Название | Tod im Bankenviertel |
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Автор произведения | Detlef Fechtner |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783955423957 |
„Moment, Carl, wir müssen dich noch kurz sprechen“, rief Schlosser dem Chefredakteur zu.
Stolberg wartete geduldig, bis die Kollegen den Raum verlassen hatten und sich der Lärm vor der Tür gelegt hatte. „Nun, worum geht es?“
Dieses Mal ergriff Oskar direkt das Wort: „Vielleicht wissen Sie ja, Herr Stolberg, dass ich vor meinem Start in Ihrem Blatt Gerichtsreporter für die Frankfurter Nachrichten war. Deshalb interessiert es mich natürlich sehr, wie das Finanzblatt mit dem Toten umgeht, der heute Nacht aus dem Dachgeschoss der Hypo-Union gestürzt ist.“
„Ganz einfach“, entgegnete der Chefredakteur, „ich sehe keinen Grund für Berichterstattung. Natürlich wird der Selbstmord Gesprächsthema in den Handelsräumen sein. Aber ich sehe in der Tatsache, dass da jemand seinen Freitod im Bankenviertel inszeniert, keinen Anlass für eine seriöse Wirtschaftszeitung, darüber zu berichten.“
„Ich würde Ihnen gerne zustimmen, Herr Stolberg“, erklärte der Redaktions-Junior. „Aber ich gehe nicht davon aus, dass es Selbstmord war.“
Der Chefredakteur wurde hellhörig. „Mit wem haben Sie telefoniert?“, fragte er neugierig.
„Ich habe mit niemandem telefoniert“, antwortete Willemer, „aber ich habe nachgedacht. Und ich komme beim besten Willen auf keine logische Begründung für einen Selbstmord. Jemand, der so deprimiert ist, dass er seinem Leben ein Ende setzt, wird gewiss keinen gewaltigen Aufwand mehr betreiben. Es ist jedoch ein gewaltiger Aufwand, unerkannt in den 47. Stock eines Bankhochhauses zu gelangen, dort die Zugangstür zum Dachgeschoss aufzubrechen, um in dieser Höhe an die freie Luft zu gelangen und sich dann genau dort über das Geländer zu stürzen, wo man garantiert erst am Vormittag entdeckt wird.“
„Und warum“, konterte Stolberg, „sollte sich ein Gewalttäter der Gefahr aussetzen, entdeckt zu werden? Ihr Argument, lieber Kollege Willemer, mag ja gegen Selbstmord sprechen, aber es spricht genauso gegen Mord. Warum sollte der Täter sein Opfer, statt es irgendwo in einer stillen Ecke umzubringen, erst ins Zentrum des Bankenviertels lotsen, in die Hypo-Union locken und auf das Dach hochjagen“, fragte er stichelnd zurück.
Oskar Willemer schien vom Einwurf des Chefredakteurs unbeeindruckt. Er wandte sich ihm direkt zu: „Eine Drohung, ein Exempel. Der Mörder schickt damit ein Signal an andere, die er einschüchtern will – wie bei einem Mafia-Mord.“
Der Chefredakteur ging die paar Schritte zum Fenster und blickte auf das hochsommerliche Frankfurt. Hinter den Messehallen ragten die Bankhochhäuser in die Höhe: die Deutsche, die Commerzbank, die Morgan Chase – und natürlich auch die Hypo-Union. „Das klingt ja gruselig. Ist aber ziemlich spekulativ, ich weiß nicht, ob man’s schon in die Zeitung …“
„Nein, natürlich nicht“, fiel Schlosser ins Gespräch ein. „Das wäre ja schon sehr anmaßend, wenn man diese halbgaren Vermutungen ins Blatt schreiben würde. Aber: Ich würde dringend davon abraten, die Geschichte zu ignorieren. Gut möglich, dass dahinter eine Affäre steckt, die Frankfurts Banken noch einige Wochen in Atem hält. Und uns natürlich auch“, mahnte der Ressortleiter.
„Ja, gut möglich“, räumte Stolberg ein, der jedoch nicht wirklich überzeugt war und deshalb noch einmal nachsetzte: „Aber wenn man den Agenturmeldungen trauen kann, dann spricht doch einiges dafür, dass es ein Selbstmörder war. Keine Hämatome, keine Griffspuren, die auf Fremdeinwirkung hindeuten. Halt einer, der sich am Ende nochmal wichtigmachen wollte.“
Oskar schüttelte den Kopf. „Ich bitte Sie, Herr Stolberg: Keine auffälligen Griffspuren, keine Hämatome – tja, das wäre uns beiden doch wohl auch noch eingefallen, wenn wir Polizeisprecher wären und Spekulationen nicht noch anheizen wollten“, spottete der Jungredakteur und redete sich in Schwung. „Den Rechtsmediziner möchte ich sehen, der bei einem völlig zerschundenen Leichnam binnen weniger Minuten feststellen kann, ob es Spuren von Fremdeinwirkung gibt. Nein, nein, Herr Stolberg, wenn es einen ersten Hinweis gibt, über den es nachzudenken lohnt, dann ist es dieser hier“, sagte Willemer und las aus einem Stapel von Agenturmeldungen vor, die er ausgedruckt und mitgebracht hatte. „Hier bei apx steht: Der Tote konnte noch nicht identifiziert werden, da er weder Einlasschip noch Ausweis oder Papiere bei sich hatte. Keine Papiere! Dann erklären Sie mir bitte einmal, wie er ganz allein ohne Ausweise in diesen Hochsicherheitstrakt gekommen sein soll. Oder meinen Sie etwa, er hat die Papiere vor dem Sprung noch extra entsorgt, um es spannender zu machen?“
Ressortchef Schlosser war aufgestanden und ging auf den Chefredakteur zu. „Carl, der Junge hat Recht, diese Geschichte gehört auf jeden Fall ins Blatt. Vielleicht als Ecke ganz unten auf Seite eins. Und ich würde schon im Eingangssatz einflechten, dass es längst nicht sicher ist, ob es sich um Selbstmord handelt.“
„Titelseite untere Ecke“, wiederholte der Chefredakteur und blickte seinen Kollegen in die Augen. „Ja, überzeugt. Links unten auf der eins.“ Er verabschiedete sich mit einem kurzen Nicken, ging zur Tür und drehte sich noch einmal um. „Sie haben mir jetzt richtig Angst eingejagt, Willemer. Die Vorstellung, dass da drüben im Bankenviertel ein skrupelloser Krimineller herumläuft, ist schon ziemlich schaurig.“
2
In der Eingangshalle der Alten Oper drängelten sich jede Menge Banker in ausgesessenen blauen oder anthrazitfarbenen Anzügen. Auch in den Bankentürmen gab es mitten im August so gut wie nichts zu tun. Da war jeder froh um ein wenig Abwechslung – und wenn es auch nur ein Fachkongress mit einem ausgesprochen unlustigen Thema war. Die hochsommerlichen Temperaturen forderten ihren Tribut. Es roch nach Schweiß – und nach süßlichen Rasierwassern, mit denen der Schweißgeruch zu überdecken versucht wurde.
Oskar Willemer war wie immer spät dran. Es war schon Viertel nach zehn, der Oberbürgermeister hatte bereits seine Grußworte gesprochen. Oskar wartete ungeduldig in der Schlange vor einem der Akkreditierungsschalter. Die meisten um ihn herum sahen tatsächlich so aus, wie er sich Banker vorstellte. Blau-weiße Hemden, goldene Armbanduhren, Seitenscheitel, Haargel, frischrasiert – seine Mutter würde sagen: geschniegelt. Keine Nickelbrillen, keine wilden Locken – und auch keine langen Koteletten, wie Oskar sie hatte. Und natürlich besaß in der ganzen Oper an diesem Vormittag auch niemand einen Dreitagebart wie er. Der hätte den anderen um ihn herum allerdings auch wirklich nicht gestanden. Bei Oskar hingegen passten die Bartstoppeln zum markanten, schmalen Gesicht. Mit seinen funkelnden grün-blauen Augen und dem vollen dunkelblonden Schopf war der schlanke 32-Jährige ohnehin einer, der es einfach hatte, Frauen zu gefallen. Selbst seine zerzausten Haare, die bei anderen ungepflegt gewirkt hätten, schienen ihn eher noch interessanter zu machen.
Endlich kam er an die Reihe. „Guten Morgen, ich bin leider nicht vorangemeldet, aber ich habe meinen Presseausweis dabei. Oskar Willemer vom Finanzblatt.“
„Tut mir leid, aber ohne vorherige Akkreditierung kommen Sie heute leider nicht rein. Wir haben erhöhte Sicherheitsstufe“, entgegnete ihm eine ganz in Gelb gekleidete Hostess ebenso freundlich wie bestimmt.
„Hören Sie“, versuchte es Oskar mit seinem freundlichsten Lächeln. „Ich verstehe absolut, dass Sie hier auf Nummer sicher gehen müssen, aber ich kann mich ausweisen und muss unbedingt …“
„Nein, tut mir leid“, fiel ihm die Hostess ins Wort. „Es besteht nicht die geringste Chance. Wenn Sie mir Ihre Visitenkarte geben, kann ich den Pressesprecher der Bankenaufsicht bitten, Ihnen die Reden zuzumailen. Mehr ist beim besten Willen nicht drin.“
Oskar ahnte, dass es die junge Frau mit dem gouvernanten Ton ernst meinte. Wahrscheinlich wäre das dann die erste Frankfurter Bankenkonferenz seit dem Zweiten Weltkrieg ohne Beteiligung eines Korrespondenten des Finanzblatts.
„Ich bitte Sie inständig. Meine Zeitung schmeißt mich raus, wenn ich hier nicht reinkomme.“
„Und