Название | Die Ethologie der Hunde |
---|---|
Автор произведения | Raymond Coppinger |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783954640911 |
Man hat Experimente folgendermaßen überprüft: Man nahm zwei Tiere und zog diese in identischen Umgebungen auf; also mussten alle Unterschiede genetisch bedingt sein. Nun nehmen wir einmal an, wir möchten wissen, welche Rinderrasse die meiste Milch gibt. Also ziehen wir zwei Rassen – sagen wir einmal Holsteiner und Guernseys – in den gleichen Ställen auf und versorgen sie mit demselben Futter. Ihre Genotypen sind verschieden, aber die Umweltbedingungen, in denen sie leben, sind exakt die gleichen. Unter diesen Umständen geben die Holsteiner Kühe mehr Milch. Können wir also einfach die Umwelt/Erziehung von der Gleichung abziehen und daraus schließen, dass ein genetischer Rassenunterschied – die Natur – die Holsteiner zu besseren Milchkühen macht? Leider nein.
Es mag zwar stimmen, dass Holsteiner in einer bestimmten Umgebung mehr Milch geben als Guernseys, doch wenn wir die Ernährungsbedingungen umstellen, indem wir etwa beide Tiere für einige Tage zum Grasen auf die Weide stellen, können Guernseys die Holsteiner übertreffen. Wieder haben wir die Umweltbedingungen (Erziehung) beeinflusst – aber dieses Mal gaben die Guernseys mehr Milch. Also welche Rinderrasse gibt denn nun die meiste Milch? Vielleicht liegt die Antwort in einer anderen Frage: An welche Umweltbedingungen sind sie angepasst?
Die Bedingungen der Umwelt, in der Tiere leben, sind ausgesprochen vielfältig und befinden sich in ständiger Veränderung. Intensiveres Licht könnte einen Unterschied bei der Milchproduktion ausmachen; die Temperatur könnte ein Faktor gewesen sein. Wie wir nun gesehen haben, erbringt die Genanalyse eines Tieres keine vollständige Darstellung all der Details in Aussehen und Verhalten, die es während seines Daseins zeigt – das ist auch gar nicht möglich. Genauso ist auch die Betrachtung eines Tieres in einer bestimmten Umgebung kein ausreichender Garant dafür, dass wir uns ein tatsächliches Bild seiner Fähigkeiten machen können. „Natur plus Erziehung“ unterstellt, dass man den Einfluss je einer der beiden Kräfte leicht herauskitzeln kann. Doch so einfach ist es nicht. „Natur mal Erziehung“ oder P = G x E ist vermutlich ein besserer Weg, um die komplexen phänotypischen Auswirkungen zu erfassen, die wirklich für Lebewesen charakteristisch sind.
Warum Arbeitshunde beobachten?
Wir erwähnten zuvor, dass es etwa eine Milliarde Hunde auf der Welt gibt. Nur ein Viertel von ihnen lebt bei uns zu Hause oder in sehr enger Bindung zu uns; von diesen werden viele nur zur Gesellschaft als reine Begleiter gehalten. Andere dagegen nutzen wir vorrangig für unsere praktischen Zwecke wie zum Beispiel die Landwirtschaft. In unserer eigenen Forschungsarbeit konzentrierten wird uns speziell auf diese „Arbeitshunde“.
Ray hat fünfzehn Jahre mit der Zucht und Ausbildung von Hunden zugebracht, die Schlitten ziehen, und wurde zu einem kompetenten Musher. Er verfasste viele Artikel zur Anatomie, Physiologie und Biomechanik von Schlittenhunden. Etwa viertausend Hunde „gingen über seinen Hof “. Danach wandten wir uns gemeinsam dem Studium von Hunden zu, die Schäfer bei der Herdenhaltung unterstützen. Wir schauten uns zwei Arten an: Hütehunde, die die Herde von einem Ort zum nächsten treiben (unser Studientier war der Border Collie aus Schottland), und Herdenschutzhunde, die die Herde vor Fressfeinden beschützen. Wir holten und studierten Maremmen-Abruzzen-Schäferhunde aus Italien, Šarplaninacs aus dem ehemaligen Jugoslawien und Anatolische Schäferhunde aus der Türkei, zusammen mit einer großen Anzahl an Chesapeake-Bay-Retrievern, die von Rays Sohn Tim Coppinger aufgezogen und für Wettkämpfe trainiert worden waren. Die Gesamtzahl der Schäferhunde, die für Beobachtungsund Versuchszwecke nutzten, belief sich auf etwa fünfzehnhundert Tiere. Viele der Herdenschutzhunde gingen letztendlich bei mit uns kooperierenden Farmern quer über die Vereinigten Staaten und auch ins Ausland in Dienst.
Es zeigte sich, dass sie alle wunderbare Studienobjekte dafür waren, um herauszufinden, was einen Hund grundsätzlich „zum Ticken bringt“. Schlittenhunde waren perfekte Beispiele für Hunde, die nur auf ein einzelnes Verhalten selektiert worden waren – nämlich das, über lange Strecken schnell zu rennen und dabei Schlitten und Fahrer zu ziehen. Und die Hirtenhunde – Herdenschutzhunde wie Hütehunde – waren das Traumstudienobjekt eines jeden Ethologen: Zwei Hundetypen, die unter den gleichen Umweltbedingungen für die Arbeit mit demselben Zieltier (Schaf) selektiert werden, die sich aber ganz deutlich in ihren Verhaltensmustern und der Art, wie sie diese der Herde gegenüber zeigen, unterscheiden.
Schauen wir uns einmal kurz an, wie und warum wir an diesen drei Arbeitshundetypen Interesse entwickelt haben. Als Ray noch jünger und beweglicher war, beschloss er, dass er sich mit der aufwändigen (aber aufregenden) Angelegenheit des Schlittenhunderennens beschäftigen wollte. Er erstand seine erste Huskyhündin und zeigte sie voller Stolz Charlie Belford, seinem ortsansässigen Veterinär und Weltmeister im Schlittenhunderennen. Belford schaute skeptisch drein und fragte: „Woher weißt du denn, ob sie ein Schlittenhund ist – hat sie schonmal einen Schlitten gezogen?“
Diese Frage mag seltsam erscheinen, sind doch Huskys das Bilderbuchbeispiel für einen Schlittenhund schlechthin. Nun, Schlittenhunde sind erstaunliche Tiere – das schnellste Säugetier der Welt, wenn man über Strecken von Marathondistanz hinausgeht. Kein anderes kann ihnen da das Wasser reichen. Für Bedford ging es allerdings ganz offensichtlich nicht nur um die Frage der „richtigen Rasse“. Es ging noch um etwas anderes. Somit warfen diese Hunde einige große ethologische Fragen auf: Wie verhalten sich Genotyp und Phänotyp bei Schlittenhunden zueinander? Welches sind die Anpassungsmerkmale, die es ihnen ermöglichen, beim Iditarod Trail in Alaska innerhalb von acht Tagen unter arktischen Bedingungen über tausend Meilen zu laufen? Was motiviert sie dazu? Können ihre spezielle Biomaschine, ihre Physiologie und Anatomie, das bemerkenswerte Verhalten dieser Tiere erklären?
An die Untersuchungen zu den Herdenschutzhunden gingen wir ganz anders heran. Unser Interesse an ihnen begann mit einem Auftrag – wir hatten einen eher praktischen Grund dafür, ihr Verhalten verstehen zu wollen. Seit den ersten Tagen des amerikanischen Westens wurden Wölfe, Kojoten, Adler und Pumas von Farmern und Ranchern, später auch von offiziellen „Schädlingsbekämpfern“ der Bundesbehörden, pausenlos gejagt und eingefangen oder man ging mit Sprengstoff und Gift gegen sie vor. Alles, was Nutztierherden angriff, geriet ins Visier. In den frühen 1970ern begann man dann in ganz Amerika, tödliche Methoden zur Raubtierkontrolle mittels Bundesgesetzen zu verbieten. Natur- und Umweltschützer waren davon überzeugt, dass zu einem ausgeglichenen Ökosystem auch die Spitzenprädatoren gehören. Das Verständnis um Ökosysteme war damals noch nicht besonders umfassend, aber nachdem Mitte der 90er Jahre wieder Wölfe im Yellowstone Nationalpark angesiedelt worden waren, wurde klar, dass Arten wie der Wolf tatsächlich eine erstaunlich wichtige Rolle im natürlichen Lauf der Dinge spielen. Im Yellowstone Park war vor der Rückkehr der Wölfe die Hirschpopulation explodiert, und über viele Jahre hinweg hatte die große Anzahl an Hirschen und Bisons einen Großteil der Vegetation im Park kahlgefressen – besonders entlang der Bäche und Flüsse, an denen sie sich zum Fressen und Trinken sammelten.
Die Auswilderung der Wölfe änderte das alles wieder. Als die Grasfresser ihre Fressgewohnheiten änderten, um dem neu entstandenen Druck durch die Wolfsangriffe auszuweichen, begannen sich die Wiesen und Wälder entlang der Bäche und Flüsse zusehends zu erholen. Die Wiederentstehung von Wäldern führte zu einer Explosion der Artenvielfalt von Vögeln. Biber kehrten zurück, sie bauten Dämme mit dem neuen Baumbestand und schufen dadurch neuen Lebensraum, der wiederum andere Wassertiere einlud, die schon längst aus dem Park verschwunden gewesen waren. Die Flüsse selbst änderten ihren Lauf (wie der Schriftsteller und Umweltaktivist George Monbiot es in einer fesselnden TED-Talk-Aufzeichnung [TED = technology, entertainment, design] über die Auswirkung der Wiederansiedlung von Wölfen formulierte), als der Druck durch die Beweidung auf die Vegetation an ihren Ufern abnahm. Der Versuch, zu verstehen, welche Rolle Verhalten in der Verursachung dieser großen, ineinander verzahnten Folgen von kleinen Veränderungen