Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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die belagerte Garnison in regelmäßigen Abständen zur Aufgabe aufzufordern. Manchmal sagten die Eingeschlossenen auch zu, dass sie sich ergeben würden, wenn nicht innerhalb einer festgelegten Zeitspanne ein Entsatzheer einträfe. Je früher die Soldaten einer Garnison die Waffen streckten, desto besser standen ihre Chancen, mit kriegerischen Ehren ausmarschieren zu dürfen: in Begleitung ihrer Familien, mit ihrem Hab und Gut und ihren Fahnen, vielleicht auch ein oder zwei Kanonen, um sich auf dem schnellsten Weg in die nächstgelegene verbündete Stadt zu begeben. Wer sich erst spät ergab, kam oft in Kriegsgefangenschaft – allerdings bedeutete das nur für Offiziere tatsächlich die Internierung, denn keine Macht Europas konnte es sich leisten, gemeine Soldaten in Gefangenschaft durchzufüttern. In der Regel wurde das breite Fußvolk schlicht zum Dienst im Heer der Sieger gezwungen – was die Gefangenen auch akzeptierten, wenn ihnen ihr Leben lieb war. Ihre letzte Gelegenheit zur Kapitulation war gekommen, sobald der Feind eine Bresche in die innere Stadtmauer geschlagen hatte. Wenn sie nun weiterkämpften, stand ihnen und ihrer Stadt ein Sturmangriff bevor, dem Plünderung und Massaker folgten, sofern den Angreifern der Durchbruch gelang.99

      Die Entschlossenheit der Spanier, den Widerstand der aufständischen Niederländer zu brechen, führte – sobald Parma die fünf loyal gebliebenen Provinzen überredet hatte, ab 1582 wieder spanische Truppen ins Land zu lassen – zur Aushebung des größten Heeres im Europa jener Zeit. Schon im Oktober jenes Jahres zählte die Flandernarmee Philipps II. insgesamt über 61 000 Mann, während in Italien 15 000 und in Spanien selbst und den sonstigen Besitzungen der spanischen Krone mehr als 20 000 weitere Soldaten dienten.100 In Flandern standen jedoch nur rund 2000 Kavalleristen, während andernorts mehr als ein Viertel der spanischen Truppe beritten war. Man hat diese Schwächung des traditionellen „Donnerarms“ der frühneuzeitlichen Feldtaktik als einen Rückschritt bewertet, der nun die Spanier dazu zwang, einen Zermürbungskrieg zu führen, anstatt in offener Feldschlacht die Entscheidung zu suchen. Und doch war die Strategie des Herzogs von Parma gut geeignet, unter den gegebenen Umständen zum Sieg zu führen – die zahlenmäßig unterlegenen Niederländer vermieden nach 1579 nämlich gerade die offene Schlacht. Außerdem blieb die spanische Taktik selbst mit reduzierter Reiterei noch hinreichend flexibel, zumal der Belagerungskrieg und der Dienst auf Vorposten wertvolle Erfahrungen für das Operieren in Kleinverbänden brachten.

      Nur ein kleiner Bruchteil der riesigen spanischen Flandernarmee bestand tatsächlich aus Spaniern. Die Kastilier galten als Elitetruppe, es folgten die Italiener, dann die Soldaten aus der Franche-Comté und aus Luxemburg sowie katholische Iren. Die Wallonen im spanischen Heer galten als unzuverlässig, wenn sie in ihrer südniederländischen Heimat eingesetzt wurden, aber als gute Kämpfer in Deutschland und anderswo; sie stellten den Großteil der Kavallerie in der Flandernarmee. In den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts hatten die Spanier gern deutsche Landsknechte angeworben, nun aber standen diese weniger hoch im Kurs; wo Deutsche in der Flandernarmee Dienst taten, begegneten ihnen ihre Kommandeure oft mit Geringschätzung. Viele, die im später Dreißigjährigen Krieg eine bedeutende Rolle spielten, hatten jedoch zuvor in der Flandernarmee gedient. Der Bedeutendste unter ihnen war zweifellos Johann t’Serclaes, Graf von Tilly, dessen frühe Jahre die schwierige Beziehung zwischen Spanien und den Niederlanden beispielhaft veranschaulichen. Tillys Vater hatte beim Ausbruch des Aufstandes eine gewisse Rolle gespielt und musste das Land verlassen, um Albas Tribunalen zu entgehen. Der junge Tilly wurde in die Obhut der Jesuiten gegeben – möglicherweise als Geisel für das künftige Wohlverhalten seines Vaters. Johann trat 1576 in spanische Dienste, zwei Jahre nachdem die Besitzungen seines Vaters zurückgegeben worden waren, und diente in Flandern sowie bei den Kampagnen um Köln und Straßburg herum, bevor er 1594 in kaiserliche Dienste trat.101 Andere bedeutende Feldherren des Dreißigjährigen Krieges, die aus den südlichen Niederlanden stammten, waren Graf Johann Jakob von Brockhorst zu Anholt (genannt „Graf Anholt“), der Tillys Untergebener wurde, und Karl (Charles) Bonaventura von Longueval, Graf von Bucquoy, der sich in der Schlacht von Nieuwpoort und der Belagerung von Ostende einen Namen gemacht hatte, bevor er 1618–21 den Posten des kaiserlichen Oberbefehlshabers einnahm. Sein Nachfolger, der Italiener Girolamo Carafa, hatte ab 1587 in der Flandernarmee gedient, bevor er 1607 zur spanischen Truppe in seinem Heimatland versetzt wurde. Der spanische Einfluss beschränkte sich jedoch nicht auf das katholische Deutschland und Europa: Auch protestantische Fürsten traten in die Flandernarmee ein. Georg von Braunschweig etwa, der künftige Herzog von Calenberg, entschloss sich 1604, für den letzten Schliff seiner militärischen Ausbildung die Seiten zu wechseln und, nachdem er zunächst für die Sache der Aufständischen gekämpft hatte, den Rest des Krieges im spanischen Lager zu verbringen.

      Obschon das Offizierskorps weiterhin vom Adel dominiert wurde, wurde es doch zugleich immer professioneller, und Männer von Talent konnten durchaus vom einfachen Soldaten zum Feldherrn aufsteigen. Johann Aldringen, der Sohn eines luxemburgischen Stadtschreibers, trat 1606 in die Flandernarmee ein und wurde, inzwischen geadelt, nach Tillys Tod 1632 kaiserlich-bayerischer Oberbefehlshaber. Johann Beck, geboren als Sohn eines einfachen Botengängers, begann seine Laufbahn im Alter von 13 Jahren als gemeiner Soldat in der Flandernarmee, trat 1634 im Generalsrang in kaiserliche Dienste über und kehrte sechs Jahre darauf wieder in die Flandernarmee zurück. Jan Werth, ein Bauernsohn aus Kurköln, trat ebenfalls um 1610 als einfacher Soldat in spanische Dienste und nahm seinen Abschied als Kommandeur der kaiserlichen Reiterei. Das militärische Renommee des Herzogs von Parma sowie das Prestige seiner Methoden zogen begabte junge Soldaten von überallher an, die in seiner Armee ihre kriegerische Ausbildung vollenden wollten. So etwa Graf Heinrich von Schlick (oder Schlik), der 1604 als Offizier zur Flandernarmee kam, nachdem er zuvor gegen die Türken im Feld gestanden hatte. Solche Männer trugen später dazu bei, das militärische Know-how der Spanier im ganzen römisch-deutschen Reich zu verbreiten, wo es vor dem Hintergrund deutscher Traditionen sowie der Erfahrungen aus dem Langen Türkenkrieg weiterentwickelt wurde.

      Die Republik der Vereinigten Niederlande Der Erfolg seiner Strategie in den Jahren nach 1579 gab Parma recht: Maastricht, Tournai, Oudenaarde, Brügge, Gent sowie endlich, nach langer Belagerung, im August 1585 auch Antwerpen fielen wieder in spanische Hand. Diese Rückeroberungen sicherten den Spaniern die südlichen Provinzen und animierten die immer noch calvinistische Landbevölkerung im Norden, sich nun ihrerseits gegen die (ebenfalls calvinistische) Führungsriege der Aufständischen zu empören, was dazu führte, dass drei weitere Provinzen kurzzeitig wieder an die Spanier gingen. Diese Entwicklungen, die zeitlich obendrein mit der Ermordung des Statthalters Wilhelm von Oranien (des „Schweigers“) zusammenfielen, bewogen die Niederländer dazu, die Herrschaft über die nördlichen Provinzen der englischen Königin Elisabeth I. anzutragen. Diese schreckte zwar davor zurück, von Rebellen irgendetwas anzunehmen, war aber durch den spanischen Vormarsch hinreichend beunruhigt, sodass England zur ersten Großmacht wurde, die sich mit den niederländischen Freiheitskämpfern verbündete. Im Jahr 1585 wurde ein kleines Expeditionsheer unter dem Kommando des Earl of Leicester entsandt, den auch die Niederländer als ihren politischen und militärischen Anführer annahmen. Es war keine sonderlich glückliche Konstellation. Die englischen Truppen, auch sie lange ohne Sold, konnten (oder wollten) die Niederländer nicht verteidigen, während Leicester selbst mit militanten Calvinisten konspirierte, um noch größere Macht an sich zu reißen. Das Scheitern seines versuchten Staatsstreichs 1587 ließ die Niederländer – unter dem Einfluss des moderaten Juristen und Wortführers der Staaten von Holland, Johan van Oldenbarnevelt – noch entschiedener in Richtung einer rein republikanischen Regierungsform rücken. Angesichts des konfessionellen Radikalismus bevorzugte Oldenbarnevelt eine breite Koalition zum Kampf gegen die Spanier und sicherte sich die Unterstützung des Hauses Oranien, indem er die Provinzen Holland und Zeeland dazu überredete, den 17-jährigen Sohn des ermordeten Wilhelm von Oranien, Moritz, zu ihrem neuen Statthalter zu wählen. Dieser geniale Zug begründete eine feste Allianz zwischen Holland, das in der Regel eher moderat gesinnt war, und dem Haus Oranien, auf das sich zuvor meist die Hoffnungen militanter Kräfte gerichtet hatten. Langsam bildete sich ein Republikanismus genuin niederländischer Prägung heraus, wozu die Schriften des politischen Philosophen Hugo Grotius maßgeblich beitrugen. Die republikanischen Ideale beruhten vor allem auf dem Mythos der „batavischen Freiheit“ (Batavia war der Name, den die Römer den Niederlanden gegeben hatten) und verband die ins Utopische gewendete Vision eines biblischen Judäa mit dem Bild des klassischen Athen zu der Überzeugung, dass Freiheit,