Tod im Bankenviertel. Detlef Fechtner

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Название Tod im Bankenviertel
Автор произведения Detlef Fechtner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955423957



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ihr alten Blutegel, was zur Hölle soll ich euch denn sagen, was ich nicht schon gesagt habe?“, fragte er in die kleine Runde, nachdem er die Limousine verlassen hatte.

      Berenbrink lächelte das halbe Dutzend Presseleute freundlich an und reichte den Reportern nacheinander die Hand zur Begrüßung – eine höfliche Geste, die die Agenturleute längst nicht von allen Prominenten gewohnt waren. „Auf jeden Fall ziehe ich den Hut vor euch, Leute. Ihr schreckt ja wirklich vor gar nichts zurück.“ Der Bundesbankchef setzte eine mitleidsvolle Miene auf und fuhr fort: „Wenn ich das richtig im Kopf habe, dann musstet ihr Bedauernswerten bei diesem Schwimmbad-Wetter ein Grußwort des Oberbürgermeisters ertragen – womöglich sogar in seinem eigenwilligen Englisch … uff.“

      „Stimmt“, entgegnete ihm ein breitschultriger Typ mit frecher Stimme. „Aber der eigentliche Härtetest steht noch aus: ein Berenbrink-Vortrag über standardisierte Risikomessung in Banken.“ Es war der Worldnews-Reporter Benjamin Beckmann.

      „Vorsicht, Beckmann“, warnte ihn der Bundesbankchef mit gespielter Entrüstung, allerdings mit einem breiten Lächeln. „Vorsicht. Nicht so vorlaut. Und vor allem: nicht so voreilig. Das mit den Standardrisikomaßen mag langweilig klingen. Aber natürlich ist es ungemein wichtig, dass Banken ihre Positionen vernünftig und angemessen bewerten, damit ihnen diese Risiken nicht aus dem Ruder laufen.“

      „So wie der NordwestLB?“, hakte Beckmann rasch ein.

      „Es gibt keinen Grund für argwöhnische Spekulationen über irgendeine deutsche Bank“, versicherte der Bundesbankchef. „Es gibt nicht den geringsten Zweifel an der Solidität der deutschen Banken.“ Berenbrink blickte seinen Pressesprecher Heinen an, der anerkennend nickte. Der Bundesbankpräsident hatte seine Sätze ordnungsgemäß abgeliefert, sein Pressesprecher war zufrieden – und die Meute war es auch. Die Agenturreporter hatten ihren Stoff. „Aber jetzt entschuldigen Sie mich bitte“, sagte der Notenbanker, „denn ich sehe gerade meinen österreichischen Kollegen – und es wäre unhöflich, ihn nicht zu begrüßen.“

      Die Agenturreporter ließen Berenbrink fürs Erste gewähren. Er hatte ihnen genug geliefert, und so wählten sie bereits hastig per Handy ihre Redaktionen an und gaben ihre Eilmeldungen durch.

      6

      Ein paar Minuten war Oskar orientierungslos durch Foyers und Gänge der Alten Oper geirrt. Dann aber hatte er doch den Agentur-Arbeitsraum gefunden. Er war leer, alle Reporter saßen wahlweise unten im Mozartsaal und lauschten den Vorträgen oder warteten am VIP-Eingang, um Bundesbankchef Berenbrink abzufangen. Oskar schlich durch die Reihen und lunste auf die Bildschirme der aufgeklappten Laptops. Überall blinkten Schlagzeilen und Zahlenkolonnen. Schreibfelder warteten darauf, mit neuen Nachrichten ausgefüllt zu werden. Oskar entdeckte vorformulierte Meldungen auf den Bildschirmen und schnüffelte in den handschriftlichen Zetteln herum, die überall auf den Tischen lagen.

      Es ist schon ein abgeschmacktes Leben, das die Agenturleute führen, dachte er für sich. Irgendwo ankommen, die Computer anschließen, alle möglichen Quellen anzapfen, um sich so schnell wie möglich auf den aktuellen Stand zu bringen. Dann herumlungern, Prominente abfangen – eine Meldung rausdonnern, vielleicht auch zwei oder drei. Und danach sofort wieder abbauen und abhauen. Journalistische Nomaden, Wegelagerer, deren einzige Verwurzelung in einer kabellosen Verbindung zur Heimatredaktion bestand.

      Oskar blieb vor einem Laptop stehen, der augenscheinlich seinem Rugby-Kollegen Benjamin Beckmann gehören musste. Denn erstens lief auf ihm das Programm der Agentur Worldnews, bei der Ben arbeitete. Und zweitens lag daneben ein Adressbuch, auf dem ein Aufkleber der Eintracht-Abteilung prangte: Spende Blut, spiele Rugby!

      Auf dem Bildschirm des Laptops blinkten die aktuellen Meldungen der vergangenen Minute, darunter eine Eilmeldung in roter Schrift: Berenbrink: „Kein Zweifel an der Solidität deutscher Banken“. Oskar schüttelte den Kopf. Was für eine überdrehte Welt, was für ein irrer Wettlauf mit der Zeit!

      Durch das geschlossene Fenster hatte er den Opernvorplatz im Blick und konnte dort die Limousine des Bundesbankchefs erkennen. Wenige Meter davon entfernt schüttelten sich Menschen die Hände, die wichtig aussahen und von anderen umringt wurden. Oskar erkannte unter ihnen den Präsidenten der Österreichischen Nationalbank. Und ihm gegenüber stand … na klar, das war Berenbrink – jetzt, wo sich der Bundesbankchef drehte, konnte Oskar ihn einwandfrei identifizieren. Mein Gott, da unten, in Rufweite, stand der oberste deutsche Währungsmanager und hatte noch nicht einmal das Foyer betreten. Aber das, was er vor wenigen Sekunden gesagt hatte, als er aus seinem Auto ausstieg, war durch schnellen Zuruf per Handy an die Newsdesks in den Agenturen übermittelt und von dort aus in alle Welt verbreitet worden – und deshalb nun bereits auf jedem Nachrichtenticker in den Börsenhandelsräumen zwischen New York und Singapur zu lesen, also auch hier auf den Laptops in der zweiten Etage der Alten Oper.

      Benjamin hatte ihm neulich nach dem Rugbytraining unter der Dusche erzählt, dass sie bei Worldnews und Realtime mittlerweile daran arbeiteten, Nachrichten von Computern schreiben zu lassen, die sie wiederum so formulierten, dass andere Computer sie fehlerfrei lesen konnten. Denn viele Kunden nutzten Programme, die automatische Börsenaufträge in Tausendstelsekunden aufgeben konnten. Mit ihnen war es möglich, um den Bruchteil einer Sekunde eher im Orderbuch der elektronischen Handelssysteme aufzuschlagen und die Gebote auf der Gegenseite schneller abzuräumen, als das selbst dem schnellsten Händler mit manueller Auftragseingabe gelingen konnte. Völlig losgelöst von der realen Wirtschaft, in einer jenseits der Wahrnehmungsgrenze beschleunigten Welt, wechselten milliardenschwere Wertpapier-Pakete ihre Besitzer – und die Nachrichten verkümmerten in diesem entrückten Handelssystem zur Verdichtung von Kauf- und Verkaufsignalen, zu einem Sammelsurium von positiven und negativen Codes, die von Maschinen mit pawlowschen Reflexen formuliert und übersetzt wurden.

      Oskar stand am Fenster und beobachtete, wie sich die kleine Menschentraube auf dem Opernvorplatz auf den Eingang zubewegte. Er kippte das Fenster, der leichte Luftzug tat gut. Er drehte sich noch einmal zu Benjamins Laptop um. Dort war der Name Berenbrink bereits vom Bildschirm verschwunden. Die Eilmeldung über die Banken war längst verdrängt durch Rohstoffmeldungen aus Lateinamerika und Schlagzeilen über das Quartalsergebnis einer Schweizer Versicherung. Was vor zwei Minuten noch den DAX bewegte, war jetzt schon Geschichte.

      Oskar richtete sich in der letzten Reihe des Arbeitsraums ein. Hier oben war es nicht nur frischer als unten im stickigen Mozartsaal, es gab auch Verpflegung. Außerdem würde er hier inmitten der Agenturen wohl kaum etwas Wichtiges verpassen. Einzig ärgerlich war, dass beim aufgestellten Großbild-Fernseher, der die Reden aus dem Mozartsaal übertrug, der Ton abgeschaltet war. Na gut, dachte sich Oskar, da muss ich mich wohl selbst drum kümmern, das Gerät auch akustisch wieder zum Laufen zu bringen.

      Er öffnete eine Colaflasche an der Stahlkante des Serviertischs, trank sie halb leer und krabbelte dann unter den mit einer großen weißen Decke abgehängten Tisch, auf dem der Großbildschirm stand. Hier unten war es ein wenig muffig, der Teppichboden roch leicht säuerlich. Außerdem war es duster, weil die Tischdecke nach vorne hin abdunkelte.

      Es gab so viele Kabel und Stecker, dass Oskar einige Momente brauchte, um sich zu orientieren. Er robbte noch ein Stück nach vorne, sodass auch seine Beine und Füße komplett unter dem Tisch und der Tischdecke verschwanden. Dann drehte er sich leicht seitwärts, um besser in die eigene Hosentasche greifen zu können, kramte sein Handy hervor und nutzte es als Taschenlampe, um die Kabel genauer zu inspizieren. Er musste nicht lange suchen, um das Problem zu entdecken. Der Ton konnte gar nicht übertragen werden, denn die Audiokabel waren durchgeschnitten.

      „Was soll das denn?“, wunderte sich Oskar. Er versicherte sich noch einmal, dass er die Leitungen nicht verwechselt hatte, aber es gab nicht den geringsten Zweifel: Die Ton-Übertragungskabel waren mit einem scharfen Schnitt durchtrennt – ein Umstand, auf den sich Oskar auch nach einigem Überlegen keinen Reim machen konnte. Ergebnislos brach er seinen Reparaturversuch ab, verstaute das Mobiltelefon wieder in seiner Hosentasche und begann, sich rückwärts zu bewegen, um unter dem Tisch hervorzukriechen.

      Er hielt allerdings sofort inne, als er nur wenige Meter hinter sich Schritte hörte.