Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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Jesuiten einzelne Landesherren, bestimmten Einrichtungen den Status einer Universität zu verleihen, weil sie dadurch reichere und sozial bessergestellte Studenten anlocken konnten. Die Erfolge des Ordens sorgten für Aufsehen, und so wurden die Jesuiten bald eingeladen, wirtschaftlich angeschlagene Hochschulen zu übernehmen. Mitte des 16. Jahrhunderts wurden ihnen beispielsweise die Hohen Schulen von Ingolstadt und Dillingen anvertraut, beides humanistische Gründungen. Auch in Wien gelang es ihnen, durch geschicktes Agieren die dortige Universität unter ihre Kontrolle zu bringen. Diese bemerkenswerte Expansion verdankten die Jesuiten ihren Lehrmethoden, die nach heutigen Maßstäben nur logisch erscheinen, damals jedoch revolutionär waren. Alle Jesuiten besaßen selbst einen Hochschulabschluss und führten an allen ihren Kollegien einen gemeinsamen Lehrplan ein, der das bestehende Modell der humanistischen Gelehrtenschule mit einem vertieften, systematischen Unterricht in Theologie und Philosophie verband. Die jesuitischen Bildungseinrichtungen standen einem jeden offen, der die Aufnahmeprüfungen bestand; Schulgeld oder Studiengebühren waren nicht zu entrichten. Die Eleven wurden je nach ihren Fähigkeiten in Klassen eingeteilt, was dem Lernfortschritt zuträglich war, während die Tätigkeit von mehr als einem einzigen Lehrer pro Schule es zugleich ermöglichte, spezialisierten Fachunterricht und regelmäßige Stundenpläne anzubieten. Dieses Bildungsprogramm fand Zuspruch bei breiten Gesellschaftsschichten im ganzen deutschsprachigen Raum. Wer jedoch in der Kirche Karriere machen sollte, der wurde oft nach Rom geschickt, um seine Ausbildung an dem dortigen Collegium Germanicum fortzusetzen, das 1552 von den Jesuiten gegründet worden war und vom Heiligen Stuhl finanziert wurde. Obwohl die Zahl seiner Studenten während des Dreißigjährigen Krieges deutlich zurückging, hinterließ das Collegium in der Reichskirche deutliche Spuren: Über die erste Hälfte des 17. Jahrhunderts hinweg hatte rund ein Siebtel aller Domherren des Heiligen Römischen Reiches dort studiert. Wie schon den Fall der jesuitischen Beichtväter, so muss man auch das Bildungsengagement der Jesuiten in seinem Kontext sehen: Es gab daneben durchaus andere katholische Universitäten. Zudem wurden in den 100 Jahren nach der Gründung der Universität Marburg 1527 auch in protestantischen Territorien insgesamt acht Universitäten eingerichtet. Die Studentenzahlen im gesamten Reich stiegen zwischen 1500 und 1618 von 2700 auf 8000 an – letzterer Wert sollte erst wieder im 19. Jahrhundert erreicht werden.21

      Der jesuitische Einfluss wurde außerdem durch andere Traditionen innerhalb des deutschen Katholizismus verwässert. Zwar waren die weltlichen katholischen Fürsten sehr darauf bedacht, häretische Strömungen zu bekämpfen, da religiöses Abweichlertum gemeinhin als erster Schritt in Richtung Revolte galt; doch sorgte die Ausbreitung der Reformation dafür, dass der Katholizismus in der Hauptsache auf die geistlichen Territorien des Reiches zurückgedrängt wurde. Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts waren, von den Gebieten der Habsburger einmal abgesehen, Bayern und Lothringen die einzigen weltlich regierten Reichsterritorien von nennenswerter Ausdehnung, die katholisch geblieben waren. Bayern und die Habsburger wurden denn auch die wichtigsten Förderer der Jesuiten im Heiligen Römischen Reich; viele geistliche Fürsten hingegen begegneten dem Orden mit Misstrauen. Wenn sie auch zahlreich waren, so waren die geistlichen Territorien doch eher klein, und ihre politischen Institutionen waren unterentwickelt. Die Regierungsgewalt lag zum größten Teil in der Hand eines Dom- oder Stiftskapitels, das den Fürstbischof oder -abt wählte. Die Jurisdiktion war nicht selten durch das Vorhandensein weiterer Stiftskirchen oder Klöster zersplittert. In Speyer zum Beispiel kontrollierten insgesamt fünf Stiftskirchen ein Viertel der Kirchsprengel, während gar die Hälfte des Erzbistums Trier auf Klöster und andere kirchliche Stiftungen entfiel, die sich der direkten Kontrolle des Kurfürstbischofs entzogen.22 Die tridentinischen Dekrete erweiterten die Machtbefugnisse der Bischöfe hinsichtlich ihrer Aufsicht über autonome Stiftungen und Gemeindepriester, die sich beide einer Einmischung in ihre Angelegenheiten oft widersetzten. Die meisten Angehörigen des mittleren und höheren Klerus im Reich verbanden mit ihrem Glauben vor allem einen bestimmten Lebenswandel und örtliche Interessen. Dieses katholische Establishment war den adligen oder patrizischen Eliten der jeweiligen Gegend eng verbunden und teilte deren diesseitige, vom Renaissancehumanismus geprägte Weltsicht. Nachgeborene Söhne oder unverheiratete Töchter auf einem Posten in der Reichskirche unterzubringen, das hatte beim Adel vielerorts Tradition, denn dort winkte neben dem gebührenden sozialen Prestige auch ein komfortables Einkommen. Als Institutionen des Reiches waren kirchliche Stiftungen und Domkapitel gleichsam in die Reichsverfassung eingewoben; daraus bezogen sie ihre Rechte und Privilegien. Sie übten eine weltliche Herrschaft aus, die lokal und partikular war, und die deshalb mit der ausgeprägten Romtreue der Jesuiten kollidierte. Die Wahl auf einen Abts- oder Bischofsstuhl setzte die Mitgliedschaft in dem entsprechenden Stifts- oder Domkapitel voraus, und die Kapitulare bevorzugten Kandidaten, deren Ansichten ihren eigenen glichen. Selbst der tridentinische Vorzeigebischof Kardinal Borromäus stand dem universalen Herrschaftsanspruch des Papsttums mit gemischten Gefühlen gegenüber – vertrat er doch die konziliare Tradition einer Kirche, die vom hohen Klerus gemeinschaftlich regiert wurde. Diese Tradition war durch die energische Durchsetzung der päpstlichen Autorität auf dem Konzil von Trient geradezu zerschlagen worden. Der politische Einfluss, der mit den Ämtern der Reichskirche einherging, ermunterte die führenden Vertreter der Geistlichkeit gleichwohl, auch weiterhin dem gewohnten Muster des Absentismus zu folgen, indem sie Bischofssitze und andere Pfründen sammelten, wo sie nur konnten, sich dann vor Ort aber nicht engagierten. Die tridentinischen Reformen wurden nur langsam und unvollständig umgesetzt – welche Bestimmungen Beachtung fanden, lag ganz im Belieben der jeweils Verantwortlichen. Die größten Auswirkungen des Tridentinums kamen daher erst im späteren 17. Jahrhundert zum Vorschein, lange nach dem Dreißigjährigen Krieg.

      Auch in den Gemeinden traf die militante Reformbewegung auf starke Gegenwehr: Vor Ort, wo die Priester mitten unter ihren „Schäfchen“ lebten, wussten sie genau, dass ihre Stellung in der Gemeinschaft hauptsächlich davon abhing, ob die Gemeindemitglieder sie akzeptierten. Sie, die Gemeindepfarrer, hatten jenes menschliche Alltagsleben vor Augen, das radikalen Reformern, die sich um nichts scherten als um die konfessionelle Konformität, oftmals verborgen blieb. In der Praxis wurde die Glaubenslehre der Kirche großzügig ausgelegt, um sie an örtliche Gepflogenheiten sowie pragmatische und materielle Interessen anzupassen – und das trug letztlich sowohl zur Vielfalt als auch zur Stärke des Katholizismus im Heiligen Römischen Reich bei.

      Die Lutheraner Gerade diese bunte Heterodoxie war es, deren Beseitigung sich die lutherische Reformation auf die Fahnen geschrieben hatte. Luther wollte die bestehende Kirche reformieren, nicht eine neue schaffen, und er stellte die päpstliche Autorität erst dann infrage, als der Papst seiner Interpretation der biblischen Lehre nicht zustimmen mochte. Es war die zentrale Bedeutung der Schriftlehre in der Theologie Luthers, die das Luthertum von der römischen Kirche unterschied und zum festen Boden für eine eigene, klar abgegrenzte Glaubensgemeinschaft werden sollte. Luther, der die Bibel als den Quell aller Wahrheit ansah, übersetzte diese nicht zuletzt deshalb ins Deutsche, um sie von der falschen Schriftauslegung der Päpste zu befreien. Luthers Anhänger betrachteten sich selbst als „evangelisch“, also als Anhänger des Evangeliums; erst mit der Zeit identifizierten sie sich auch als „Protestanten“ – eine Bezeichnung, die von der förmlichen Protestation zu Speyer herrührte, mit der lutherische Landesfürsten beim dortigen Reichstag 1529 gegen den Beschluss der katholischen Mehrheit, in Zukunft gegen die Anhänger der neuen Häresie vorzugehen, opponiert hatten. Der Streit zwang die Lutheraner, ihre Glaubenssätze in einer Reihe von Dokumenten schriftlich niederzulegen, angefangen mit der Confessio Augustana, dem Augsburgischen Bekenntnis, das dem Kaiser beim Reichstag zu Augsburg 1530 vorgelegt wurde.

      Der lutherische Fokus auf das in der Bibel offenbarte Wort Gottes schmälerte die Vermittlerrolle des Priesters und veranlasste Luther, die Zahl der Sakramente von sieben auf zwei, nämlich Taufe und Abendmahl, zu reduzieren. Mit Blick auf Letzteres übernahm er weitgehend die katholische Lehre von der Realpräsenz, stärkte aber die Beteiligung der Gemeinde an der Messfeier. Andere Aspekte seiner Lehre gingen in ganz neue Richtungen, namentlich der Gedanke einer Rechtfertigung allein aus dem Glauben (sola fide). Dadurch wurden Rechtfertigung (Erlösung) und Heiligung (durch gute Werke) entkoppelt, denn schließlich sei, so Luther, die Aufnahme in den Himmel ein Gnadengeschenk Gottes und könne auch durch noch so gute Werke nicht „verdient“ werden. Das Individuum war nicht mehr in einem Kreislauf aus Sünde, Beichte, Reue und Buße gefangen – Gott allein entschied, wer errettet werden würde. Die