Название | Die Ethologie der Hunde |
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Автор произведения | Raymond Coppinger |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783954640911 |
Wir Ethologen befassen uns im Wesentlichen mit dem Verhalten von Tieren in der Natur. Unsere Zeit verbringen wir damit, Tierbewegungen im natürlichen Lebensraum zu untersuchen und zu beobachten, während die Tiere „ihren Lebensunterhalt verdienen“ – also beim Nahrungserwerb, wie sie dem Gefressenwerden zu entgehen versuchen, ihr Verhalten im Wettstreit mit anderen Tieren um Vorräte oder einen Partner, bei der Geburt und Aufzucht ihrer Jungen. Das wissenschaftliche Ziel ist, eine Theorie aufzustellen, wie Tiere zu all dem in der Lage sind. Wenn man verstehen möchte, warum ein Lebewesen wozu in der Lage ist (oder wozu es veranlasst werden könnte), gibt es natürlich auch die Möglichkeit, Tiere unter kontrollierten, künstlichen Bedingungen im Labor zu studieren. Aber gerade Ethologen beobachten Tiere viel lieber in ihrer natürlichen Umgebung an Ort und Stelle.
Viele Ethologen sind insbesondere von der Verhaltensforschung in der freien Wildbahn fasziniert, wo es, abseits von Einfluss oder Kontrolle durch den Menschen, viele Millionen wild lebender, faszinierender Arten gibt. Man nehme irgendeine Zeitschrift über Tierverhalten oder Ethologie zur Hand und man wird darin haufenweise Studien über grasende Gazellen aus der afrikanischen Savanne oder kreischende Brüllaffen finden, die in den Bäumen des Regenwalds am Amazonas leben. Dabei braucht man nicht eigens darauf hinzuweisen, dass wir „Menschentiere“ einen erschreckend großen Teil der natürlichen Welt besetzen und heutzutage nur noch wenige Tierarten in der ursprünglichen, unberührten Wildnis vorkommen.
Tatsächlich führten die Ausbreitung der menschlichen Bevölkerung und deren wirtschaftliche Aktivitäten auch zu einer kontinuierlichen Verdrängung wilder Arten - viele ihrer Bestände sind zahlenmäßig stark zurückgegangen (manche bis hin zum Aussterben), und so ist es immer schwieriger geworden, sie zu erforschen. Das ist einer der Gründe dafür, warum das Objekt unserer Forschungsarbeit der alltägliche, überall vorkommende und sich erfolgreich vermehrende domestizierte Hund ist, eine Art, mit welcher der Mensch nun schon seit mehr als achttausend Jahren eng zusammenlebt. Es gibt eine ganze Milliarde von ihnen, sie mögen uns so vertraut sein wie jede gewöhnliche kleine Töle und wir betrachten sie nur zu oft durch eine vermenschlichende und sentimentale Brille. Trotzdem sind Hunde ganz großartige Modelle zur Erhellung der allgemeinen wissenschaftlichen Prinzipien, die erklären, was Tiere – und damit auch wir Ethologen – tun.
Konrad Lorenz (1903-1989) war einer der Gründerväter der modernen wissenschaftlichen Ethologie (Abb.4). Als Nobelpreisträger, akribischer Beobachter vieler Arten sowie literarisch begabter und aktiver Tierschriftsteller verbrachte er viel Zeit seiner langen Karriere damit, Hundeverhalten aus der Sicht eines Wissenschaftlers zu betrachten – was ihn allerdings nicht daran hinderte, sich dem besten Freund des Menschen gegenüber auch ein wenig sentimentalen Gefühlen hinzugeben. Seinen eigenen Schäferhund beschreibt Lorenz in der letzten Zeile seines Buchklassikers So kam der Mensch auf den Hund als „unermessliche Summe von Liebe und Treue“. Kaum einer der heutigen Hundeliebhaber würde dieser charmanten Hommage widersprechen wollen, und Lorenz, der Hundeliebhaber, mag wohl gedacht haben, er könne aus der Sicht seiner tiefen Verbundenheit mit den vielen Tieren heraus, die er in Haus und Hof hielt, zu einem gewissen Maß an wissenschaftlicher Erkenntnis gelangen.
Abb. 4: Die beiden Coppinger-Jungs 1978 beim Fachsimpeln über Ethologie zuhause bei Greta und Konrad Lorenz. Foto: Lorna Coppinger
Als Lorenz 1973 für seine Untersuchungen zur Prägung von Graugänsen den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin erhielt (gemeinsam mit Nikolaas Tinbergen, für dessen Werk über Silbermöwen und Karl von Frisch, der die „Tanzsprache“ der Honigbiene entdeckte), verlieh man ihm diesen jedoch nicht deshalb, weil das Nobelpreiskomitee überzeugt davon gewesen wäre, dass Zuneigung und Mitgefühl mit Tieren zu des Rätsels Lösung führen würden, wie und warum Tiere sich so oder so verhalten. Nein, vielmehr wurde der Preis – der erste, der für eine wissenschaftliche Arbeit zu Tierverhalten vergeben wurde – für die grundlegende Theorie in der Ethologie verliehen, dass, in den Worten des Nobelpreiskomitees, „Verhaltensmuster erklärbar werden, wenn man sie analog zu anatomischen und physiologischen Merkmalen als das Ergebnis natürlicher Auslese betrachtet.“
Dieser Gedanke verkörpert den Herzschlag der Ethologie. Er bedeutet, dass das Verhalten an sich eine Folge organischer Evolution ist – und damit genauso ein Merkmal der adaptiven Maschinerie eines Tieres wie dessen Gliedmaßen oder Leber. Gleichzeitig impliziert er, dass bestimmte Verhaltensweisen auch auf die gleiche Art und Weise untersucht werden müssen wie körperliche Eigenschaften – als arttypische Merkmale, mit denen die Zuordnung in der Taxonomie vorgenommen wird. Der Begriff „Ethologie“ selbst stammt übrigens aus dem Griechischen und bedeutet „Untersuchung des Charakters“, was den Kerngedanken der Einheit von Verhaltensmerkmalen und körperlichen Attributen recht treffend beschreibt.
Eine Folge dieser ethologischen Sichtweise ist die Erkenntnis, dass die natürliche Auslese also gleichzeitig sowohl auf das Verhalten als auch auf die äußere Erscheinung einwirkt. Es ist nicht zu weit hergeholt, zu sagen, dass (aus der Sicht von Ethologen) das, worum es in der Evolution wirklich geht, das Schwimmen, Fliegen oder Laufen ist. Flossen, Flügel oder Gliedmaßen sind nur Mittel zum Zweck. Als das erste Meerestier an Land gekrochen oder gekrabbelt kam, bestand sein Vorsprung im Selektionsprozess im Verhalten – es konnte einige der bereits entwickelten Eigenschaften seiner Form und Struktur nutzen, um sich auf bestimmte Art und Weise zu bewegen.
Von daher ist es nur logisch, dass Ethologen ihre Forschung auf die Beobachtung, Messung und Erklärung stammesgeschichtlich erworbener Verhaltensmuster konzentrieren. Manchmal wurden diese als angeborenes Verhalten oder Instinkt bezeichnet. Keine dieser Bezeichnungen ist jedoch sonderlich zeitgemäß, ganz besonders der Begriff „Instinkt“ mutet etwas verstaubt an. Die frühen Ethologen scheuten sich zwar nicht, dieses Wort zu verwenden (Tinbergen hat ein sehr schönes Buch mit dem Titel Instinktlehre verfasst), doch im Nachhinein betrachtet war das vermutlich ein Fehler. Der Begriff verschleiert nämlich die grundlegende ethologische Erkenntnis, dass verhaltens- und körperbezogene Eigenschaften ein und dasselbe sind. Beides sind angeborene und ererbte Eigenschaften, während Begriffe wie „instinktiv“ oder „angeboren“ zumindest im allgemeinen Sprachgebrauch nur im Zusammenhang mit dem Verhalten verwendet und nicht auf körperliche Eigenschaften eines Lebewesens bezogen werden. Man stelle sich nur einmal vor, wie grundfalsch es sich anhörte, wenn man sagte, der Mensch habe „einen Instinkt für fünf Finger“.
Auch der Begriff „angeboren“ ist problematisch. Versteht man doch darunter im Allgemeinen, dass ein Merkmal bei der Geburt vorhanden und im Wesentlichen durch ein spezielles genetisches Programm festgelegt ist. Wenn man ein Körpermerkmal als „angeboren“ bezeichnet, so ist das weniger unglücklich formuliert, als wenn man es „Instinkt“ nennen würde. Doch genauso wenig, wie es einzelne Aggressions-Gene gibt, gibt es auch keine Gene für fünf Finger. Finger sind das Ergebnis eines ursprünglichen Bauplans, der im Verlauf der Entwicklung eines Lebewesens einer ganzen Kaskade von kettenförmig ablaufenden physikalischen und chemischen Reaktionen unterliegt. Kleinste Änderungen in diesem Ablauf, und seien es auch nur einfache physikalische Einflüsse auf die Umgebung wie Hitze oder Kälte oder chemische Einflüsse wie die Zufuhr von Arzneien oder Alkohol, können die Form und sogar die Anzahl der Finger verändern. Dass also der Großteil von uns Menschen fünf Finger besitzt, liegt daran, dass wir beim Ablauf der Stufenreaktionen in sehr ähnlichen fetalen Umgebungen lebten: Unsere Mütter hatten eine Körpertemperatur von 37°C, waren gesund und nahmen weder Medikamente noch andere Chemikalien zu sich, welche unsere Entwicklung beeinflussten. Es war die Entfaltung der Genexpression zu den richtigen Bedingungen, die uns unsere fünf Finger beschert hat. Wenn man es so betrachtet, kann das Merkmal nicht als „angeboren“ oder „in den Genen liegend“ bezeichnet werden. Es ist vielmehr das Ergebnis eines Entwicklungsprozesses, der von einem Gensatz angestoßen wurde. Die Kritiker der Terminologie „Instinkt“ und „Angeborensein“ vertreten die Ansicht, dass man unmöglich den Rückschluss ziehen dürfte, ein Verhaltensmuster