Nikomaus & Murmelbär. Adora Belle

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Название Nikomaus & Murmelbär
Автор произведения Adora Belle
Жанр Языкознание
Серия Alles Geschmackssache
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783961921164



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Sport gegangen und habe mir irgendwann auch Unterstützung durch einen Psychologen geholt. Denn eins hab ich in dieser Zeit begriffen: Ich war nicht einfach dick, weil ich so verfressen war, sondern ich habe mit Essen versucht, andere Bedürfnisse zu befriedigen. Essen kann eine Sucht sein, so wie jede andere auch, darum hat das bei mir auch bis zu einem gewissen Punkt funktioniert. Ich hab gegessen und fühlte mich damit im ersten Moment zufrieden, aber der Effekt war nie dauerhaft. Und wie bei jedem anderen Suchtmittel hat mein Körper mit der Zeit immer mehr verlangt, also hab ich immer weitergegessen, immer mehr. Irgendwann hat es auch gar keine Rolle mehr gespielt, was es war, Hauptsache, mein Magen war voll. Das zu verstehen, das war für mich persönlich das Allerwichtigste und ich denke, ohne diese Erkenntnis wäre ich heute immer noch fett. Oder eben tot.“

      Er schweigt einen Moment und fügt dann hinzu: „Das war es, worauf meine Frage abzielte. Denn wenn es bei dir auch so ist, dass du irgendwelche Dinge mit Essen zu kompensieren versuchst, dann ist eine Umstellung der Ernährung und Sport nur die halbe Miete. Ich würde dich zwar trotzdem coachen, aber nur unter der Bedingung, dass du parallel dazu auch die anderen Baustellen angehst. Sonst rutschst du über kurz oder lang zurück in die Spirale der schlechten Gewohnheiten und nimmst wieder zu.“

      Verblüfft starre ich ihn an. Okay, das hatte ich ehrlich nicht erwartet und das Wort „dumm“ in Verbindung mit Alexander streiche ich wohl auch besser aus meinem Bewusstsein. Der Typ ist weit weniger oberflächlich, als ich erwartet hatte, und vage dämmert mir die unbequeme Erkenntnis, dass ich selbst offenbar auch nicht frei bin vom Schubladendenken.

      Entsprechend verlegen kratze ich mich am Kinn, sehe noch mal auf das Foto und sage: „Na ja, ich denke, bei mir ist es eher so, dass ich einfach ein Genussmensch bin. Ich esse halt gern. Gut, ich hab einen Job, der mich manchmal ziemlich stresst, aber dass ich da mit Essen irgendwas kompensiere … Ne, also das Gefühl hab ich nicht. Okay“, schränke ich gleich darauf ein, „gelegentlich passiert es schon mal, dass ich denke, ich müsste mir was gönnen, zum Beispiel, wenn der Dienst echt Scheiße war oder sonst irgendwas. Aber dann stelle ich mich nicht in die Küche, um mir einfach irgendwas zu essen zu machen, damit der Magen schnell voll wird, sondern eher, weil ich mich beim Kochen total gut entspanne.“

      Alexander hat aufmerksam zugehört und nickt jetzt lächelnd.

      „Das ist schon mal gut. Und früher? Wie war das da? Du hast vorhin gesagt, du wurdest ungefähr ab der Mittelstufe Klößchen genannt, hab ich das richtig verstanden?“

      „Ja. Schon“, gebe ich zu. „Da gab es tatsächlich eine Phase, wo ich mich ziemlich beschissen gefühlt habe und dass die anderen mich immer wegen meiner Figur gedisst haben, hat es nicht gerade besser gemacht. Im Gegenteil. Aber zum Glück kam dann ja Niko in meine Klasse und hat nicht lockergelassen, bis wir Freunde geworden sind. Ab da war es einigermaßen erträglich für mich.“

      „Ja, nicht wahr?“ Niko strahlt übers ganze Gesicht und klimpert mit den Wimpern in Richtung seines Schwarms.

      „Freut mich, das zu hören.“ Alexander nickt ihm zu. „Und dass du, zumindest was das angeht, keine dieser oberflächlichen Arschkrampen bist.“

      Könnte man Nikos anschließendes Strahlen zur Gewinnung von Energie nutzen, wäre der Kohle- und Atomausstieg längst Geschichte. Allerdings dauert das nur einen Moment. Dann scheint der „zumindest was das angeht“-Teil von Alexanders Satz in seinem Kopf anzukommen und das Grinsen erlischt schlagartig.

      Hm. Scheint ja fast so, als wäre dieser Kerl wirklich mehr als bloß ein hübsches Gesicht, Muskeln und Sixpack. Wobei …

      Ich lasse meinen Blick über Alexander gleiten und stelle fest, dass das Gesamtpaket – nachdem ich jetzt weiß, dass er wohl doch kein arrogantes, von sich selbst eingenommenes Arschloch ist – eigentlich sehr reizvoll auf mich wirkt. Ich glaube zwar, kaum ein schwuler Mann würde ein Sahnestück wie diesen Alexander ernsthaft von der Bettkante schubsen wollen, aber die Tatsache, dass er nicht nur ausnehmend attraktiv ist, sondern noch dazu ganz offensichtlich Empathie und Intelligenz besitzt, erhöht seinen Attraktivitätsfaktor mindestens noch um das Doppelte. Für mich jedenfalls.

      Aber schon im nächsten Moment rufe ich mich energisch zur Ordnung. Es gibt einfach so viele gute Gründe, Alexander nicht spontan auf irgendein Podest zu stellen, dass ich kaum weiß, wo ich da anfangen soll.

      Vielleicht der Einfachheit halber damit, dass ich den Typen doch eigentlich überhaupt nicht kenne, und ihn im Geist mit Heiligenschein und Engelsflügeln auszustaffieren, bloß weil er fünf Minuten nach unserer ersten Begegnung eine rührselige Anekdote aus seiner Jugend erzählt, wäre nicht nur naiv, sondern schlicht und ergreifend dumm. Ich meine, vielleicht stimmt das ja alles überhaupt nicht. Fotos kann man mit Computerprogrammen verfälschen und vielleicht benutzt er die Story über sein eigenes Dicksein bloß als Köder?

      Sicher!, meint mein Miniatur-Luzifer ironisch. Weil er das ja auch bestimmt nötig hat, um irgendeinen bedauernswerten Fettwanst zu finden, der bei seiner Video-Serie mitmacht! Davon laufen schließlich kaum welche in freier Wildbahn rum und die wenigen, die es gibt, wollen auch ums Verrecken nicht ausgerechnet von diesem Adonis gecoacht werden. Völlig logisch!

      Okay, da ist sicher was dran, aber wenn wir das mal außen vor lassen, wäre da auch noch die nicht ganz unerhebliche Tatsache, dass der Weg zwischen Verklärung und Verknalltsein meistens ziemlich kurz ist. Und wenn ich eines ganz sicher nicht will, dann, mich in diesen Mann zu verknallen. Nicht allein deshalb, weil ich mir lebhaft vorstellen kann, wie nicht existent meine Chancen bei jemandem wie ihm sind, sondern vor allem, weil mein bester Freund scharf auf ihn ist. Selbst wenn der von Alexander nicht mehr will, als ihn ein oder zwei Mal in die Horizontale zu zerren, ist das trotzdem immer noch gleichbedeutend mit einem riesigen „Pfoten weg!“-Schild um seinen wohlgeformten Hals.

      Und – last but not least – wer weiß denn schon, was noch alles passiert? Vielleicht ist Alexander am Ende ja genau der eine Mann, der Niko endlich von seiner Flatterhaftigkeit heilt? Bei dem er sozusagen sesshaft wird? Wer wäre denn da ich, Klößchen Matthias Klapproth, dass ausgerechnet ich versuchen dürfte, mich zwischen sie zu drängen?

      Na bitte. Sag ich doch.

      „Hey?“ Niko runzelt die Stirn und macht einen beleidigten Schmollmund in Alexanders Richtung. Er sieht süß aus, wenn er so schaut, und das weiß er auch, weshalb er dieses Mittel oft und gern einsetzt. „Hast du mich gerade oberflächlich genannt?“

      Alexander grinst ihn an.

      „Bist du das denn nicht?“

      Nun blinzelt mein Kumpel, während ich mir ein spontanes Lachen verkneifen muss und mich stattdessen in ein künstliches Husten zu retten versuche. Mit der Retourkutsche hat Niko sicher nicht gerechnet und wäre die Gegenfrage in einem etwas schärferen Tonfall gestellt worden, könnte man auch zu Recht behaupten, sie wäre beleidigend.

      Jetzt dreht Niko sich jedoch zu mir, schaut mich empört und gleichzeitig Hilfe suchend an, weshalb ich mich rasch auf meine Rolle als sein bester Freund besinne.

      „Niko ist nicht oberflächlich“, höre ich mich denn auch pflichtschuldig sagen und kreuze dabei im Geist die Finger.

      Okay, es ist nur eine halbe Lüge, aber das macht es auch nicht besser, oder?

      Um mein Gewissen zu beruhigen, erinnere ich mich daran, dass Niko als mein bester Freund immer zu mir gestanden und mich verteidigt hat, egal gegen wen, und dass er jederzeit für mich da gewesen ist, wenn ich ihn brauchte. Summa summarum ist es also nur recht und billig, ihn jetzt ebenfalls in Schutz zu nehmen. Wenn ich die Wahrheit dafür ein klitzekleines bisschen zurechtbiegen muss, spielt das keine Rolle. Loyalität unter Freunden geht eindeutig vor!

      Was Niko und andere Männer angeht, muss ich Alexander allerdings recht geben, denn was das betrifft, ist mein Kindheitsfreund, wie ich ja schon erzählt habe, mehr als nur ein bisschen oberflächlich. Manche würden ihn vermutlich als Schlampe bezeichnen und selbst da könnte ich nicht aus vollem Herzen widersprechen.

      Andererseits ist Niko noch jung genug, er sieht verdammt gut aus und warum soll er seine Chancen