Der Dreißigjährige Krieg. Peter H. Wilson

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Название Der Dreißigjährige Krieg
Автор произведения Peter H. Wilson
Жанр Документальная литература
Серия
Издательство Документальная литература
Год выпуска 0
isbn 9783806241372



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ein gutes, christliches Leben zu führen. Diese Gedanken brachten Implikationen mit sich, die Luther so nicht im Sinn gehabt hatte. So stellte Luthers Überzeugung von einem „allgemeinen Priestertum der Gläubigen“ implizit sowohl die weltlich-politische als auch die geistlich-kirchliche Hierarchie infrage und schuf die Grundlage für einen populären Radikalismus, der schließlich im Bauernkrieg der Jahre 1524–26 kulminierte. Dieser – der ja ein Versuch gewesen war, zahllose lokale Missstände zu beheben – schloss auch die kraftvolle Vision eines Reiches ein, in dem keine Fürsten mehr zwischen dem „gemeinen Mann“ und seinem Kaiser standen. Obwohl der Aufstand mit beträchtlicher Brutalität niedergeschlagen wurde, und zwar von protestantischen wie von katholischen Fürsten, hinterließ er im Reich doch bleibenden Eindruck. Die Landesherren willigten ein, den Beschwerden ihrer einfachen Untertanen in Zukunft den Rechtsweg zu öffnen, was ihre Territorien nur noch fester in das Rechtssystem des Reiches einband und die hierarchische Reichsverfassung stärkte. Die Erfahrung des Bauernkrieges veränderte auch das Luthertum grundlegend, indem sie es in eine konservativere Richtung rücken ließ. Anstatt dem Individuum den Rücken zu stärken, bejahten die Theologen nun wieder den Anspruch der weltlichen Macht auf eine Kontrolle von Laien und Geistlichkeit gleichermaßen; die Geistlichen aber erklärten sie noch deutlicher als zuvor zu Hütern der reinen Glaubenslehre.23

      Angesichts der zersplitterten politischen Landkarte des Heiligen Römischen Reiches folgte aus dieser Entwicklung beinahe zwangsläufig, dass in jedem Territorium, das den neuen Glauben annahm, eine eigene Form des lutherischen Kirchenregiments entstand. Der jeweilige Landesherr brach zunächst mit Rom und übernahm die Kirchenaufsicht, die zuvor der Bischof oder Erzbischof ausgeübt hatte, unter dessen geistlicher Jurisdiktion das fürstliche Territorium stand. In Anbetracht der strikten lutherischen Grenzziehung zwischen weltlicher und geistlicher Sphäre wurden die vormals bischöflichen Machtbefugnisse an zwei neu geschaffene Institutionen übertragen. Verantwortlich für die geistliche Führung war nun ein Konsistorium von Fachtheologen, die jeden einzelnen Gemeindepfarrer auf seine Konformität mit der herrschenden Lehre hin überprüften. Von jedem Pfarrer wurde erwartet, dass er 200 Predigten im Jahr hielt, darunter zwei an jedem Sonntag. Die Predigtentwürfe mussten dem Konsistorium zur Bewilligung vorgelegt werden, und an den Kanzeln installierte man, gut sichtbar, Sanduhren – nicht nur, damit der Prediger die ihm verbleibende Redezeit besser abschätzen konnte, sondern auch, damit die Gemeinde nicht um die ihr zustehende Predigtzeit betrogen wurde.

      Das regelmäßige Predigthören stärkte das Gemeinschaftsgefühl der Gläubigen und schuf zugleich einen willkommenen Versammlungsanlass, bei dem die weltliche Obrigkeit ihre Dekrete verlesen lassen konnte. Auf diese Weise verzahnte sich mitunter der Konfessionalisierungsdrang des Luthertums mit den Anforderungen obrigkeitlicher Sozialdisziplinierung, wobei beide Autoritäten, geistliche wie weltliche, sich Gehorsam, Wirtschaftlichkeit und Sittlichkeit versprachen. Die neue Geistlichkeit wurde versorgt, indem man die Vermögenswerte der römischen Kirche, die sich auf dem Herrschaftsgebiet des betreffenden Landesherrn befanden, enteignete. Diesen Vorgang hat man als Säkularisierung bezeichnet, was aber in die Irre führt, denn er folgte nicht dem Muster etwa der englischen Reformation, in deren Verlauf Heinrich VIII. Klostergut einzog, um den Erlös der Staatskasse zuzuführen. Auch in den nun lutherischen Territorien des Heiligen Römischen Reiches wurde wohl ein wenig des so erlösten Geldes abgezweigt, etwa um die Musik bei Hofe zu bezahlen oder ganz allgemein als Beitrag zur fürstlichen Haushaltsführung; der größte Teil des enteigneten Besitzes wurde jedoch als lutherisches Kirchengut zusammengefasst und einem Kirchenrat anvertraut, der daraus die Finanzierung der Landeskirche bestritt.24 Frömmigkeitspraktiken, für die es in der lutherischen Lehre keine Grundlage mehr gab, wurden abgeschafft, so etwa das Lesen von Messen für die Verstorbenen in katholischen Klöstern, während man andere Dienste, die so oder ähnlich auch von katholischen Stiftungen geleistet wurden, wie etwa die Armenpflege oder den Unterhalt von Hospitälern und Schulen, erweiterte.

      Der politische Führungsanspruch der Landesherren kam auch bei der Verteidigung des Luthertums innerhalb des Reiches zum Tragen. Kaiser Karl V. versuchte, den Streit der Theologen beizulegen, indem er diese zu Gesprächen zusammenkommen ließ. Als dies scheiterte, sah der Kaiser sich gezwungen, ein Verfahren nach dem Landfriedensrecht einzuleiten – schließlich beschuldigten die Katholiken unter den Reichsständen die Protestanten, Besitz ihrer Kirche gestohlen und unter ihren Untertanen aufrührerisches Gedankengut verbreitet zu haben. 1521 bestellte Karl V. Luther nach Worms, damit dieser sich vor dem Reichstag wegen der Anschuldigungen verantworte, die von katholischer Seite gegen ihn erhoben worden waren. Das abschließende Urteil des Kaisers beruhte auf dessen traditioneller Rolle als Schutzherr der Kirche und Verteidiger des Glaubens: Im Wormser Edikt wurde Luther der Häresie für schuldig befunden und unter die Reichsacht gestellt – die höchste weltliche Strafe, die dem Kaiser zu Gebote stand. Luther war nun vogelfrei; als verurteiltem Landfriedensbrecher drohten ihm Verfolgung und Strafe.

      Die Ausbreitung des Luthertums unter den Reichsfürsten und -städten vertiefte den konfessionellen Graben noch weiter und zerschlug jene Einheit von Gesetz und Religion, auf welcher der kaiserliche Urteilsspruch gegen Luther ja gerade beruht hatte. Die Protestanten sprachen dem Papst ab, in Glaubensfragen überhaupt entscheiden zu dürfen, und behaupteten, ihre direkte Unterordnung unter Gott habe den Vorrang vor ihrer bisherigen Loyalität dem Kaiser gegenüber. Die politische Geschichte der Reformation ist im Wesentlichen eine Reihe von Versuchen seitens der Protestanten, die Wirkung des 1521 von Kaiser Karl V. erlassenen Edikts entweder aufzuschieben oder aufzuheben. Zu diesem Zweck setzten sie sämtliche ihnen verfügbaren Hebel der Reichsverfassung in Bewegung. Obwohl ihre Territorien größer waren und mehr Einwohner hatten, blieben die Protestanten in den Institutionen des Reichs unterrepräsentiert; die Oberhand hatten die kleineren, aber zahlreicheren katholischen Reichsstände. Drohende Rechtsverfolgung durch das Reichskammergericht brachte 1531 den sächsischen Kurfürsten, den hessischen Landgrafen sowie weitere lutherische Fürsten und Städte dazu, den Schmalkaldischen Bund zu schließen. Dies schuf den folgenschweren Präzedenzfall eines protestantischen Verteidigungsbündnisses außerhalb der Reichsverfassung. Probleme mit Frankreich und dem Osmanischen Reich beschäftigten den Kaiser bis in das Jahr 1546; dann erst kehrte er mit einer großen Streitmacht nach Deutschland zurück und schlug das Heer des sächsischen Kurfürsten in der Schlacht bei Mühlberg. Dieser Sieg erlaubte es dem Kaiser, seine Lösung für die Probleme des Reiches durchzusetzen.

      Der Glaubensstreit zwischen Protestanten und Katholiken wurde 1548 durch das Augsburger Interim zum Schweigen gebracht, eine kaiserliche Verordnung, die unter anderem Kompromissformulierungen zentraler Glaubenssätze enthielt und die nur vorläufig gelten sollte, bis der Papst sein Einverständnis gegeben haben würde (deshalb „Interim“). Obwohl es in einigen Details auch Zugeständnisse an die Protestanten machte, vertrat das Interim doch in den meisten strittigen Punkten die katholische Position. Unterdessen wurde das Reich umstrukturiert, um den Habsburgern ein leichteres Regieren zu ermöglichen. Burgund und die habsburgischen Besitzungen in Italien wurden Spanien zugeordnet, wo Karls Sohn Philipp zum Thronfolger bestimmt worden war. Österreich, Böhmen und Ungarn wurden Karls Bruder Ferdinand anvertraut, während die übrigen, nichthabsburgischen Reichsstände in ein besonderes Bündnis mit dem Kaiser eintreten sollten. Der sächsische Kurfürstentitel wurde der älteren, ernestinischen Linie der Wettiner, die sich Karl widersetzt hatte, aberkannt und der jüngeren, albertinischen Linie zugesprochen. Deren Oberhaupt, der Herzog Moritz von Sachsen, hatte sich nämlich im Schmalkaldischen Krieg auf die Seite des Kaisers geschlagen.25

      Ein solch machtvolles Durchgreifen des Kaisers konnte nur beunruhigen – selbst diejenigen, die davon profitierten. Durch ein Gemisch politischer und persönlicher Motive animiert – Karl V. hatte sich geweigert, Moritz’ Schwiegervater, den hessischen Landgrafen, freizugeben –, schloss der neue Kurfürst von Sachsen sich einem Komplott an, das die Regelung von 1548 zumindest in Teilen rückgängig machen sollte. Diese Fürstenverschwörung wurde zum Fürstenaufstand. Im Februar 1552 erkauften sich die Verschwörer die Unterstützung Frankreichs, indem sie eine französische Besetzung der Bistümer Metz, Toul und Verdun am westlichen Rand des Heiligen Römischen Reiches zuließen. Der Kaiser, dessen Unterstützung im Reich rapide abnahm, zog sich nach Innsbruck zurück und überließ es seinem Bruder Ferdinand, mit den Aufständischen zu verhandeln. Im Passauer Vertrag gewährte Ferdinand schließlich im Sommer