Название | Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman |
---|---|
Автор произведения | Patricia Vandenberg |
Жанр | Языкознание |
Серия | Dr. Norden Bestseller Paket |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783740937553 |
»Cornelius weiß ganz genau, was er tut, Saskia«, sagte sie.
»Geschehene Dinge sind nicht mehr zu ändern«, sagte Saskia noch einmal. »Ich hätte Cornelius wohl sagen sollen, dass ich einen Schlussstrich ziehen will.«
»Jeder Mensch muss seinen eigenen Weg gehen, Saskia«, sagte Fee leise.
Cornelius ging den seinen keineswegs mit Triumphgefühlen. Als er vor dem grauen Gebäude stand und zu den vergitterten Fenstern emporblickte, wurde ihm erst so recht bewusst, welches Leben Tatjana erwartete. Wie lange dieses Leben währen würde, wusste niemand, aber es würde wohl hinter Gittern enden. Sicherungsverwahrung war auch nichts anderes als Gefängnis.
Er sprach dann mit einem ernsten grauhaarigen Mann und fragte sich dabei, wie ein Mensch in solcher Atmosphäre überhaupt existieren könne.
»Frau van Reyken ist apathisch«, sagte der Direktor dieser Anstalt. »Sprechen Sie bitte freundlich mit ihr. Augenblicklich befindet sie sich in einem Stadium, in dem kaum Aggressionen zu befürchten sind. Ich bin mir bewusst, dass dem Recht genüge getan werden muss, aber Sie sollten auch bedenken, dass man sie nicht zur Verantwortung ziehen kann.«
»Was haben die Untersuchungen ergeben?«, fragte Cornelius mit belegter Stimme.
»Sie muss einmal eine folgenschwere Hirnverletzung gehabt haben, die nicht richtig ausgeheilt ist«, erwiderte der Direktor. »Der Arzt hat es mir so erklärt: Wenn im Telefonnetz sich zwei Leitungen überschneiden, kommt es zu Störungen. Ähnlich ist es in unserem Nervensystem.«
Cornelius hörte gar nicht richtig zu. Er sah eine Szene vor seinen Augen abrollen, so als würde er sie gerade eben jetzt erst erleben. Er sah sich mit Tatjana auf einem Segelboot. Zehn Jahre alt war er da gewesen.
»Spring doch ins Wasser, Cornelius«, hatte sie gesagt. »Was bist du für ein Feigling. Schau, ich mache es dir vor.«
Anatol hatte sie beobachtet. Vor ihm hatte Cornelius immer eine unbestimmte Scheu gehabt. Er war nicht gesprungen, aber Tatjana. Und Anatol hatte noch gerufen, dass es hier nicht tief genug für einen Kopfsprung sei. Er hatte sie dann herausgeholt. Sie war benommen gewesen, aber bald wieder so wie immer.
Ob sie sich an diesem Tage die Kopfverletzung zugezogen hatte?
Er ging dann einen langen düsteren Gang entlang, und dann saß er Tatjana gegenüber, durch ein Gitter getrennt.
Sie war nur noch ein Schatten ihrer selbst. Ihr Gesichtsausdruck war stumpf, ihre Augen blicklos auf ihn gerichtet.
»Erkennst du mich, Tatjana?«, fragte er. »Ich bin Cornelius.«
»Cornelius«, wiederholte sie monoton, »der kleine Cornelius.« Ein Schaudern lief über seinen Rücken, während er krampfhaft überlegte, was nun wohl hinter dieser faltigen Stirn vor sich ging. Zerknittert wie Pergament war ihre Haut, die sich doch immer so straff über ihre hervortretenden Wangenknochen gespannt hatte. Am liebsten wäre er aufgesprungen und davongelaufen, doch da begann sie zu sprechen.
»Anatol hat mich vergessen, du nicht. Wo ist Anatol? Warum kommt er nicht?«
»Anatol ist tot, Tatjana«, erwiderte er tonlos.
»Tot?« Sie kicherte. Es klang gespenstisch. »Dann kann er niemanden mehr sagen, dass ich Magnus erschossen habe. Du wirst es auch nicht verraten, Cornelius, nicht wahr?«
»Warum hast du ihn erschossen?«, fragte Cornelius stockend.
»Warum? Er sah mich an und ging weg. ›Ich liebe Evelyn‹, hat er gesagt. ›Wir haben nichts gemeinsam, Tatjana‹. Ja, das hat er gesagt. Er dachte nur an diese Frau und an ihr Kind, nicht an dich, Cornelius«, wimmerte sie.
»Hast du an mich gedacht, Tatjana?«, fragte Cornelius.
»Ich habe ihm gesagt, dass du sein Sohn bist.«
»Und was hat mein Vater gesagt?«
»Wenn Cornelius mein Sohn ist, wird er den Weg zu mir finden. Und dann hat er mir den Rücken zugedreht und ist gegangen.«
»Und du hast auf ihn geschossen.«
»Ich habe abgedrückt«, erwiderte sie, den Kopf in den Nacken legend. »Er ist gar nicht tot, Cornelius«, fuhr sie flüsternd fort. »Das hat Anatol nur gesagt, um mir Angst zu machen. Er ist reich, reich, reich!« Ihre Stimme gellte durch den Raum, dröhnte in seinen Ohren. Sie war nicht mehr menschenähnlich. Tatjanas knochige Finger umkrampften das Gitter. Ihr verzerrtes Gesicht presste sich gegen die Stäbe. »Mein Kopf schmerzt«, flüsterte sie dann. »Das Wasser war zu flach. Es ist gut, dass du nicht gesprungen bist. Geh zu Magnus. Er wird dir Geld geben. Und du wirst es mir bringen. Ich will nicht mit Anatol teilen.«
Eine Hand legte sich auf Cornelius’ Schulter. »Kommen Sie, Herr Boerden«, sagte eine leise Stimme. »Sie weiß nicht, was sie redet. In ein paar Minuten wird sie alles vergessen haben.«
»Für immer?«, fragte Cornelius.
»Das ist schwer zu sagen. Sie wird lichte Momente haben und in tiefe Finsternis versinken. Sie ist krank. Sie sind gesund und jung, Herr Boerden. Kommen Sie nicht mehr hierher.«
»Sie wird also nicht vor Gericht gestellt werden?«
»Wozu? Sie wird hinter Gittern und in der Finsternis leben. Ist das nicht Strafe genug?«
»Erwarten Sie, dass ich ihr verzeihe?«, fragte Cornelius.
»Alles verstehen, heißt alles verzeihen, heißt es«, sagte der Gefängnisdirektor. »In diesem Fall würde ich sagen, vergessen Sie, und denken Sie nicht mehr zurück.«
Wie betäubt ging Cornelius zu seinem Wagen. »Du sollst nicht zurückschauen, nur vorwärts«, hatte er zu Saskia gesagt. Sollte er es nun nicht auch zu sich selbst sagen?
Hatte er früher nicht selbst so manches Mal gedacht, dass man Sträflingen nicht den Weg zurück in die Gesellschaft verbauen solle, wenn sie ihre Strafe verbüßt hatten? Es sah alles ein wenig anders aus, wenn man zu den Betroffenen gehörte, und Tatjana kannte weder Reue noch Buße. Sie würde nun einfach dahinvegetieren.
Und er? Konnte er sich nicht freier fühlen? Durch eine Verletzung sei ihr Gehirn geschädigt worden, hatte der Arzt gesagt. Aber wie war es bei seiner Mutter gewesen? Gewiss, sie hatte keinen Menschen getötet, aber sie hatte seinen Vater betrogen, und sie hatte es geduldet, dass Tatjana und van Reyken so lange gegen ihn intrigierten.
Aber sie hatte bereut. Sie hatte ihm alles gebeichtet, als er erwachsen war. Sie war keine vorbildliche Mutter gewesen, sie hätte ihn abgetreten an den Mann, der doch sein Vater gewesen war. Tatjanas große Lüge hatte nicht nur ihn, Cornelius, um vieles gebracht, sondern auch seine Mutter in tiefe Konflikte gestürzt.
Aber was hatte Tatjana doch gesagt? Was waren die letzten Worte seines Vaters gewesen, wenn man ihr Glauben schenken konnte?
»Wenn Cornelius mein Sohn ist, wird er den Weg zu mir finden?«
Ja, er hatte den Weg gefunden, aber sein Vater war tot gewesen. Er hatte eine verzweifelte Frau und ein verängstigtes, aggressives Kind angetroffen.
Cornelius fuhr nun zum Friedhof. Er stand vor der Gruft, in der schon Evelyns Eltern beigesetzt worden waren. Hier hatte sie ihren Mann bestatten lassen. Und nun hatte auch sie hier ihre letzte Ruhestätte gefunden.
Er gedachte dieser Frau mit tiefster Verehrung. Ihre erste Liebe war ein folgenschwerer Irrtum gewesen, eine romantische Illusion. Ihre große Liebe hatte sie in Magnus Boerden gefunden, doch nur ein kurzes Glück war ihr beschieden gewesen. Nun gab es nur noch Saskia.
Nur? Eine heiße ungestüme Sehnsucht erfüllte ihn schon jetzt, da sie doch erst einige Stunden getrennt waren. Seine Gedanken folgten ihr zur Insel der Hoffnung, von der er sich keine richtige Vorstellung machen konnte.
*
Man konnte es sich nicht vorstellen, so schön war es dort. Wie im Traum betrat Saskia zwischen Fee und Daniel die Insel. Mit welch herzlicher Freude wurden