Die Ethologie der Hunde. Raymond Coppinger

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Название Die Ethologie der Hunde
Автор произведения Raymond Coppinger
Жанр Сделай Сам
Серия
Издательство Сделай Сам
Год выпуска 0
isbn 9783954640911



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Aufziehspielzeug etwas vom Verhalten eines echten Organismus anhaften kann (siehe z.B. Abb. 1).

      Zwei Dinge lassen diese künstlichen Maschinen und Geräte wirken, als seien sie (fast) lebendig: Sie haben die grobe äußere Körperform von Tieren (oder Menschen) und sie bewegen sich wie diese. Im Prinzip sehen wir in diesen mechanischen Spielzeugen, in diesen Automaten, die grundlegenden Eigenschaften des tierischen Verhaltens, das wir als „die Gestalt eines Organismus, der sich in Zeit und Raum bewegt“ definieren. Dies mag Ihnen wie eine übermäßig vereinfachte Definition erscheinen. Wir meinen aber, dass dies der richtige Weg ist, um zu charakterisieren, was ein natürlicher Organismus tut, wenn wir sagen, dass er sich „verhält“. Behält man diese Definition im Hinterkopf, ist es absolut sinnvoll, zu behaupten, dass eine Maschine – und sei sie auch nur menschengemacht – Verhalten zeigt.

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       Abb. 1: Ein mechanisch aufziehbarer, „tickender“ Spielzeughund. Zeichnung von Carol Gomez Feinstein

      Wie sie sich verhält, hängt davon ab, wie sie aufgebaut ist und wie ihre Form sich verändert, während sie mit ihrer Umwelt interagiert. Wenn eine mechanische Kuckucksuhr über sich bewegende Zahnräder, die von einer Spiralfeder angetrieben werden, die Zeit anzeigt, verhält sie sich nach der gleichen Definition, die das Benehmen eines biologischen Organismus ausmacht. Die Form ihrer Zahnradmechanismen, das Verhältnis des Abstands der Zahnräder sowie ihrer Zähne zueinander verändert sich mit der Zeit, wenn die Zahnräder sich drehen und andere dabei mitnehmen. Bei einer bestimmten Konstellation der Zahnräder wird die Uhr vier Mal schlagen. Außerdem könnte eine kleine Figur mit Tirolerhut herausspringen, sich drehen und vier Mal verbeugen, weil eine Rolle und ein Hebel über das Gebilde der Zahnräder und durch deren Position und Bewegung im Raum bewegt wurden. Im Laufe der Zeit überträgt die Feder Energie auf die Zahnräder und das Innenleben der Uhr verändert sich - und damit auch ihr Zeitanzeigeverhalten.

      Die Ähnlichkeit zwischen menschengemachten „tickenden Maschinen“ und echten Tieren kann recht frappierend sein. Genau wie eine Kuckucksuhr, die exakt zur vollen Stunde schlägt, und zwar nur zur vollen Stunde, zeigen viele Vögel ein Balzverhalten, bei dem die Männchen stereotype (ritualisierte) Bewegungen ausführen, um ein Weibchen anzulocken – zum Beispiel eine bestimmte und festgelegte Anzahl von Ruckelbewegungen des Kopfes – und die sie nur zu einer bestimmten Zeit im Jahr ausführen. Wölfe haben nur ein einziges Mal im Jahr Paarungszeit, nämlich im Winter. Ihre Fortpflanzungsaktivität ist immer gleich getaktet, egal in welchem Jahr oder welchem Gebiet, und all ihre Welpen werden genau zur selben Zeit nach einer durchschnittlichen Tragezeit von dreiundsechzig Tagen im frühen Frühjahr geboren. Ebenso wie eine Schlagwerksuhr zwischen den Stunden nicht schlägt, so ruht auch das stereotype Paarungsverhalten des Wolfes in den dazwischenliegenden Jahreszeiten.

      Wir müssen nochmals betonen, dass echte Tiere – natürlich! – erstaunlich kompliziert und viel feiner konstruiert sind als jede Kuckucksuhr und als jeder noch so clever entworfene mechanische Spielzeughund. Echte biologische Organismen bestehen aus ganz anderen Materialien. Sie besitzen bemerkenswerte Teile, mit denen sie empfinden und auf Aspekte ihrer Umgebung reagieren können (obwohl man heutzutage auch schon künstliche Automaten mit dieser Fähigkeit herstellen kann). Ein Uhrwerkshund bezieht seine Energie aus einer von Menschenhand aufgezogenen Feder oder vielleicht aus einer Batterie; echte Hunde gewinnen ihre Energie aus Nahrung, die ihnen Menschen zur Verfügung stellen. Wilde Tiere müssen im Wettbewerb mit unzähligen anderen in der Welt draußen ihre eigenen Energiequellen finden. Auch verändern sich echte Tiere mit der Zeit: Ein Huhn schlüpft aus dem Ei. Ein neugeborener Welpe und ein erwachsener Hund haben sehr unterschiedliche Gestalten. Künstliche Geräte dagegen formen sich nicht selbst zu etwas neuem um. Und, was vielleicht am wichtigsten ist: Tiere können sich selbstständig fortpflanzen. Das ist etwas, was (noch) keine menschengemachte Maschine zu leisten vermag. Die Fortpflanzung ist ein hochwichtiger Teil in der Geschichte der Biologie. Sie ist auch ein grundlegendes Element der Evolution und spielt eine ausschlaggebende Rolle im tierischen Verhalten.

      Es versteht sich, so hoffen wir, von selbst, dass Tiere nicht von einem cleveren Erfinder entworfen wurden, der Teile einfach und logisch zusammenfügt. Vielmehr sind die Gestalten von Lebewesen und deren Fähigkeiten, sich zu bewegen, komplexe Ergebnisse natürlicher Selektionskräfte und anderer Evolutions- sowie Entwicklungsprozesse. Diese führen zu einer Riesenvielfalt an Antworten auf die Herausforderungen des Lebens – wie und warum diese Lösungen überhaupt funktionieren, ist oftmals verblüffend. Im Gegensatz dazu ist das Verständnis um die Funktionalität einer Uhr oder eines Automaten eine ziemlich einfache Aufgabe: Man kann sie geduldig auseinanderbauen, ihre Einzelteile genau bestimmen und herausfinden, wie sie zusammenwirken. Biomaschinen sind erheblich schwerer zu durchschauen. „Ein Tier zu zerlegen“, sei es anatomisch, physiologisch oder verhaltenstechnisch, ist ein gewaltiges Unterfangen. Leider ist es oft unklar, welches tatsächlich die einzelnen Bestandteile sind, wozu sie dienen und wie sie zusammenpassen. Biologische Systeme können sich, von Zellmechanismen bis hin zum Nervenaufbau, als sehr kompliziert erweisen und viele Generationen von unterschiedlichsten Wissenschaftlern haben es sich zur Lebensaufgabe gemacht, dieselben zu ergründen.

      Gene und das Verhalten von Biomaschinen

      Wenn wir heute etwas mit Sicherheit verstehen, dann die Tatsache, dass die Gene - die in der DNA verschlüsselten, vererbbaren chemischen Bauanleitungen - unverzichtbare Grundbestandteile der Maschinerie sind. Sie sind die Basis für ihre Fähigkeit zur Fortpflanzung. Die genetische Information eines Tieres hat bei der Festlegung des ursprünglichen Apparate-Basisplans eine Schlüsselfunktion (oft in enger Interaktion mit der Umgebung, in der die Gene operieren). Über die gesamte Lebenszeit hinweg, aber auch tagtäglich bauen und erneuern die Gene den Organismus, bestimmen den Charakter und die Grenzen seiner Körpergestalt sowie seine Fähigkeit, sich zu jeder beliebigen Zeit bewegen zu können.

      Von diesem Standpunkt aus betrachtet ist das Verhalten eines Tieres notwendigerweise und immer durch die seine Konstruktion beherrschenden Gene geprägt. Ein Hund benimmt sich wie ein Hund, weil er Hundegene besitzt – weil er gebaut ist wie ein Hund und nicht wie etwas anderes. Insofern ist jegliches Verhalten genetisch vorherbestimmt. Wie ein Tier von seiner Umwelt beeinflusst wird, bis zu welchem Grad sein Verhalten durch Training und Lernen veränderlich sein mag, sogar die Art, wie es Informationen darzustellen und sich zunutze zu machen vermag (sein „Verstand“, wenn man es so nennen möchte) – all jene Dinge sind grundlegend eingeschränkt durch artspezifische genetische Charakteristika, und dies ist das Kernthema der Ethologie.

      Wir müssen allerdings sehr vorsichtig und präzise vorgehen, wenn wir sagen, alles Verhalten sei genetisch bedingt. Die tatsächlichen Bewegungsmuster, die ein Tier zeigt, sind niemals exakt in der Sprache der DNA selbst „niedergeschrieben“; sie sind nicht im Zellcode eines einzelnen Gens hinterlegt. Was die Gene tun, ist nicht mehr (und auch nicht weniger), als Zellmechanismen anzustoßen, welche Proteine entstehen lassen, die den Körper „bauen“ und die Körperprozesse steuern, welche wiederum das Lebewesen befähigen, sich zu bewegen und auf bestimmte Weise zu handeln. So gesehen hat jedes Verhalten in der Tat eine genetische Grundlage – und muss es auch haben. Aber paradoxerweise ist es gleichzeitig auch korrekt zu sagen, dass es keine „Verhaltensgene“ gibt. Was wir damit sagen möchten, ist, dass es kein einzelnes Gen für die Partnerwahl gibt und keines, das einzig und alleine das komplizierte Bewegungsmuster des Beutefangverhaltens (Prädation) steuert. Es gibt nur vollständige Körper (und Gehirne), die aus der Gesamtheit der Ausdrucksform der Gene bestimmt sind und die wiederum bestimmtes Verhalten möglich machen.

      Wenn wir nun also beobachten, dass Greyhounds schneller laufen als Dackel, bedeutet dies dann, dass wir es mit einer genetischen Eigenschaft der Rasse zu tun haben? Die Antwort hierauf lautet in einem ganz wichtigen Sinne ja. Sie resultiert aus der Tatsache, dass ein Greyhound ein Genom besitzt, aus dem ein Tier mit der Größe, Knochenstruktur, Muskulatur und dem Nervensystem eines Greyhounds entsteht, was insgesamt zu einer Erscheinungsform führt, die schnelles Rennen ermöglicht. Dackel unterscheiden sich nun nicht vom Greyhound, weil sie unterschiedliche „Geschwindigkeitsgene“ haben, sondern weil Dackelgene einen unterschiedlichen