Tod im Bankenviertel. Detlef Fechtner

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Название Tod im Bankenviertel
Автор произведения Detlef Fechtner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955423957



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erstarrte unter dem Tisch. Für einige Sekunden stellte er sogar das Atmen ein, aus Angst, das Geräusch könnte ihn verraten. Er hatte jahrelang als Gerichtsreporter gearbeitet. Er kannte Hunderte Berichte von Zeugen – und erstaunlich viele fingen mit den Worten an: Ich weiß nicht warum, aber irgendwie hatte ich das Gefühl: Hier geht etwas nicht mit rechten Dingen zu. Genau dieses Gefühl umschlich in diesem Moment auch Oskar. Er konzentrierte sich auf alles, was er hören konnte. Kabel wurden aus Steckdosen gezogen, technisches Gerät ein- und ausgepackt. Plötzlich klingelte ein Handy. Erschrocken und hektisch griff Oskar in seine Hosentasche, um es auszuschalten. Erst im nächsten Augenblick stellte er erleichtert fest, dass es gar nicht sein Handy war, das da läutete. Eigentlich hätte er es sofort am Klingelton erkennen müssen, denn der spielte nicht seine Telekom-Melodie, sondern die Rocky-Balboa-Hymne Eye of the Tigerbammm … bamm-bamm-bamm.

      Oskar drehte sich leise um die eigene Achse und schob vorsichtig die Tischdecke einen Spalt nach oben. Nur zwei Schritte entfernt vor ihm stand ein kleingewachsener Südländer im weißen Anzug und schwarzen Schuhen, schätzungsweise höchstens Größe 38. Er machte einen nervösen Eindruck und war sichtlich verärgert darüber, dass man ihn gerade jetzt störte.

      „Was zur Hölle ist denn los?“, zischte er ins Mobiltelefon. „Ja, da bin ich doch gerade bei – also warte doch verdammt nochmal fünf Minuten, ich melde mich dann schon.“ Danach legte der Mann auf. „Der Schatzmeister ist doch ein verdammter Scheißkerl. Geht mir total auf die Nerven mit seinen ständigen Kontrollanrufen und Anweisungen“, schimpfte er vor sich hin. Dabei packte er einen mitgebrachten Laptop aus, der exakt so aussah wie der von Realtime, den er gerade eben abgebaut und entkabelt hatte.

      „Vorsicht, Vito, da kommt einer“, rief ihm sein Kumpel an der Tür zu. Oskar schob die Decke noch etwas höher und konnte nun auch den Mann erkennen, der am Eingang zum Presseraum Schmiere schob. Ein blonder Hüne mit ewig langen Beinen, die Figur eines Basketball-Spielers. Sieht diesem Deutschen ähnlich, der in Dallas gespielt hat, dachte sich Oskar – und war sich im gleichen Moment nicht mehr sicher, ob er gerade eben tatsächlich den Namen Nowitzki gehört oder sich das nur eingebildet hatte. Oskar sah, wie vorne an der Tür ein Passant vorbeiging. Der Kerl im weißen Anzug hatte seine Arbeit deswegen kurz unterbrochen, jetzt fuhr er eilig damit fort, den mitgebrachten Laptop hochzufahren.

      „Na, komm schon, Baby, mach Tempo“, redete er auf das Gerät ein. Dann tippte er ein paar Tasten, wartete gebannt, gab noch ein paar Codes ein, und drehte den Laptop schließlich genauso hin wie das Originalgerät zuvor dagestanden hatte. Anschließend packte er hektisch die Umhängetasche, in die er den echten Realtime-Laptop verstaut hatte. Zehn Sekunden später war er gemeinsam mit Nowitzki aus dem Raum verschwunden.

      Oskar robbte zwei Meter rückwärts unter dem Tisch hervor, rappelte sich hoch und rannte zur Tür, aus der er vorsichtig seinen Kopf streckte. 30 Meter vor ihm bog das ungleiche Duo gerade zum Aufzug ab. Oskar wusste, dass er sich eigentlich dringend um die Konferenz und seinen Artikel für das Finanzblatt zu kümmern hatte. Und dass es im Grunde Unfug war, die beiden zu verfolgen. Aber er war viel zu neugierig, um das merkwürdige Diebespaar einfach so ziehen zu lassen.

      Also nahm er die Verfolgung auf. Eine Entscheidung, die er schon in wenigen Stunden mehr bereuen sollte als alles andere in seinem Leben.

      7

      Im Dibbegucker waren zu dieser Tageszeit alle Tische besetzt. Selbst vorne am Buffet, wie in Sachsenhäuser Kneipen der Ausschank an der Theke heißt, war es schwer, einen freien Quadratmeter zu finden. Aber der Wirt des Dibbeguckers, den sie hier alle nur den Dicken Heiner nannten, hatte natürlich immer noch ein paar Plätzchen in Reserve für Stammkunden und gute Freunde des Hauses. Und zu dieser privilegierten Gruppe zählte schon seit Ewigkeiten Carl Stolberg, der Chefredakteur des Finanzblatts. Er konnte auch ohne Voranmeldung mit einem Sitzplatz rechnen – erst recht, wenn er gemeinsam mit Frankfurts neuem Polizeipräsidenten auftauchte.

      Christian Herzog, ein großer und kräftiger Mann mit Locken, dessen Stirn im Sommer ständig nass von Schweiß glänzte, hatte eine beeindruckende Karriere vorzuweisen. Er war mit 44 Jahren der mit Abstand jüngste Polizeipräsident, den Frankfurt je gesehen hatte. Das lag sicherlich auch an seinem forschen Auftritt. Herzog vermittelte den Eindruck, dass er die Probleme beherzt anpackte, dass er den Mut auch zu schwierigen Entscheidungen hatte. Und dass er ungewöhnlichen Methoden gegenüber durchaus aufgeschlossen war, solange sich niemand über das Recht stellte.

      „Da kommt halt grad mit dorsch hinner ins Kaminzimmer“, lotste der Dicke Heiner den Journalisten und den Polizeichef durch die Menge – und fand für sie tatsächlich noch zwei Sitzplätze im schönsten Gastraum der Apfelwein-Schänke.

      „Eigentlich hätte ich ja allen guten Grund, auf Sie sauer zu sein, Stolberg“, eröffnete der Polizeichef, kaum dass er Platz genommen hatte, das Gespräch gewohnt offensiv und hielt sich nicht lang mit Freundlichkeiten auf. „Ihr verdammter Leitartikel über die Pannen beim polizeilichen Personenschutz hat im Präsidium für ziemlichen Wirbel gesorgt“, schimpfte Herzog.

      Stolberg reagierte darauf mit unschuldiger Miene: „Mal ehrlich, Herr Herzog, Sie können mir doch nicht ernsthaft böse sein wegen dieses Kommentars? Oder habe ich Ihren Beamten darin unrecht getan?“

      Der Polizeichef musterte sein Gegenüber, nahm sein Rautenglas und leerte es mit einem kräftigen Schluck. „Nein, natürlich nicht. Meinetwegen hätten Sie sogar noch fester draufhauen können auf die Kollegen. Was mich ärgert, ist, dass Sie damals besser darüber informiert waren, was bei uns so alles schiefgelaufen ist, als ich.“ Herzog nahm den Bembel und füllte das Rautenglas neu auf. „Und was zur Hölle wollen Sie nun noch von mir wissen? Sie haben doch schon alles geschrieben, was es zu schreiben gibt.“

      „Da haben Sie recht“, entgegnete der alte Mann des Finanzjournalismus freundlich. „Ich interessiere mich im Moment auch gar nicht für Ihre Behörde. Sondern nur für einen ganz besonderen Fall, mit dem Sie aktuell zu tun haben. Präzise gesagt, für einen Fall aus dem 47. Stockwerk des Hypo-Union-Towers.“

      Mit dieser Anfrage hatte Herzog nicht gerechnet. Er lehnte sich zurück, atmete tief durch und fuhr sich mit der Hand ins Gesicht, um sich den Schweiß von der Nase zu wischen und die Augen zu massieren. Man merkte ihm an, dass er sich konzentrierte, um ja nichts zu sagen, was er schon in wenigen Minuten bereuen würde. Nach einer kurzen Denkpause hatte er seine Gedanken geordnet.

      „Am liebsten, Stolberg, würde ich Ihnen überhaupt nichts sagen. Ich meine: Wir sprechen immerhin über eine Tat, die gerade mal ein paar Stunden zurückliegt. Wir wissen bislang nicht viel. Und das Wenige, was wir wissen, ist so verwirrend, dass noch kein klares Bild entsteht … Aber ich fürchte, dass wir Ihre Hilfe noch gut werden brauchen können – und deshalb packe ich die Gelegenheit beim Schopfe und schlage Ihnen einen Deal vor.“

      Der alte Journalist traute seinen Ohren nicht. Immerhin hatte er ja um diese Unterredung gebeten und war nun doppelt überrascht, dass Herzog etwas von ihm wollte. „Sie glauben, dass ausgerechnet ich Ihnen bei Ihren Ermittlungen helfen kann?“, fragte er erstaunt zurück.

      „Ja, denn meine Leute und die Fahnder von der Staatsanwaltschaft kennen Banken nur vom Geldabheben. Es würde Tage dauern, bis die kapieren, was der Unterschied zwischen einem Treasurer, einem Liquiditätsmanager und einem Geldhändler ist. Und Wochen, um daraus etwas für die Ermittlungen abzuleiten. Sie hingegen kennen die Banken besser als jeder andere hier in der Stadt. Sie wissen, wer welche Partner braucht, um irgendein Ding drehen zu können. Und Sie können viel schneller als meine Leute eins und eins zusammenzählen und verstehen, wer aus welchem Grund Geschäfte vereinbart. Deshalb, Stolberg, biete ich Ihnen folgenden Pakt an: Ich halte Sie auf dem Laufenden und liefere Ihnen Informationen über den Fall – natürlich nur in den Grenzen dessen, was mein Amtseid zulässt. Dafür versprechen Sie mir erstens hoch und heilig, mich niemals zu zitieren und auch keine Andeutungen zu machen, die auf mich als Quelle schließen lassen. Und zweitens helfen Sie mir, indem Sie mich an allen Ihren Vermutungen und Spekulationen teilhaben lassen, die Ihnen zu dieser Sache einfallen – und zwar bevor Sie sie Ihren Lesern mitteilen.“ Und mit staatstragender Stimme fügte er hinzu: