Tod im Bankenviertel. Detlef Fechtner

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Название Tod im Bankenviertel
Автор произведения Detlef Fechtner
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783955423957



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nichts erzählt, weil Oskar Angst hatte, dass der die Gelegenheit eines Mieterwechsels für eine Mieterhöhung nutzen würde. So lebte der Jungjournalist nach wie vor mit der offiziellen Adresse einer Wohngemeinschaft in einem Haus im Rodgau, das bereits seit zwei Jahren leerstand.

      Wenn er sich an die Polizei wandte, musste Oskar damit rechnen, dass seine Personalien aufgenommen würden – und dass in diesem Zusammenhang seine jahrelangen Falschangaben auffliegen würden. Das könnte wiederum reichlich Ärger mit dem Einwohnermeldeamt und mit seinem Vermieter nach sich ziehen – und sogar mit dem Finanzamt, denn unterm Strich profitierte er bei seiner Steuererklärung davon, dass er unrechtmäßigerweise einen beachtlichen Kostenaufwand als Pendler geltend machte. Kurzum: Der Gang zur Polizei war eigentlich keine Option.

      Oskar hatte sich, um nicht aufzufallen, in eine benachbarte Einfahrt begeben, von wo aus er einen ausgezeichneten Blick auf das Haus hatte, in das die beiden Laptop-Diebe verschwunden waren. In den oberen Stockwerken waren die Rollläden heruntergelassen, dort hielt sich also vermutlich aktuell niemand auf. Im ersten Stock hingegen schienen Personen anwesend zu sein. Jedenfalls waren zwei Fenster angesichts der Dauerhitze sperrangelweit geöffnet – und ein weiteres, das zur Seite hin, stand immerhin einen Spaltbreit offen.

      Oskar trat aus der Einfahrt hervor und schritt langsam zum Eingang des Bürohauses. Neben der Tür präsentierte eine weiße Anzeigentafel die Namen der Firmen, die hier beheimatet waren. Die oberen Stockwerke standen leer, in der zweiten Etage residierten zwei Großhandelsfirmen mit japanischen oder koreanischen Namen und im ersten Stockwerk war eine Gesellschaft für Finanzberatung und Vermögensverwaltung namens Momentum zu Hause. Die Glastür spiegelte zwar das helle Sonnenlicht, aber mit etwas Geschick konnte man von außen erkennen, was sich im Hausflur tat. An dessen Ende war ein Fahrstuhl, über dem eine digitale Anzeige die jeweilige Etage anzeigte, in der sich der Fahrkorb gerade befand. Oskar drückte die Nase an die Scheiben und konnte gerade noch registrieren, wie die Ziffer von null auf eins sprang und dort stehenblieb. Allem Anschein nach gehörten die beiden Diebe also zu jener Unternehmung, die sich als Momentum Finanzberatung ausgab.

      „Wen suchen Sie?“, fragte eine scharfe Stimme hinter ihm.

      Oskar erschrak. Ein etwa 25-jähriger Mann mit langen Haaren, die sein halbes Gesicht verdeckten, musterte ihn streng und erwartete eine Antwort. „Ich suche die Geschäftsstelle des Handwerksverbands“, log Oskar, weil ihm so schnell nichts Gescheiteres einfiel. Er bemühte sich, möglichst gelassen dreinzuschauen. „Das ist doch hier Rembrandtstraße 32, oder?“.

      „Nein, das hier ist nicht die Rembrandt-, sondern die Rubensstraße. Die Rembrandt ist ein ganzes Stück von hier entfernt“, entgegnete ihm sein Gegenüber, dessen Blick noch stechender wurde.

      Oskar bedankte sich für die Auskunft und wollte sich schnell zum Gehen wenden, als der fremde Mann nochmals nachhakte: „Und Sie suchen hier ganz sicher nichts anderes, Herr O’Bowman?“

      Verdammt, das Namensschild! Oskar hatte ganz vergessen, dass er es immer noch gut lesbar auf seiner Brusttasche trug. Er schüttelte nur rasch den Kopf, kehrte dem misstrauischen Fragesteller den Rücken und machte sich aus dem Staub. Dabei hörte er, wie der Mann hinter ihm eilig eine Nummer ins Handy tippte und wenig später telefonierte. Oskar war bereits zu weit entfernt, um alles zu verstehen, aber es war herauszuhören, dass der Anrufer gereizt war und drängelte: „Ich bin es, Hakan … Ja, jetzt sofort … beeil dich … verdammt nochmal.“

      Oskar hatte die nächste Querstraße erreicht und wagte einen kurzen Blick nach hinten zu werfen. Der Mann, der ihn ausgefragt hatte, war nicht mehr allein. Aus dem Haus waren zu ihm der blonde Riese sowie der kleine dicke Südländer gestoßen – und außerdem ein weiterer Mann, der ein strenges Gesicht hatte, was wahrscheinlich auch an den vielen Narben lag, die es durchzogen. Sie hatten sich in Bewegung gesetzt und die Verfolgung aufgenommen.

      Oskar spürte einen kalten Schauer auf seinem Rücken, er hatte plötzlich panische Angst. Er machte noch zwei Schritte um die Ecke in eine kleine Seitenstraße, dann rannte er los, so schnell er konnte. Nach nur zehn Metern bog er in einen Stichweg ab und sprang im Hürdenschritt über einen hüfthohen Gartenzaun in ein Grundstück. Er durchquerte unbemerkt den privaten Garten und kletterte an dessen Ende über eine Holzwand. Von dort aus führte ihn ein kleiner Trampelpfad zurück auf eine verkehrsberuhigte Straße, die er zunächst 200 Meter entlangspurtete, bevor er es ein weiteres Mal wagte, sich umzublicken. Hinter ihm war niemand, er hatte sie abgehängt – zumindest für dieses Mal.

      Doch er ahnte, dass er sich von nun an häufiger umdrehen würde.

      10

      Im Grunde musste Oskar seinem Hausnachbarn Karim, dem marokkanischen Gemüsehändler im Erdgeschoss, dankbar sein. Denn hätte Karim sich an diesem Samstagmorgen nicht aus Wut über parkende Autos vor seiner Hofeinfahrt an der Hupe seines Kleinbusses ausgetobt und mit lauter Stimme alle Schimpfworte der arabischen Welt durch den Oeder Weg gebrüllt, wäre Oskar wohl erst am frühen Nachmittag aufgewacht und hätte sein Rugby-Spiel verschlafen. Denn er war erst um halb sechs morgens eingeschlafen.

      Nach der merkwürdigen Verfolgungsjagd in Sachsenhausen nämlich, bei der er unversehends vom Jäger zum Gejagten geworden war, und nach einem anschließenden hektischen Wettlauf gegen den Redaktionsschluss, war Oskar am gestrigen Freitagabend viel zu durcheinander gewesen, um früh ins Bett zu gehen. Um sich abzulenken, war er stattdessen am späten Abend noch ins Spurlos gezogen, in seinen Lieblingsclub um die Ecke vom Goethehaus. Dort hatte er sich ohne großen Anlauf betrunken. Aber selbst eine ordentliche Dosis Alkohol reichte nicht, um richtig müde zu werden. Zuhause in seinem Bett lag Oskar noch fast zwei Stunden wach und versuchte, die Mosaiksteine der Geschichte zu ordnen, die er am Vortag erlebt hatte und die für ihn immer noch keinen rechten Sinn ergab. Erst als es draußen schon wieder hell wurde und unten der Zeitungsbote an den Briefkästen klapperte, schlief Oskar endlich ein – für immerhin sechs Stunden. Eben bis sein Nachbar Karim mit seinem Kleinbus unfreiwillig vor der Einfahrt stoppen musste und deshalb einen solchen Radau machte, dass davon selbst Menschen im Tiefschlaf und mit Restalkohol im Blut aufgeweckt wurden. Oskar hatte gerade noch Zeit für eine Dusche und für einen raschen Blick auf die Titelseite des Finanzblatts, als er es unten aus dem Briefkasten zog. Gleich unter dem Bruch platziert war der Einspalter, den Oskar gestern noch rasch in der Redaktion zusammengeschrieben hatte – über die Beruhigungsversuche der Bundesbank mit Blick auf die NordwestLB: Berenbrink nimmt Banken in Schutz. Darunter stand auf gerade einmal zwanzig Zeilen eine Kurzzusammenfassung vom Auftritt des Bundesbankpräsidenten vor der Alten Oper und ein Schnelldurchlauf der neuesten Gerüchte über die Landesbank. Eingeleitet war die Meldung mit der Ortsmarke Frankfurt am Main und dem Kürzel des Verfassers: owi – für Oskar Willemer.

      Auf den wenigen Schritten zu seiner Vespa fiel Oskar noch ein anderer Einspalter auf der Titelseite ins Auge. In der Ecke unten links stand der Artikel über den Sturz aus dem Tower der Hypo-Union. Das Opfer, so hieß es im Leadsatz, sei nach Informationen dieser Zeitung bereits tot gewesen, bevor es auf dem Boden aufgeschlagen war. Verdammt, wo hatte Stolberg das denn aufgeschnappt, dachte sich Oskar – bevor ihm wieder einfiel, dass er es ja eigentlich sehr eilig hatte. Es war allerhöchste Zeit, um sich mit der Vespa Richtung Niddapark aufzumachen.

      Als Oskar gegen halb eins mittags mit dem Motorroller von der Rosa-Luxemburg-Allee abbog und kurz darauf das Stadiongelände erreichte, war die gegnerische Rugby-Mannschaft aus Heusenstamm gerade dabei, ihren Bus zu verlassen. Oskar eilte in die Umkleiden, wo ihn seine Mannschaftskameraden schon sehnlichst erwarteten, wechselte seine Schuhe, zog seine Stutzen hoch, stopfte das rot-weiße Trikot in die schwarze Rugby-Shorts und stapfte zum lauten Klang, den die Stollenschuhe auf dem Steinboden erzeugten, mit den anderen Jungs durch den Kabinengang an die frische Luft.

      Erst jetzt fiel Oskar auf, dass die Eintracht nicht in Bestbesetzung antrat. Benjamin Beckmann – Oskars Busenfreund und rasender Reporter bei Worldnews – fehlte.

      „Wo zum Teufel ist denn Ben?“, fragte er seinen Teamkollegen Gerard.

      „Der hat vorhin absagen müssen, hat irgendwelchen Ärger gehabt und musste zur Polizei.“ Für weitere Erklärungen blieb keine Zeit.

      Die