Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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80 Jahren der erste Erzbischof von Mailand, der wieder in der Stadt residierte, regelmäßig die ihm anvertrauten Kirchen besuchte und die Angehörigen der diversen Orden in seinem Bistum nicht nur dazu aufforderte, sich im Sinne eines aktiven christlichen Lebens stärker in ihren Gemeinden einzubringen, sondern sie darin auch finanziell unterstützte. Der Kardinal erfand außerdem den modernen Beichtstuhl, was die Attraktivität des Beichtsakramentes deutlich erhöhte: Vorher ein Akt der Bloßstellung in aller Öffentlichkeit, wurde die Beichte nun immer mehr zu einer individuellen Seelsorgemaßnahme. Borromäus stand nicht nur an der Spitze des antihäretischen Gegenschlages in der Schweiz, sondern bald auch im Zentrum eines eigenen Kultes, der 1610 zu seiner Heiligsprechung führte. Überhaupt wurde eine intensivierte Heiligenverehrung zum Kennzeichen des nachtridentinischen Katholizismus, dem fromme Persönlichkeiten nicht mehr nur als Vorbilder, sondern als direkte Fürsprecher der Menschen bei Gott galten.

      Die Verehrung von Lokalheiligen sorgte für eine weitere Verfestigung der konfessionellen Identität und unterstützte die katholische Antwort auf die reformatorische Schriftfixierung. Obgleich die Liturgie weiterhin in lateinischer Sprache gefeiert wurde, kamen in anderen Aspekten des Kultus die Volkssprachen zu ihrem Recht, so beim Singen unter musikalischer Begleitung und bei anderen Aktivitäten, die das Gemeinschaftsgefühl der Gemeinde stärken sollten. Das Wallfahrtswesen erfuhr eine Wiederbelebung, vor allem die Heilig-Blut-Wallfahrten nach Walldürn und Weingarten, deren Schreine die Reformation überstanden hatten. Indem sie das Patronat über diese Wallfahrten übernahmen, konnten die jeweiligen Landesherren – der Herzog von Bayern beziehungsweise der Mainzer Kurfürst – ihren Katholizismus unter Beweis stellen. Schon in den 1590er-Jahren überschritt die Anzahl der Teilnehmer an den beiden Wallfahrten die Marke von 100 000 Pilgern im Jahr und verdoppelte oder verdreifachte sich bis in die 1620er-Jahre noch einmal; während des Krieges blieben beide Orte – mit Ausnahme der dreijährigen schwedischen Besetzung – gut im Geschäft. Auch die Verehrung der Heiligen Familie trat stärker hervor als bisher. Der heilige Charakter von Jesu „Ziehvater“ Josef wurde betont, was mit seiner Darstellung als treuer Verteidiger und Beschützer aller christlichen Familien einherging. Die Marienverehrung erreichte ebenfalls neue Höhen, vor allem durch die Etablierung beziehungsweise wachsende Anziehungskraft von Pilgerstätten wie Altötting und Passau. Marienbruderschaften vergrößerten ihre Mitgliederbasis, indem sie neben Klerikern auch Laien aufnahmen, was die Verwurzelung des Katholizismus in den Gemeinden weiter vorantrieb. In Köln gehörten 1650 etwa 2000 von rund 45 000 Einwohnern der örtlichen Marienbruderschaft an.

      Die tridentinischen Reformen rührten an das Innerste der römischen Kirche: Mit einer Reform der päpstlichen Kurie sowie der Ausweitung ihres diplomatischen Netzwerks reagierte der Papst nicht nur auf den Protestantismus, sondern auch auf Verschiebungen im europäischen Gleichgewicht der Kräfte.19 Der Sieg der Spanier über Frankreich brachte bis 1559 italienische Territorien zu beiden Seiten des Kirchenstaates unter spanische Kontrolle, was die Umklammerung der päpstlichen Territorien durch die Habsburger noch ein wenig enger werden ließ. Der Papst hatte indes nicht vergessen, dass es kaiserliche Truppen gewesen waren – und nicht etwa protestantische Horden –, die beim berüchtigten Sacco di Roma 1527 die Ewige Stadt verwüstet hatten. Auch erkannte er, dass die römische Kirche auf die habsburgische Herrschaft über Spanien und Österreich dringend angewiesen war – von den neuen habsburgischen Territorien in Übersee (Nord- wie Südamerika, West- und Ostindien) gar nicht zu reden. Sich selbst sah der Papst als padre commune, der seinen Einfluss nutzte, um innerhalb der Christenheit für Aussöhnung zu sorgen. Aber die politische Situation zwang ihn dazu, sich bei der Umsetzung seiner Pläne auf katholische Herrscher zu verlassen; und viele von diesen hatte der Papst im Verdacht, den eigenen dynastischen Vorteil im Zweifelsfall über ihre katholische Konfession zu stellen. Der Papst setzte auf Frankreich und die unabhängig gebliebenen Fürsten Italiens als Gegengewichte zur Vorherrschaft der Habsburger; schließlich sah er sich genötigt, die Initiative beim Vorantreiben katholischer Lokalinteressen an andere Herrscher abzugeben.

      Die protestantische Propaganda stellte den Dreißigjährigen Krieg als einen päpstlichen Kreuzzug dar, die Jesuiten aber als die Sturmtruppe des Papstes. Der Jesuitenorden (offiziell als Societas Jesu bezeichnet) war 1540 auf Initiative des Ignatius von Loyola durch päpstliches Dekret gegründet worden.20 Die Jesuiten hatten den klaren Auftrag, den Protestantismus – den ihr Ordensgründer als „das Gift [einer] schlimmen Lehre“ bezeichnete – auszumerzen. Zuerst sollten sie die Ursache der „Infektion“ beseitigen, indem sie Protestanten – und unkooperative Katholiken – von einflussreichen Posten verdrängten, danach die „seelische Gesundheit“ wiederherstellen, indem sie die Vitalität der katholischen Lehre und Frömmigkeit förderten. Derartige Taktiken waren unverhohlen politisch; das unterschied die Jesuiten von anderen Orden wie etwa den Kapuzinern, die mit ihrer Arbeit die franziskanische Tradition der Armenpflege fortführten. Kardinal Borromäus entsandte die Kapuziner in die Bergdörfer der Alpen, wo sie von den 1580er-Jahren an die Rekatholisierung der Schweizer Bevölkerung sowie der habsburgischen Untertanen in Tirol betrieben. Die Jesuiten hingegen setzten bei ihren Bemühungen ganz an der Spitze der politischen Hierarchie an; sie glaubten nämlich, dass, wenn sie den Landesherrn und dessen Eliten erst einmal auf ihre Seite gezogen hätten, der Rest der Gesellschaft bald folgen würde. Auf Loyolas Anweisung wurde 1552 ein Jesuit Beichtvater des portugiesischen Königs, womit seitens der Gesellschaft Jesu eine regelrechte Jagd auf derartige Posten einsetzte. Die Protestanten sahen darin eine päpstliche Verschwörung und wiesen den jesuitischen Beichtvätern rasch die Rolle von hinterlistigbösen Beratern zu, die einen unangemessenen Einfluss auf ihre „Beichtkinder“ ausübten.

      Selbst unter Katholiken stießen die Jesuiten nicht nur auf Wohlwollen. Die etablierten Orden verübelten es ihnen, dass sie sich überall „vordrängelten“, durch ihre politischen Beziehungen Kirchen, Schulen und andere Güter einfach an sich zogen. Viele beunruhigte auch der offenkundige Radikalismus der Jesuiten. Als 1594 ein geistig verwirrter ehemaliger Jesuit versuchte, den französischen König Heinrich IV. zu ermorden, und fünf Jahre später ein anderes Ordensmitglied in einem Buch den Tyrannenmord verteidigte, fiel es nicht mehr schwer zu glauben, dass die Jesuiten auch hinter anderen Intrigen wie der englischen Pulververschwörung (Gunpowder Plot) von 1605 stecken mochten. Allerdings mussten die Jesuiten ihren gegenreformatorischen Auftrag mit ihrem hierarchischen Weltbild in Einklang bringen und entwickelten eine ganz eigene Einstellung zu ihrer Rolle als Beichtväter der Mächtigen. Sie glaubten nämlich, der Teufel wolle die Fürsten dazu verführen, Häretikern gegenüber Zugeständnisse zu machen. War so etwas tatsächlich einmal vorgekommen, dann versicherten sie dem betreffenden Herrscher, dass Gott ihm gewiss vergeben werde – immer vorausgesetzt, dass diese Zugeständnisse politisch notwendig gewesen waren. Und dass sie selbstverständlich bei der nächsten Gelegenheit zurückgenommen wurden. Solche Argumente ermöglichten einen Pragmatismus, dessen Kompromissbereitschaft seine Militanz verschleiern konnte.

      Das passte auch zu den vielfältigen Persönlichkeiten dieser Beichtväter, die immerhin eine sehr persönliche Beziehung zu ihrem jeweiligen Fürsten aufbauten. Der geschmeidige Pragmatiker Martin Becanus etwa diente ab 1620 als Vertrauter Kaiser Ferdinands II., wurde jedoch von dem Hardliner Wilhelm Lamormaini abgelöst, der bis zum Tod des Kaisers 1637 dessen Beichtvater blieb. Ferdinands gleichnamiger Sohn und Nachfolger entschied sich für den Jesuiten Johannes Gans, der dafür bekannt war, gern gut zu essen und einen weltlicheren Lebensstil zu pflegen. Eine solch lückenlose Kette von jesuitischen Beichtvätern gab es nirgendwo sonst in Europa, denn nirgendwo sonst hatte der Jesuitenorden so großen Einfluss wie in den durchlässigen politischen Strukturen des Heiligen Römischen Reiches.

      Die Jesuiten breiteten sich rasch im Reich aus. Ihre Zahl stieg von 50 (von insgesamt 1000 Ordensmitgliedern) bei Loyolas Tod im Jahr 1556 auf 1600 (von 13 100 Jesuiten weltweit) im Jahr 1615 an. Die Hauptaufgabe des Ordens bestand jedoch überhaupt nicht darin, den Mächtigen Europas die Beichte abzunehmen, sondern in der Lehrtätigkeit an Schulen und Hochschulen. Darin – in der Rolle als Lehrer und Pädagogen der weltlichen und geistlichen Elite – lag der hauptsächliche Einfluss des Ordens auf die Gesellschaft. Bei Ausbruch des Dreißigjährigen Krieges gab es im Rheinland 22 Jesuitenkollegien, für die Zeit bis 1630 sind weitere 20 in Süddeutschland und 23 in Österreich und Böhmen nachgewiesen. Die Schülerzahlen stiegen rapide an, in Trier etwa von 135 bei Gründung des Instituts im Jahr 1561 auf