Название | Die Clique |
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Автор произведения | Mary McCarthy |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783869152363 |
In Gedanken hatte sie es gewagt, Lakeys Namen in Verbindung mit Liebe zu nennen, weil sie Dick beweisen wollte, dass sie auf die dunkle Schöne, wie er Lakey stets nannte, nicht eifersüchtig sei. Den Spitznamen Lakey mochte er nicht. Allerdings war Dottie aufgefallen, dass er sich immer nervös den Schlips zurechtzog, wenn Lakey sich ihm zuwandte, wie jemand, der sich unerwartet in einem Spiegel in der U-Bahn sieht, und dass er mit ihr immer ernst war, weder spöttisch noch giftig, auch wenn sie seine Meinung über Kunstfragen nicht teilte. Und doch, als sie dem Schiff nachwinkten und Dottie im Bemühen, sein Vertrauen zu gewinnen und Lakey mit ihm zu teilen, wiederholt flüsterte: »Ist sie nicht fabelhaft?«, zuckte er nur, wie irritiert, die Achseln.
»Sie hat Verstand«, erwiderte er schließlich kühl.
Jetzt aber, da Lakey auf hoher See schwamm, sie jedoch gemütlich mit Dick im Bett lag, versuchte Dottie es mit einer neuen Theorie. Wie, wenn Lakey ihn nur platonisch anzöge, sie selbst ihn aber körperlich mehr reizte? Lakey war schrecklich klug und wusste eine Menge, aber man hielt sie gemeinhin für kalt. Womöglich bewunderte Dick ihre Schönheit nur als Künstler, während er sie, Dottie, aus anderen Gründen vorzog. Der Gedanke war nicht sehr überzeugend, trotz allem, was Dick ihr gesagt hatte – dass ihr Körper sie in Erstaunen versetzt habe und so weiter. Kay behauptete, dass kultivierteren Männern am Vergnügen der Frau mehr gelegen sei als am eigenen. Aber Dick (Dottie hüstelte) schien nicht gerade von Leidenschaft überwältigt, nicht einmal, als er sie so schrecklich erregte. Traurigkeit beschlich sie, als sie an Kay dachte. Kay würde ihr ohne Umschweife erklären, dass ihr Lakeys Strahlkraft fehle und dass Dick sie offensichtlich als Ersatz für Lakey benütze, weil er einem so schönen, reichen und faszinierenden Geschöpf in diesem kahlen Zimmer niemals das Wasser reichen könne. »Dick würde kein Mädchen wollen, das Gefühle in ihm weckt«, hörte sie Kay mit lautem, diktatorischem Middlewest-Akzent dozieren, »wie Lakey das bestimmt tun würde, Renfrew. Du bist nichts als ein Ventil für ihn, ein Sicherheitsventil für eine Nacht.« Die Worte zermalmten Dottie wie eine Dampfwalze, denn es könnte so sein. Kay würde vermutlich auch behaupten, dass Dottie von ihrer Jungfernschaft erlöst werden wollte und Dick lediglich dazu benutzt habe. Entsetzlicher Gedanke. Ob Dick das etwa von ihr dachte? Kay meinte es gut, wenn sie die Dinge so nüchtern benannte, und das Furchtbare war, dass sie meistens recht hatte. Oder wenigstens klang es immer so, weil sie so völlig desinteressiert war und nicht ahnte, wie sehr sie andere verletzte. Sobald Dottie auch nur in Gedanken auf Kay hörte, verlor sie ihr ganzes Selbstbewusstsein und wurde zu dem, was sie Kays Meinung nach war: ein Mamakind und eine alte Jungfer aus Boston. Allen schwächeren Mitgliedern der Clique erging es ebenso. Kay bemächtigte sich, wie Lakey einmal sagte, ihrer Herzensangelegenheiten und gab sie zurück, eingelaufen und etikettiert, wie aus der Wäscherei. So war es im Fall von Polly Andrews’ Verlobung gewesen. In der Familie des Jungen, den sie heiraten wollte, gab es eine Geisteskrankheit, und Kay zeigte Polly so viele einschlägige Statistiken, dass Polly mit ihm brach, einen Nervenzusammenbruch erlitt und ins Krankenhaus musste. Und natürlich hatte Kay recht. Mr. Andrews war schon Belastung genug, man brauchte sich nicht auch noch mit einer depressiv veranlagten Familie zu verbinden. Kay riet Polly, mit dem Jungen zu leben, da sie ihn liebte, und später, wenn sie einmal Kinder haben wollte, einen anderen zu heiraten. Aber Polly brachte nicht den Mut dazu auf, so gern sie es auch getan hätte. Außer Lakey war die ganze Clique Kays Meinung, wenigstens was das Nichtheiraten anging, aber nicht eine hatte den Mut gehabt, es Polly ins Gesicht zu sagen. Kay sagte ihre Meinung rundheraus, wo die anderen nur tuschelten.
Dottie seufzte. Wenn Kay doch bloß nichts über Dick und sie erfahren würde! Aber das war wohl unvermeidlich, da Dick ja mit Harald befreundet war. Nicht weil Dick davon sprechen würde, dafür war er viel zu sehr Gentleman und auch zu rücksichtsvoll. Viel eher würde Dottie sich selbst verraten, denn Kay verstand sich ausgezeichnet darauf, einen zum Reden zu bringen. Zu guter Letzt vertraute man sich Kay an, denn ihre Ansicht zu hören schien immer noch besser zu sein, als sie nicht zu hören. Man hatte Angst, die Wahrheit zu fürchten. Außerdem konnte Dottie es unmöglich Mama erzählen – jedenfalls auf absehbare Zeit, denn ihre Mutter, die ja aus einer anderen Generation stammte, würde es niemals so sehen können wie Dottie, wenn sie sich auch noch so bemühte, und das würde sie besorgt und unglücklich machen. Sie würde Dick kennenlernen wollen, Papa würde sich anschließen und sich dann Gedanken über eine etwaige Ehe machen, die ja völlig ausgeschlossen war. Dottie seufzte abermals. Jemandem musste sie es erzählen, das wusste sie – natürlich nicht die intimsten Details, aber einfach die erstaunliche Tatsache, dass sie ihre Jungfernschaft verloren hatte –, und das konnte nur Kay sein.
Dann würde Kay über sie mit Dick sprechen. Davor hatte Dottie die allermeiste Angst. Sie konnte den Gedanken nicht ertragen, dass Kay sie zerpflücken und analysieren, sich über ihre Krankengeschichte, die Clubs ihrer Mutter, die Geschäftsbeziehungen ihres Vaters und ihre gesellschaftliche Stellung in Boston auslassen würde, die Kay außerordentlich überschätzte: Sie gehörten durchaus nicht zu den oberen Zehntausend, den »Brahmanen« – ein grässliches Wort. Dotties Augen funkelten belustigt. Kay hatte keine Ahnung von Clubs und Gesellschaft, obgleich sie so sachverständig tat. Man müsste ihr wirklich einmal sagen, dass heutzutage nur noch Langweiler oder Außenseiter solche Dinge wichtig nahmen. Arme, ehrliche Kay! Fünf Versuche, so erinnerte sich Dottie, schon halb eingeschlafen, ehe es bei ihr soweit war, und so viel Blut und Schmerzen. Sagte Lakey nicht immer, sie hätte eine Haut wie ein Nilpferd? Sex war doch nur eine Frage der Anpassung an den Mann, wie beim Tanzen – Kay tanzte miserabel und wollte immer führen. Ihre Mutter hatte ganz recht, sagte sie sich genüsslich, während sie allmählich in Schlaf versank: Es ist ein großer Fehler, Mädchen zusammen tanzen zu lassen, wie das in so vielen zweitklassigen Internaten üblich war.
DRITTES KAPITEL
»Besorg dir ein Pessar«, brummte Dick zum Abschied, als er sie am anderen Morgen mit energischem Griff zur Tür schob. Dottie war wie vom Donner gerührt. In ihrer Verwirrung verstand sie: »Besorg dir ein Pekari«, und durch ihr verstörtes Gemüt huschte filmgleich das Bild des borstigen Nabelschweins aus der Zoologiestunde. Entsetzliche Erinnerungen an Krafft-Ebing stellten sich ein und an das Mädchen, das sich in Vassar einmal einen Ziegenbock gehalten hatte. War das etwa eine Variante des Witzes von der alten Jungfer, die sie eigentlich kennen sollte? Tränen traten ihr in die Augen, die sie zurückzudrängen suchte. Anscheinend hasste Dick sie für das, was sich in der Nacht zwischen ihnen abgespielt hatte. Manche Männer benähmen sich hinterher so, wenn sie ihren Begierden freien Lauf gelassen hätten, behauptete Kay.
Ihr Frühstück war äußerst unerfreulich gewesen. Dick hatte es zubereitet und sich nicht von ihr helfen lassen. Rühreier und Kaffee und der Rest eines Kranzkuchens aus der Bäckerei – weder Obst noch Fruchtsaft. Beim Essen sprach er fast kein Wort, gab ihr einen Teil der Zeitung und vertiefte sich, kaffeetrinkend, in den Sportteil und die Annoncen. Als sie ihm den Nachrichtenteil geben wollte, schob er ihn ungeduldig von sich. Bis dahin hatte sie sich gesagt, dass er vielleicht mit dem falschen Fuß aufgestanden sei, wie Mama zu sagen pflegte. Papa war auch schon mal morgens schlecht gelaunt. Jetzt allerdings erkannte sie, dass es sinnlos war, sich noch weiter etwas vorzumachen – sie hatte ihn verloren. Im Schlafrock, mit zerzaustem Haar, dem grausamen, bissigen Lächeln und dem bitteren Spott erinnerte er sie an jemand. Hamlet – natürlich –, der Ophelia von sich stößt. »Geh in ein Kloster.« – »Ich liebte Euch nicht.« Aber sie durfte nicht wie Ophelia sagen: »Umso mehr wurde ich betrogen.« (Was die Klasse für die ergreifendste Stelle des ganzen Stückes hielt.) Dick hatte sie ja nicht betrogen, sie selbst hatte sich etwas vorgemacht. Sie starrte ihn an und schluckte schwer; eine Träne stahl sich aus einem Auge.
»Ein Empfängnisverhütungsmittel für Frauen«, erläuterte Dick ungeduldig. »Ein Stöpsel. Du bekommst ihn bei einer Ärztin. Frag deine Freundin Kay.« Nun dämmerte es ihr. Ihr Herz tat einen Freudensprung. Bei einem Menschen wie Dick, so frohlockte ihr weiblicher Instinkt, war das sicher die Sprache der Liebe. Aber man durfte einen Mann nicht merken lassen,