Tod im Bankenviertel. Detlef Fechtner

Читать онлайн.
Название Tod im Bankenviertel
Автор произведения Detlef Fechtner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955423957



Скачать книгу

      Oskar hatte nicht die geringste Lust, Bekanntschaft mit den Saaldienern zu machen. Ein Rausschmiss wäre für ihn noch peinlicher, als es die Situation ohnehin schon war. Er schnappte sich deshalb nur noch rasch ein Programm und verschwand nach draußen.

      Am Brunnen vor der Oper machte er halt und kühlte sich die Hände. Verdammt nochmal, selbstverständlich war es seine schuld. Natürlich hatte ihm Ressortchef Schlosser aufgetragen, sich anzumelden. Aber da waren die vielen anderen Aufgaben gewesen, die er in seinen ersten Dienstwochen hatte erledigen müssen. Und darüber hatte er die Anmeldung schlicht vergessen.

      „Mein lieber Kokoschinski, so lässt sich’s aushalten“, sagte eine heitere, tiefe Stimme.

      Oskar blickte sich erschrocken um und entdeckte nur wenige Meter entfernt vom Opernbrunnen Benjamin, einen seiner ältesten Freunde und Rugby-Kumpel, der jetzt als Reporter für die Nachrichtenagentur Worldnews arbeitete.

      „Erst mal ’ne Stunde Sonnenbad, dann die dreistündige Mittagspause. Und am späten Nachmittag schreibst du dann 80 Zeilen aus unserem Tickermaterial zusammen. Mannomann, du hast ein scheißfaules Leben, Oz.“

      Oz war Oskars Spitzname in der Rugby-Mannschaft.

      Benjamin Beckmann war der geborene Rugby-Stürmer. Ein groß gewachsener Kerl mit der Figur eines Tiroler Bauernjungen, mit kräftigen Oberarmen und Schenkeln, die in keiner Jeans genug Platz fanden. Dazu forsch im Auftritt, unverzagt, kühn. Zugleich war er der Prototyp des Agenturreporters. Ein Jäger und Sammler, der alle möglichen Informationen aufsaugte, um sie gefiltert wieder auszuspucken, wenn es dafür einen Anlass gab. Ständig unter Strom, nie abgeschaltet – ein Leben im Stand-by-Modus. Oft den Kragen verdreht, das Hemd hinten aus der Hose, den Schlips viel zu locker und stets ein wenig übernächtigt.

      „Ich habe bereits drei Geschichten auf dem Draht“, gab Benjamin keine Ruhe. „Du hingegen hast dich wahrscheinlich eben erst aus dem Bett gepellt und machst trotzdem gleich mal Siesta am Opernbrunnen.“

      Oskar war heilfroh, seinen Kumpel zu sehen. „Ben, du musst mich irgendwie in die Oper schleusen“, flehte er ihn an. „Das gibt sonst ein riesiges Ballyhoo beim Finanzblatt.“

      Benjamin beruhigte seinen Rugby-Teamkollegen: „Keine Bange. Das kriegen wir schon hin. Worldnews hat wie immer vorsorglich Ersatzleute angemeldet. Du gehst einfach mit dem Ticket unseres Amerikaners rein, Tim O’Bowman.“ Mit diesen Worten legte er ihm freundschaftlich seinen Arm um die Schulter und führte ihn wieder Richtung Opern-Eingang. „Ich bin mir allerdings sicher, Oz, dass du das bereuen wirst. Spätestens beim zweiten Vortrag. Denn vergnügungssteuerpflichtig ist das ganz sicher nicht, was da geboten wird.“

      3

      Nowitzki und Vito hatten sich auf der kleinen Galerie im ersten Stock der Alten Oper eine Ecke gesucht, von der aus sie fast das ganze Foyer im Auge behalten konnten.

      Nowitzki hieß nicht wirklich Nowitzki. Aber weil er alle anderen kopfhoch überragte und noch dazu fast die gleiche blonde Mähne hatte wie der erfolgreichste deutsche Basketballspieler, drängte sich dieser Spitzname nun einmal auf.

      „Wir sind startklar“, flüsterte Vito in sein Handy. Auch sein Name war nur ein Spitzname, der in seinem Fall nicht einmal mit seiner Herkunft zu tun hatte. Geboren und aufgewachsen war Vito nämlich in Mannheim und nicht wie Vito Corleone aus den Pate-Filmen Francis Ford Coppolas auf der größten Insel des Mittelmeers. Ja, noch nicht einmal als Tourist war er auf Sizilien gewesen, denn sein Vater stammte aus Nordportugal. Seine Sommerurlaube hatte er stets in einem kleinen Dorf zwischen Braga und Porto verbracht, weit entfernt vom Süden Italiens. Aber mit seinen eng anliegenden weißen Anzügen und dem schwarzen Seitenscheitel hätte der kleinwüchsige und übergewichtige Sohn portugiesischer Einwanderer wohl tatsächlich jedes Casting für einen Mafia-Streifen bestanden. Er und Nowitzki bildeten ein ziemlich ulkiges Zweiergespann.

      „Bisher läuft alles nach Plan. Wir haben oben im Presse-Arbeitsraum still und heimlich den Ton abgedreht. Keiner von den Presseheinis kann es sich leisten, da oben länger sitzen zu bleiben, solange hier unten Programm ist. Und jetzt sind wir wieder im Foyer“, berichtete Vito in sein Mobiltelefon. „Da vorne steht die ganze Bande Journalisten. Sollen wir losstarten?“

      „Nein“, stoppte ihn sein Gesprächspartner in der Zentrale. „Ihr haltet die Füße still. Der Bundesbank-Chef erreicht in knapp zehn Minuten den Opernplatz, wird also voraussichtlich um Elfhundertzwanzig das Foyer betreten. Da müssen dann alle unsere Agenturreporter antanzen. Dann habt ihr oben etwa eine Viertelstunde, um ungestört abzuräumen“, gab der Mann aus der Zentrale den Fahrplan vor – und fragte zum zweiten Mal an diesem Tag die Zeit ab.

      „Elfhundertacht Uhr“, antwortete Vito und stieß seinen Nebenmann an: „Hey, Nowitzki. Der Schatzmeister fragt nach einem Uhrenvergleich.“

      Der Zwei-Meter-zehn-Hüne zog sein Handy und bestätigte: „Elfhundertacht.“

      „Gut, dann setzt eure Hintern in ziemlich genau zehn Minuten in Bewegung“, lautete die Anweisung des Mannes aus der Zentrale, den sie Schatzmeister nannten. „Aber geräuschlos.“

      4

      Im zweiten Anlauf war alles glatt gegangen mit der Akkreditierung. Oskar hatte in der Eingangshalle der Alten Oper einen Haken um den Meldeschalter geschlagen, an dem er zuvor gescheitert war. Schließlich wollte er auf gar keinen Fall der Hostess in Gelb in die Arme laufen, die ihn beim ersten Versuch abgewiesen hatte. An einem der Anmeldeschalter auf der anderen Seite hatte er sich als Tim O’Bowman von der Nachrichtenagentur Worldnews ausgegeben und sofort dessen Einlasskarte bekommen, ohne einen Ausweis vorzeigen zu müssen. Keine zwei Minuten später war er durch alle Kontrollen durch und endlich im Foyer der Alten Oper, wo sein Rugby-Kollege Benjamin auf ihn wartete.

      „Du bist dir hoffentlich sicher“, fragte Oskar nach, während er sich die Einlasskarte mit dem fettgedruckten Namensschild am Revers seines Sakkos feststeckte, „dass dein Kollege O’Bowman nicht doch noch hier auftaucht und sich darüber wundert, dass ich seinen Namen spazieren führe?“

      Benjamin schüttelte den Kopf: „Nein, nein, das kann nicht passieren. Ich bin mir ganz sicher. Er ist heim in die Staaten, nach Atlanta. Ich selbst habe ihn in seinem Wagen zum Terminal rausgefahren, und zwar in einem schwarzen Alfa Bertone. Verstehst du, Oz, was das bedeutet: Ich habe für eine Woche einen Alfa Bertone!“, jubelte Benjamin und sah Oskar mit großen, funkelnden Augen an. „Na sag schon, Oz, ist das Leben nicht herrlich! Wenn du willst, dann kurven wir gleich noch ein wenig mit dem Bertone durch die Stadt und pfeifen fremden Mädchen hinterher – yup! Jedenfalls sobald dieser ganze Unfug hier in der Oper vorbei ist und wir endlich Feierabend machen können.“ Benjamin Beckmann grinste über das ganze Gesicht. Er schien wirklich beneidenswert gute Laune zu haben.

      Im Vorbeigehen begrüßte Ben ein Vorstandsmitglied der Deutschen Bank und den Finanzchef der Landesbank Hessen, gerade so als wären sie zwei Rugby-Spieler aus einem gegnerischen Sturm oder der eigenen Dreiviertelreihe. Das war typisch für Agenturleute. Während die Zeitungsjournalisten einen betont höflichen Umgangston mit Bankern und Managern pflegten, gingen die rasenden Reporter der Agenturen geradezu kumpelhaft mit der Finanzmarktprominenz um. Aber das rabaukenhafte Benehmen und ihre hemdsärmelige Art wurde ihnen nachgesehen. Ständig herumzupoltern und alle anzuquatschen, die in der Finanzbranche einen Namen hatten, gehörte einfach zu ihrem Geschäft dazu. Schließlich war es die Aufgabe dieses journalistischen Fußvolks, mit der Tür ins Haus zu fallen. Keine langen Einleitungen, keine umständlichen Fragen, keine langatmige Konversation. Kein ausholendes ‚Ja, das sind tatsächlich spannende Zeiten‘ und kein fachsimpelndes ‚Neulich habe ich etwas ganz Interessantes gelesen‘. Viel eher ein kerzengerades ‚Was werden Sie jetzt tun?‘ oder ein verhörerisches ‚Macht Ihnen der Wechselkurs Sorgen?‘, wenn nicht sogar ein provokatives ‚Denken Sie über einen Rücktritt nach?‘. Weder der Deutsche-Banker noch der Helaba-Manager hatten an diesem Tag irgendetwas zu berichten, was für Benjamin Beckmann von Interesse war. Über die NordwestLB wollte ihm der Landesbanker aus Hessen nichts sagen – und konnte es wahrscheinlich auch nicht. Und sonst gab es derzeit ja wenig,