Название | Die Clique |
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Автор произведения | Mary McCarthy |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783869152363 |
»Harald hat die Sache offenbar eingehend studiert«, bemerkte Dottie verschmitzt. »Ich habe es sehr schlecht erzählt«, erwiderte Kay ernst. »Wenn Harald es erzählt, sieht man die ganze Sache unter dem Gesichtspunkt des Besitzes, dem Fetischismus des Besitzes. Ich riet ihm, für den Esquire darüber zu schreiben. Der bringt manchmal ganz gute Sachen. Findest du nicht auch, dass er es tun sollte?« Dottie wusste darauf keine Antwort. Sie fand Haralds Auffassung ziemlich unerfreulich, so kalt und durchdacht, wenn er auch eine Menge davon verstehen mochte. Es war jedenfalls etwas völlig anderes als das, was man den Prospekten über Empfängnisverhütung entnahm.
Ferner, zitierte Kay, bereite die Beseitigung von Pessar und Irrigator gewisse Schwierigkeiten, wenn eine Beziehung zu Ende sei. Was soll der Mann mit diesen hygienischen Reliquien anfangen, wenn er – oder die Frau – des anderen überdrüssig ist? Man könne sie nicht wie Liebesbriefe oder einen Verlobungsring durch die Post zurückschicken, obwohl auch das schon mancher Rohling getan hätte. Andererseits könne man sie auch nicht in den Abfalleimer werfen, wo Hausmeister oder Zimmerwirtinnen sie finden würden. Sie ließen sich nicht verbrennen, ohne einen fürchterlichen Gestank zu verursachen, und sie für eine andere Frau aufzuheben sei bei unseren bürgerlichen Vorurteilen undenkbar. Man könne sie eventuell, eingewickelt in Papier, spätnachts zu einem der öffentlichen Abfallkörbe tragen oder in den Fluss werfen, aber Freunde von Harald, die das einmal getan hatten, waren dabei tatsächlich von der Polizei ertappt worden. Wahrscheinlich hatten sie sich zu auffällig benommen. Die Beseitigung von Pessar und Irrigator, dem Corpus delicti einer Liebesaffäre, sei, wie Harald sich ausdrückte, genauso schwierig wie die Beseitigung einer Leiche. »Ich sagte, man könne es doch genauso machen wie die Mörder in einem Kriminalroman: sie in der Kofferaufbewahrung der Grand Central Station abgeben und dann den Aufbewahrungszettel wegwerfen.« Kay lachte in ihrer schallenden Art, aber Dottie schauderte. Es würde absolut nicht komisch sein, wenn sich ihr und Dick das Problem einmal stellen sollte. Sooft sie an die Zukunft dachte, an die entsetzlichen Komplikationen, die eine heimliche Liebesbeziehung mit sich brachte, hätte sie am liebsten aufgegeben. Und Kays Ratschläge, wenn auch zweifellos gut gemeint, schienen darauf angelegt, sie durch ihre Unerbittlichkeit und ihren Zynismus zu deprimieren.
Infolgedessen, fuhr Kay fort, schicke ein Junggeselle, der bei Verstand sei, ein Mädchen nur dann wegen eines Pessars zum Arzt, wenn ihm viel an ihr liege. Schwierigkeiten träten lediglich bei bürgerlich verheirateten Frauen oder bei Mädchen der Gesellschaft auf, die mit den Eltern oder anderen Mädchen zusammenwohnten. Es gebe freilich auch Frauen leichteren Kalibers, geschiedene Frauen und alleinstehende Sekretärinnen und Büroangestellte mit eigener Wohnung, die sich ihre Ausrüstung selbstständig besorgten und ihren Irrigator an die Badezimmertür hängten, für jeden sichtbar, der bei einer Cocktailparty einmal das Bad benutzen musste. Einer von Haralds Freunden, ein erfahrener Regisseur, besehe sich grundsätzlich immer erst das Badezimmer, bevor er etwas mit einem Mädchen anfange. Hinge der Irrigator an der Tür, könne er mit neunzig Prozent Wahrscheinlichkeit beim ersten Versuch bei ihr landen.
Sie verließen den Bus an der unteren Fifth Avenue. Dotties Gesicht war voller Flecken – ein sicheres Zeichen dafür, dass sie nervös war. Kay gab sich mitfühlend. Dies sei ein wichtiger Schritt für Dottie, sie habe Dottie eine Vorstellung davon vermitteln wollen, wie wichtig es sei, viel wichtiger als der Verlust ihrer Jungfräulichkeit. Für eine verheiratete Frau sei es natürlich etwas anderes. Harald sei gleich dafür gewesen, dass sie Dottie begleite und sich ebenfalls ein Pessar anpassen lasse. Sowohl sie wie auch Harald verabscheuten Kinder und hatten nicht die geringste Absicht, welche in die Welt zu setzen.
Kay hatte in ihrer eigenen Familie erlebt, welche Belastung Kinder für eine Ehe bedeuten können. Der vielen Geschwister wegen musste Papa schwer schuften. Hätte er nicht so viele Kinder gehabt, wäre er vielleicht ein berühmter Spezialist geworden statt ein hart schuftender praktischer Arzt, an dessen Leistungen auf orthopädischem Gebiet und in der Meningitisforschung nun eine Station des Krankenhauses erinnerte. Dem armen Papa hatte es richtig Spaß gemacht, sie in den Osten nach Vassar zu schicken. Sie war die Älteste und Gescheiteste, und sie war davon überzeugt, dass er ihr zu dem Leben verhelfen wollte, das er selbst hätte haben können, draußen in der großen Welt, wo er die Anerkennung gefunden hätte, die er verdiente. Er wurde heute noch zu Forschungsarbeiten in die großen Laboratorien des Ostens eingeladen. Aber er meinte, er sei jetzt zu alt, um noch zu lernen, er verkalke schon. Er hatte Kay und Harald gerade einen fürstlichen Scheck geschickt. Sie waren darüber zu Tränen gerührt gewesen – es war viel mehr, als Mutter und er jemals für die Fahrt und Unterkunft ausgegeben hätten, wenn sie zur Hochzeit gekommen wären. Es sei ein Vertrauensbeweis, hatte Harald gesagt. Und sie und Harald hatten nicht die Absicht, dieses Vertrauen dadurch zu enttäuschen, dass sie Kinder kriegten, bevor Harald sich in der Theaterwelt einen Namen gemacht hatte. Das Theater – seltsamer Zufall – war eine von Papas großen Passionen. Er und Mutter besuchten in Salt Lake City alle Vorstellungen durchreisender Theatergruppen und gingen, wenn sie zu Ärztekongressen nach New York kamen, fast jeden Abend in eine Vorstellung.
Wie alle modernen Ärzte war Kays Vater für Geburtenbeschränkung und für die Sterilisierung von Verbrechern und Asozialen. Er würde Kays Verhalten sicherlich richtig finden. Wie er Dotties Verhalten beurteilen würde, war eine andere Frage. Kay selbst war entsetzt, als sie hörte, dass Dottie sich unter ihrem vollen Namen angemeldet hatte: Dorothy Renfrew, nicht einmal »Frau«! Als lebten sie in Russland oder Schweden statt in den braven alten USA. Viele, die nichts dabei finden würden, dass sie mit Dick geschlafen hatte – das konnte jedem passieren –, würden sie scheel ansehen, wenn sie wüssten, was sie, Kay, gerade jetzt vorhatte. Was man privat tut, geht keinen etwas an, aber dies war ja geradezu öffentlich! Sie sah sich argwöhnisch auf der Fifth Avenue um. Man konnte nie wissen, wer einen vielleicht aus einem fahrenden Bus oder Taxi beobachtete.
Sie wurde jetzt, in Begleitung Dotties, nervös und gleichzeitig wurde sie immer ärgerlicher auf Dick. Harald hätte ihr so etwas nie zugemutet. Nach den ersten paar Malen war er selbst in den Drugstore gegangen und hatte ihr die Zäpfchen und eine Frauendusche gekauft, um ihr die Begegnung mit dem Drogisten zu ersparen. Kay packte Dottie am Arm und führte sie über die Straße. Sie verfluchte den Tag, an dem sie Dick, den sie ja kannte, zu ihrer Hochzeit eingeladen hatte. Die Praxis der Ärztin konnte immerhin von der Polizei durchsucht, die Krankengeschichten konnten beschlagnahmt und in der Presse veröffentlicht werden, und das wäre das Ende für Dotties Familie, die dann wahrscheinlich Kay, als die erste Verheiratete der Clique, dafür verantwortlich machen würde. Sie empfand es als ein ziemliches Opfer, dass sie Dottie heute begleitete und moralisch stützte, obwohl diese ihr entgegenhielt, dass Geburtenregelung laut eines Gerichtsurteils, das Ärzten gestattete, Verhütungsmittel zu verschreiben, völlig legal und erlaubt sei.
Als sie bei der Ärztin läuteten, musste Kay plötzlich über Dotties Gesichtsausdruck lachen, über ihren entschlossenen Blick. Und tatsächlich spiegelte sich Dotties Eifer in der militanten Strenge des Wartezimmers, das der Geschäftsstelle einer missionierenden Sekte glich. Auf der Rückenlehne des einzigen Polstersofas lagen zwei weiße Kopfschoner, an der braungetönten Wand stand eine Reihe gradlehniger Stühle. Der Zeitschriftenständer enthielt Exemplare von Hygieia, Parents, Consumers’ Research Bulletin, eine der letzten Nummern der Nation und eine alte Nummer von Harper’s. Auf Radierungen an den Wänden waren überfüllte Elendsviertel mit rachitischen Kindern abgebildet, und die Lithographie einer Krankenhausstation aus dem vorigen Jahrhundert zeigte junge Frauen, die, ohne Pflege und ihre Säuglinge neben sich, im Sterben lagen – an Kindbettfieber, flüsterte Dottie. Im Raum herrschte eine fast fromme Stille, es gab keine Aschenbecher und das dumpfe Surren eines Ventilators tat ein Übriges. Kay und Dottie zogen automatisch ihre Zigarettenetuis hervor, steckten sie jedoch nach einem prüfenden Rundblick wieder ein. Außer ihnen warteten noch zwei Patientinnen. Die eine, eine blasse magere Frau von etwa dreißig, hatte ein Paar Baumwollhandschuhe auf dem Schoß liegen und trug keinen Ehering – worauf Dottie Kay wortlos aufmerksam machte. Die zweite Patientin, mit randloser Brille und abgetragenen Schuhen, war bestimmt schon über vierzig. Der Anblick dieser alles andere als wohlhabenden Frauen sowie der Bilder an den Wänden hatte auf die Mädchen eine ernüchternde