MUSIK-KONZEPTE Sonderband - György Kurtág. Группа авторов

Читать онлайн.
Название MUSIK-KONZEPTE Sonderband - György Kurtág
Автор произведения Группа авторов
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783869168807



Скачать книгу

das er auf Marianne Steins Rat geschrieben hat, bereits in der ersten Avantgarde-Periode als »Reservoir« benutzte.43 Beispielsweise wurden die letzten drei Sätze der Acht Klavierstücke, die er als Teil einer Variationsserie konzipierte, auch vom Skizzenmaterial des Pariser Klavierstücks auf den nachfolgenden Zyklus übertragen.44 Die drei Sätze sind innerhalb der Acht Klavierstücke deutlich von den anderen Sätzen getrennt, und insbesondere die enge Verbindung zwischen dem 6. und dem 7. Satz ist klar. Der 7. Satz variiert nicht nur den 6., sondern die beiden Sätze sind attacca miteinander verbunden. Außerdem gibt Kurtág in dem 7. Satz nicht die Taktart an, sondern nimmt die achttaktige Komposition als Fortsetzung vom 6. Satz im 3/4-Takt. Das Variationsprinzip wird auch durch die thematische Beziehung verstärkt: Die kleinen scharfen Rhythmen des 6. Satzes kehren in den Vorschlägen des 7. wieder.45 Die im letzten Takt des 6. Satzes erscheinenden Zweiunddreißigstelnoten dienen als Auftakt für den 7. Satz. Die Sätze 7 und 8 werden durch einen »Ellbogenakkord« verbunden: Der »Ellbogenakkord«, der den 7. Satz schließt, wirkt wie Arnold Schönbergs »Variationsmotiv«,46 da sich die spätere Variation aus einem Motivelement der früheren Variation entfaltet. Gleichzeitig ist der Abschluss des 8. Satzes äußerst überraschend: Die heroisch-banale Schließung verweist auf Liszt und scheint nicht nur den letzten drei Sätzen, sondern auch dem gesamten Zyklus stilistisch fremd zu sein.

      III Grundtypen der Sätze

      Der 6. und 7. Satz passen auch nicht in die charakteristischen Satztypen der ersten Periode. Die fast 40 Sätze können in fünf Grundtypen eingeteilt werden (Tab. 2).

      Tabelle 2: Satztypen in Kurtágs Werken

SchnellSchnellSchnellLangsamLangsam
AgitatoVivoRisoluto»Klänge der Nacht«Periodisch
Op. 1/1Op. 1/3Op. 1/2Op. 1/4Op. 2/1
Op. 2/2Op. 2/3Op. 1/5Op. 2/4Op. 2/6
Op. 2/8Op. 3/5Op. 3/1Op. 2/5Op. 2/7
Op. 3/8Op. 4/6Op. 4/3Op. 3/2Op. 3/3
Op. 4/2Op. 4/8Op. 5/2Op. 4/4Op. 3/4
Op. 5/1Op. 5/4Op. 5/6Op. 5/3Op. 4/2
Op. 6/1Op. 6/3Op. 6/4Op. 4/5
Op. 4/7
Op. 5/5
Op. 6/2
image

      Notenbeispiel 2: György Kurtág, Jelek op. 5, 6. Satz, © Universal Music Publishing Editio Musica Budapest, mit freundlicher Genehmigung

      Übrigens beruht die überwiegende Mehrheit der Formen von Kurtág auf dieser Unvorhersehbarkeit. Anders formuliert, Kurtág baut auf die Erwartungen des Rezipienten und die Nichterfüllung dieser Erwartungen. Beispielsweise verwendet der 5. Satz des Streichquartetts Ostinati. Trotzdem erklingt nicht immer dieselbe Formel, da sich der musikalische Prozess ständig verändert; während immer das Gleiche passiert, ändert sich immer etwas. Darüber hinaus ist ein Prozess des Zerfalls deutlich spürbar: Die Entschlossenheit des Anfangs wird durch die Zersplitterung des Endes ersetzt. Der Schluss des Satzes – die durchkomponierte Zersplitterung – spielt eine herausragende Rolle in der Komposition: Die Formel wird mehrfach wiederholt, und die Wiederholungen werden mit langen Pausen getrennt. Der Prozess lässt den Rezipienten in Unsicherheit, wann die Bewegung endlich aufhört oder wie lange das Motiv noch wiederholt wird. Auf diese Weise schuf Kurtág eine der Grundtypen seiner Kompositionsabschlüsse: die unendliche Beendung, die ein wiederkehrendes Element seiner späteren Kompositionen sein wird: Beispielsweise ist der Schluss vom Rondo-Satz der Szenen aus einem Roman (op. 19, 7. Satz) sogar thematisch mit dem Ende des 5. Satzes verwandt. Diese Parallele zeigt, dass Kurtág in der ersten Avantgarde-Periode mit solchen kompositorischen Lösungen experimentierte, die später in seinem Œuvre grundlegende Bedeutung erlangten sollten. Was jedoch noch wichtiger zu sein scheint, ist die psychische Anwendung der unendlichen Beendung, nämlich, dass der Rezipient es nicht wagt, beim Zuhören sich zu bewegen. Das heißt, wenn Kurtág seine Komposition schreibt, rechnet er mit den Reaktionen des Rezipienten.