Название | Schrankenlose Freiheit für Hannah Höch |
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Автор произведения | Cara Schweitzer |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9788711449479 |
Wille zur Kunst geführt hätte.
Deine sanften Rehaugen schlossen
sich sehr früh für immer.«100
1917 ist das Jahr der vielen Umzüge von Hannah Höch in Berlin. Ihre einstige Vermieterin hat ihr gekündigt: »Sie verdient zu wenig an mir und dann paßt’s ihr nicht, daß ich jetzt öfter in der Küche herumhantiere. Das ist mir aber sehr egal, ich bin froh, daß sich alles so herrlich friedlich löst«, berichtet sie ihrer Schwester.101 Mehrfach wechselt sie ihren Wohnsitz in dem südwestlichen und dennoch zentral gelegenen Berliner Bezirk Friedenau. Zum Jahreswechsel findet sie eine Dachgeschosswohnung in der Büsingstraße 16. Die Mansarde ist mit ihren schräg liegenden Dachfenstern ein ideales Wohnatelier (Abb. 3). Höchs neue Zweizimmerwohnung liegt im fünften Stock. Ein Ofen beheizt den vorderen Raum. Unter der großen Fensterfront befinden sich geräumige Schränke, eingebaut in die Dachschräge. An der Wand, die das eine Zimmer vom anderen trennt und die direkt an die Glasfront stößt, montiert Hannah Höch Regalbretter, auf denen ihre Kakteensammlung Platz findet. In der Büsingstraße wird sie, lediglich unterbrochen durch ihren Aufenthalt in Den Haag Ende der zwanziger Jahre, bis 1932 wohnen. Ihr Freund Kurt Schwitters wird Höchs Wohnung für seine Merz-Abende nutzen und, wie viele andere mit ihr befreundete Künstler, den Stauraum in der Dachschräge mit Kunstwerken und anderen brauchbaren Dingen füllen. Das Atelier in der Büsingstraße, zu dem man 107 Treppenstufen emporsteigen muss,102 bietet auch einen ersten dauerhaften Standort für all die ihr wichtig erscheinenden privaten Briefe und Dokumente, von der Einladungskarte zum dadaistischen Groteskenabend bis zu Zeitschriftenartikeln, die Hannah Höch ihr Leben lang aufbewahren wird. Ihre Sammelleidenschaft erweist sich als Teil ihrer künstlerischen Arbeit. Wie ihre Liebe zur Natur – wenn auch vorerst ausgelebt in Gestalt der wenig kapriziösen Kakteen – zählt sie zu jenen besonderen Charaktereigenschaften, die die Künstlerin auszeichnen. Neben den Fotos und Papieren, die sie aufbewahrt, trägt Hannah Höch auch kleine merkwürdige Dinge zusammen, die sie später in einer eigens dafür bereitgestellten Glasvitrine, ihrem »Rarit Schrank«, aufbewahrt. Hier finden Glaseier, Zinnsoldaten, Schachfiguren neben Miniaturvogelkäfigen, kitschigen christlichen Devotionalien, »ungarischen Väschen«, »Porzellankörbchen« und Tanzenden aus Glas ihren Platz.103
Ihre eigene Wohnung, in der sie sich ohne Rücksicht auf die Anweisungen unzufriedener Zimmerwirtinnen bewegen kann, verleiht ihr einen neuen Freiraum für ihre Arbeit. Man möchte meinen, dass sich das zumindest kurzfristig auch positiv auf ihre Beziehung zu Raoul Hausmann auswirkt. Doch bereits kurz nach Neujahr 1918 eskalieren die Konflikte erneut. Hannah Höch ist ein zweites Mal schwanger. Karoline Hille beschreibt in ihrer Darstellung der Beziehung, dass diese zweite Schwangerschaft für beide zunächst gar nicht in ihrem Vorstellungshorizont gelegen habe.104 Hannah Höch rechnete zunächst lediglich damit, dass sich ihre Periode verzögerte. Im Zusammenhang mit dem erneut ausgebrochenen Konflikt versucht sich Hausmann an einer esoterisch aufgeladenen Deutung der weiblichen Entwicklung, die an Strindberg angelehnt ist. Seine Haltung hat mittlerweile offensichtliche misogyne Züge angenommen: »›Und während der Periode des Weibes, die sehr geheimnisvoll ist, scheint sie in Verbindung mit dem Unterirdischen zu treten. Eine höllische Bosheit ist verbunden mit einer Unmaskierung; sie bekommt ein neues Gesicht, neue Begierden und Neigungen, aber meist Verlangen nach dem Unsinnigen. Sie sondert während dieser Tage ein Gift ab, das ist Jod; und ihr ganzes Wesen ist dann giftig‹«, zitiert Hausmann den als Frauenfeind bekannten schwedischen Schriftsteller und Künstler. Er kann die Beschreibung der dämonischen Verwandlung von Frauen während ihrer Menstruation sogar noch steigern und ergänzt hinter dem Zitat: »(Bei Verzögerung der Periode können die Tage vorher schon so eine Auto-Toxikation vorstellen; siehe übrigens die Tatsache, dass manche Blumen welken, wenn eine Frau während der Periode sie berührt.)«105
Nach der erneuten Abtreibung versucht Hannah Höch, sich endgültig von Hausmann zu trennen. Und er schreibt wieder seitenlange Briefe, in denen er ihre Beziehungssituation sezierend analysiert. Äußert er hier noch eine Liebeserklärung, folgen im nächsten Satz Anklagen oder Schuldeingeständnisse. Hausmann ist hartnäckig und versucht ein weiteres Mal, Hannah Höch zurückzuerobern: »Meine Hannah – eine zweite Nacht nicht bei Dir sein, ertrage ich nicht. Laß mich doch zu Dir. Zarte, Süße – vergib mir doch. Ich liebe Dich – ich kann nicht leben vor Sehnsucht nach Dir. Ich werde heute Nacht von 11–½ 12 Uhr auf der Straße auf Dich warten, ganz ruhig. Laß mich doch meine große Schuld gut machen –«, schreibt er zwei Monate später.106
Der »Club Dada« in Berlin
Während Hannah Höch und Raoul Hausmann um ihre Beziehung ringen, entsteht Ende Januar 1918 in Berlin der Club Dada, gewissermaßen auf wahrhaft dadaistische Weise. Richard Huelsenbeck hatte die Initiative ergriffen, gegen den Willen einiger Beteiligter.107 Am 22. Januar findet ein Autorenabend im Graphischen Kabinett J. B. Neumann statt. Neben Huelsenbeck traten auf diesem Autorenabend unter anderem die Dichterin und Vortragskünstlerin Resi Langer auf und der expressionistische Schriftsteller Theodor Däubler sowie der ebenfalls vom Expressionismus beeinflusste Schriftsteller und Dichter Max Hermann(-Neisse).108 Huelsenbeck riss den Abend an sich und erklärte die Autorenlesung im Rahmen seiner »Ersten Dada-Rede« in Deutschland zur dadaistischen Veranstaltung: »Ich widme deshalb diesen Vortrag der respektierten Dichter dem Nichts. Bitte bleiben Sie ruhig, man wird Ihnen keine körperlichen Schmerzen bereiten. Das einzige, was Ihnen passieren könnte, ist dies: dass Sie Ihr Geld umsonst ausgegeben haben. In diesem Sinne, meine Damen und Herren. Es lebe die dadaistische Revolution«, rief Huelsenbeck dem Publikum entgegen.109 Wenige Tage später berichtete die Presse, dass in Berlin ein Dadaistenclub nach Züricher Vorbild gegründet worden sei. Als Mitglieder wurden unter anderem Franz Jung, George Grosz und Helmut Herzfelde genannt, neben den Mitbegründern des Cabaret Voltaire Hans Arp, Marcel Janco und Hugo Ball. Raoul Hausmann ist noch nicht erwähnt. Mit von der Partie waren nach Angaben in der »Vossischen Zeitung« allerdings auch Däubler und Hermann-Neisse.110 Letztere waren zumindest nach Huelsenbecks späteren Angaben durchaus nicht damit einverstanden, in Zusammenhang mit Dada genannt zu werden. Anhand der Auseinandersetzungen hinter den Kulissen lässt sich ein wesentlicher Aspekt nachvollziehen, der bei der Entstehung von Dada und der Abgrenzung der sich zu Dada zählenden Künstler gegen andere eine zentrale Rolle spielte. Auch wenn der Expressionismus wichtige künstlerische Impulse geliefert hatte, versuchten sich die Anhänger von Dada nun von den vorherrschenden expressionistischen Tendenzen in der zeitgenössischen Kunst in Deutschland abzusetzen. Die Kämpfe um die Stellung des Expressionismus im Rahmen des künstlerischen und gesellschaftlichen Erneuerungsstrebens spiegeln sich auch in den Streitigkeiten zwischen Hannah Höch und Raoul Hausmann.
Im Sommer 1918, nachdem Dada bereits seinen offiziellen großen Auftritt hatte, wird Hausmann ihre Zurückhaltung gegenüber seiner neuen Haltung zur Kunst enttäuscht und beleidigt zurückweisen:
»Daß Du den Holzschnitt gut fandest, aber mit den Buchstaben darin nichts anzufangen wusstest, das kränkte mich – ich hatte den Eindruck, als wolltest Du etwas zu sehr Deine eigene künstlerische Überzeugung wahren. Auch, dass du den Holzschnitt auf rosa neben dem gelben Umschlag nicht schön fandest, störte mich; bei dada gibts keine ästhetischen Einwände. [...] Noch eins: meine neuen Kunstbestrebungen betrachtest Du nicht als Loslösung vom Expressionismus. So wird z.B. der expressionistische Künstler ein Gedicht, wie der Wald in Holz schneiden wollen. Der Dadaist kann das gar nicht wollen: er wird nicht etwas, was heute rein maschinellen Charakter hat, wie Typographie oder ihre dynamische Form, wie die dadaistische Art der Typographie, in ein anderes Material übersetzen. Gerade das maschinelle daran soll differenciert werden. [...] Und der ›kleine‹ Unterschied, der eben in der Kunst ein ›großer‹ ist – der ist Dir nebensächlich, und Du übersiehst ihn zunächst. – Aber dann wären wir heute noch bei der Gotik!«111
Doch nicht nur Hannah Höch war vorsichtig. Es hatte keine offizielle Gründung des Dada-Clubs gegeben: »Unsere Entschließungen waren Unterredungen und Abmachungen unter Kameraden, die sich während des ganzen Monats März hinzogen«, kommentierte Hausmann rückblickend die Gründungsphase von Dada Berlin.112 In der Folge des skandalumwitterten ersten