Название | Die Ethologie der Hunde |
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Автор произведения | Raymond Coppinger |
Жанр | Сделай Сам |
Серия | |
Издательство | Сделай Сам |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783954640911 |
Ein Paradebeispiel dafür ist die oft zitierte britische Geschichte von Greyfriar’s Bobby. Der Überlieferung nach war Bobby ein Skye Terrier, der im viktorianischen Schottland Mitte des neunzehnten Jahrhunderts einem Nachtwächter gehörte.
Die übliche Variante der Geschichte lautet, dass Bobby, nachdem sein Herrchen gestorben und auf dem Friedhof der Greyfriar’s Church begraben worden war, vierzehn Jahre lang treuergeben an dessen Grab gesessen habe. Nach dem eigenen Tod des Hundes errichtete man Statuen zu Ehren der Treue und Liebe zu seinem Herrn.
Bobbys Geschichte hat die Herzen der britischen Hundeliebhaber eineinhalb Jahrhunderte lang erwärmt und brachte Filme, Bücher sowie einen lebhaften (und lukrativen) Tourismus hervor. Es gibt jedoch zunehmend Anhaltspunkte dafür, dass diese sentimentale Geschichte über ein grenzenlos loyales Tier, einen Freund bis über den Tod hinaus, wirklich nur ein Mythos ist. Jan Bondeson, ein Historiker der Cardiff University, kam zu dem Schluss (wie die Londoner Zeitung Telegraph 2011 berichtete), der ursprüngliche Bobby sei wahrscheinlich nur „einer von um die 60 viktorianischen Friedhofshunden“ gewesen, „die an den Gräbern auf Futter warteten und so gut behandelt wurden, dass sie dort blieben, um ein unabhängiges und bequemes Leben zu führen.“ Über die Jahre hinweg haben ortsansässige Kaufleute tatsächlich eine Reihe verschiedener, Bobby ähnelnder Tiere angeheuert, um diese Rolle aufrechtzuerhalten – und um den Tourismus zu fördern. Tatsächlich findet man weltweit freilaufende Hunde ohne einen Besitzer, den sie „lieben“, oftmals in der Nähe frisch begrabener Leichen vor (siehe Tafel rechts). Unter Umständen werden sie von Friedhofsbesuchern oder Totengräbern gefüttert; nicht selten verzehren sie menschliche Überreste.
Wölfe in unserer Mitte
Ebenso auf dem Holzweg sind wir, wenn wir der Vorstellung anhängen, Hunde seien wirklich nur Wölfe, die irgendwie dahin gelangt sind, unter uns leben zu können. Vielleicht entstammt dieser Gedanke einer modernen menschlichen Sehnsucht nach einer engeren Verbindung mit der Natur, aber auch das ist nur ein weiterer Mythos. Es stimmt, dass es einem beim Anblick von Hunden (oder zumindest einigen davon) so vorkommt, als sei da eine offensichtliche äußere Ähnlichkeit mit Wölfen. Und fragt man jemanden, woher Hunde kommen, wird man beinahe mit Sicherheit zur Antwort bekommen: „Sie stammen natürlich von Wölfen ab.“ Lesen Sie irgendeinen beliebigen Bericht zu diesem Thema, und Sie werden sofort zu hören bekommen, dass auch die meisten Wissenschaftler glauben, der Hund stamme vom Wolf ab. Wölfe und Hunde sind stammesgeschichtlich sicher nahe Verwandte - neben Kojoten, Schakalen, Äthiopischen Wölfen und Dingos. Sie können sich untereinander fortpflanzen und dabei lebensfähigen und fruchtbaren Nachwuchs hervorbringen. Aber es gibt tatsächlich kaum Beweise dafür, dass Hunde direkte Nachfahren der legendären großen Grauwölfe in Nordkanada oder Russland wären – jedenfalls nicht aus Population der heute vorkommenden wilden Wölfe.
Aber vor allem verhalten sich moderne Hunde schlicht und einfach nicht wie moderne Wölfe. Bekannte Hunde“experten“ wie Cesar Millan mögen Ihnen erzählen, dass ein guter Hundebesitzer die Rolle des Alpha-wolfes, des dominanten Rudelführers einnehmen müsse. Aber tatsächlich leben Hunde gar nicht in hierarchisch aufgebauten Rudeln. Es ist sogar anzuzweifeln, dass die meisten Wölfe so leben. Hunde unterscheiden sich noch in zahllosen anderen Belangen von Wölfen und anderen wilden Canidenarten. Erwachsene Hunde lassen sich bereitwillig dazu abrichten, menschlichen Befehlen zu folgen und unzählige Aufgaben für uns zu erledigen – nicht jedoch Wölfe. Wölfe können großartige Talente im Problemlösen sein und sind genau wie Kojoten vollendete Ausbruchskünstler, sollten sie vom Menschen eingesperrt worden sein. Hunde dagegen lassen sich leicht in Käfige sperren. Betrachten wir auch einmal, wie die verschiedenen Spezies ihre Elternrolle erfüllen und sich um den Nachwuchs kümmern. Männliche und weibliche Wölfe gehen Paarbindungen ein, leben zusammen, paaren sich miteinander und verteidigen währenddessen ihr Futterrevier, oftmals auf Lebenszeit (typischerweise für weniger als drei Reproduktionsjahre). Hunde tun das nie. Die Männchen all dieser wilden Arten sorgen für Nahrung und beschützen ihre Gefährten, während die Weibchen die Welpen säugen. Nicht so Hunde. Mütter der wilden Arten würgen regelmäßig Futter für ihren Nachwuchs hervor; das tun auch die Väter (die ebenso Futter für ihre Jungen von der Jagd heimbringen): Hunde regurgitieren nicht häufig genug, um ihre Welpen ausschließlich mit dieser Art von Ernährung durchzubringen. Und Hundeväter haben nicht das Geringste mit der Aufzucht der Welpen zu tun.
Abb. 2: Statue von Greyfriar’s Bobby in Edinburgh. „Des Menschen bester Freund“ ist gut fürs Geschäft. Foto: Evie Johnstone
Es ist ganz einfach Tatsache, dass domestizierte Hunde und Wölfe unterschiedliche Tiere sind und dass der eine nicht (besonders gut) in der Nische des anderen leben kann. Wölfe sind vollkommene Prädatoren, aber man wird kaum einen Hund finden, der einen Elch zu Nahrungszwecken zur Strecke bringen und töten kann. Hunde werden Rotwild aufspüren oder hinter Wildschweinen herjagen, wenn sie Menschen auf der Jagd begleiten, aber es ist höchst zweifelhaft, dass sie von selbständiger Jagd jemals leben könnten. Wölfe dagegen werden für ihren Teil kaum zahm genug werden, um in der häuslichen Welt der Hunde am Herd und im Heim des Menschen zurechtzukommen. Sie mögen gelegentlich alleine in oder in der Nähe menschlicher Behausungen leben, sind jedoch üblicherweise eher nicht in der Lage, in der Gegenwart von Menschen zu fressen. Wohingegen freilebende Hunde, die auf Müllhalden oder auch nur außerhalb der Stadt aufgewachsen sind, durchaus in menschlicher Gesellschaft zu fressen fähig sind.
Ja, es existieren einige zahme Wölfe, Kojoten und Schakale. Allerdings ist es zumindest nach unserer Erfahrung eine Herkulesaufgabe, einen Wolf dahin zu bringen, dass er sich zu einem angenehmen Weggenossen des Menschen entwickelt. Bei einem Hund ist es schwierig, ihn nicht zu zähmen. Es bedarf lediglich ein paar Stunden an Arbeit pro Woche während der fünften, sechsten und siebten Lebenswoche der Hundewelpen (selbst wenn die Mutter sie noch säugt) – das reicht völlig aus, um sie am Menschen zu orientieren und zu sozialisieren. Sie werden uns für den Rest ihres Lebens unterwürfig um die Beine streichen.
Abb. 4: Hunde auf der Mülldeponie von Mexico City. Ein großer Unterschied zwischen Hunden und den meisten anderen Caniden ist die Tatsache, dass sie in der Lage sind, entspannt im Beisein von Menschen zu fressen.
Wölfe zu zähmen ist etwas ganz anderes. Man muss sie von Hand aufziehen – die Wolfswelpen müssen mit der Flasche ernährt werden – und mit der Sozialisierung am zehnten Lebenstag beginnen, noch ehe sie die Augen öffnen. Niemals nach der dritten Woche. Wenn man derart spät anfängt, mag ein Wolf wohl den engen Kontakt zum Menschen bis zu einem gewissen Grad tolerieren können, aber er wird keine soziale Bindung aufbauen. Er mag weniger scheu sein, aber er wird niemals einen Menschen begrüßen oder um seine Aufmerksamkeit werben, nicht einmal bei ihm vertrauten Personen. Wenn man am zehnten Lebenstag beginnt, muss man vierundzwanzig Stunden am Tag mit den Wölfen zubringen, jeden Tag, durchgehend bis zu ihrer vierten oder gar sechsten Lebenswoche – oder so lange, „bis man nicht mehr bei ihnen schlafen kann, weil sie einen beißen, sobald sie aufwachen,“ wie sich Kathryn Lord beklagt – eine unserer ehemaligen Studentinnen, die inzwischen eine Ethologin und erfahrene Wolfsbändigerin geworden ist. Noch viele Wochen danach muss man all seine Wachzeit mit ihnen verbringen, so um die achtzehn Stunden täglich. Das Zähmen eines Wolfes kann viele tausend Stunden dauern, wenn man es zu einem Ergebnis bringen möchte, das man mit einem Hund schon früher, leichter und ganz natürlich erreicht. Der Romantiker in uns mag von der Idee angetan sein, unser friedfertiges Haustier sei wirklich nur einen Schritt entfernt vom wilden Tier. Das ist ebenso mythologisches Denken wie der Wunsch, Hunde als des Menschen besten Freund anzusehen. Wir brauchen eine bessere, systematischere und weniger sentimentale Art des Verständnisses davon, wie Hunde – und Tiere im