, kostenloser Informationen im Internet war es immer schwieriger geworden, mit Nachrichten Geld zu verdienen. Weltbekannte, traditionsreiche Branchengrößen wie Reuters, Bloomberg oder Dow Jones waren unter diesem wirtschaftlichen Druck gezwungen gewesen, Kräfte zu bündeln und Korrespondentenplätze zusammenzufassen. Das Nachrichtengeschäft von Reuters und Dow Jones war schließlich unter dem neuen Markennamen Realtime gebündelt worden, während der Newsticker von Bloomberg in Kombination mit einigen lokalen Anbietern in der Agentur Worldnews aufgegangen war. Die beiden Marktführer – Realtime und Worldnews – waren die mit weitem Abstand größten Anbieter. In mehr als 80 Prozent aller Handelsräume in London, Frankfurt oder Mailand waren ihre Ticker-Bildschirme die wichtigste, häufig sogar die einzige Informationsquelle für die Wertpapierhändler, die sich an den Nachrichten der beiden Großen orientierten.

      In der alltäglichen Praxis – wie etwa heute in der Alten Oper – hieß das für die Reporter der zwei großen Finanz-Nachrichtenagenturen, dass sie Ministern, Notenbankern oder Vorstandschefs ständig aufs Neue Zitate aus den Rippen zu leiern hatten. Zitate, in denen möglichst Wörter wie Zinsen, Wechselkurse oder Inflation vorkommen sollten. Oder die aus irgendeinem anderen Grund als Futter für Spekulationen taugten, um Aktienkurse, Anleihenotierungen, Geldmarktsätze oder Devisen in Bewegung zu versetzen. Schließlich leben Banken und Börsen vom ständigen Auf und Ab der Kurse, von Provisionen und Transaktionsgebühren. Ein öffentlicher Satz eines hochrangigen Managers oder eines Notenbankers war da allemal gut genug, um in den Handelsräumen der Profi-Investoren Spekulationen und Gerüchte auszulösen – und damit Käufe und Verkäufe von Wertpapieren. Selbst wenn Berenbrink sich nur wiederholte, konnte das den Euro am Devisenmarkt einen halben Cent nach oben schieben. Oder die Aktienkurse der Bank- und Versicherungstitel in den Keller rasseln lassen. Die Kunst eines Notenbank-Präsidenten bestand deshalb darin, stets so unverbindlich wie möglich zu bleiben, um ja keine turbulenten Kursbewegungen anzustoßen. Oder wie es der Altmeister des Fachs, der frühere US-Notenbankchef Alan Greenspan, einst auf den Punkt brachte: „Ich hoffe, ich habe mich zweideutig genug ausgedrückt.“

      „Eigentlich, Herr Präsident“, fuhr Pressesprecher Heinen fort, „gibt es im Moment so gut wie nichts, worauf die Wertpapier-Profis spekulieren können. Keine Zinsfantasien, keine außergewöhnlichen Konjunkturdaten. Ich tippe mal, dass man Sie deshalb auf die angeblichen Liquiditätsprobleme der NordwestLB ansprechen wird.“

      „Na, dann raus mit der Sprache, Heinen. Sie wollen doch bestimmt wieder, dass ich irgendeinen blöden Satz sage, über den heute früh ihre halbe Abteilung gebrütet hat?“, fragte der Bundesbankchef.

      „Tja. Ja. Ja, das stimmt. Die Kollegen von der Bankenaufsicht haben sich gestern an uns gewandt und uns um den Gefallen gebeten, die Märkte zu massieren“, antwortete Heinen. Die Märkte massieren bedeutete, der Notenbankchef sollte ein paar beschwichtigende Sätze loswerden, um Aufgeregtheit aus dem Markt zu nehmen und die Investoren zu beruhigen.

      „Und was genau würden die von der Bankenaufsicht gerne hören?“, fragte der Präsident nach.

      „Ich glaube, Herr Präsident, man würde es als hilfreich empfinden, wenn Sie in der aktuellen Lage eine Unbedenklichkeitserklärung für die deutschen Banken abgeben würden. So etwas wie: Kein Anlass zur Sorge. Oder: Unbegründete Spekulationen. Halt irgendetwas, was Vertrauen stiftet.“

      „Na gut, Heinen,“ seufzte der Präsident, „wenn es irgendjemanden nutzt, dann stelle ich mich auch auf den Kopf, wackle mit den Beinen und sage, dass es keinen Grund zur Besorgnis gibt“, versicherte Berenbrink.

      Sie passierten den Rothschildpark und der Bundesbankchef blickte hinüber zum Hypo-Union-Tower: „Was ist eigentlich heute bei denen los gewesen?“

      „Ein Selbstmörder hat sich aus dem obersten Stockwerk gestürzt“, antwortete ihm Heinen, „und bisher weiß man noch nicht viel. Ich glaube sogar nicht einmal den Namen des Opfers.“

      Berenbrink blickte dem Bankenturm einen Moment nach. Er stellte sich vor, wie es wohl sei, aus dieser gigantischen Höhe nach unten zu stürzen. Ob es ein lautes Geräusch geben würde, wenn man unten aufschlug? Aus diesen Gedanken wurde er jedoch jäh herausgerissen, weil sie die Vorfahrt zum VIP-Eingang der Alten Oper erreicht hatten.

      „Nun denn, auf in den Kampf“, munterte ihn Heinen auf.

      Gleich neben der großen Holztür lungerten bereits die Reporter von Worldnews und Realtime sowie einiger Spezialagenturen wie Bondmarket, ETF, afx und dpx. Berenbrink kannte ihre Gesichter auswendig, weil sie ihm zu allen offiziellen Terminen folgten – immer auf der Jagd