Die Chroniken der drei Kriege. S. A. Lee

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Название Die Chroniken der drei Kriege
Автор произведения S. A. Lee
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Год выпуска 0
isbn 9783967525557



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in seinem Magen ein altbekanntes Gefühl aus, ein Gefühl der Vorahnung, das den Sieg, den sie gerade errungen hatten, bitter schmecken ließ.

      Etwas war falsch an dieser Sache.

      Sicher, die List war lange geplant gewesen; dass Megan sich als Elouané verkleiden und die Schwarzmagier anlocken würde, damit sie sie im entscheidenden Moment angreifen und die anderen einen von ihnen gefangen nehmen konnten. Aber irgendwie hatte er damit gerechnet, dass die Hexer mehr Widerstand leisten würden. Das war vielleicht zynisch, denn die Verluste, die es unter den Windreitern gegeben hatte, waren schlimm, ganz zu schweigen von der übrigen Bevölkerung. Trotzdem …

      Sie passierten die Tore des ersten Stadtrings, die wegen der Unruhen hinter ihnen geschlossen wurden, und in dem Moment, als der Riegel zuschnappte, jagte ein Stich durch Kirin, der ihn nach Luft schnappen ließ.

      »Was ist?«, fragte Megan, als Kirin abrupt stehenblieb. Rhùk legte seine beiden Schwerter um den Hals des Ordensmannes wie eine Schere, damit dieser nicht auf dumme Gedanken kam, und fixierte nur das alte, runzlige Gesicht, als er fragte: »Stimmt was nicht, Kleiner?«

      Kirin konnte nicht antworten; auf der Ringmauer hinter ihm saß eine Schneeeule, und die Art, wie sie ihn ansah, ließ ihm das Herz gefrieren.

      ›Ein Fehler‹, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf, ›du hast einen Fehler gemacht!‹

      Die Eule beobachtete ihn.

      Doch nicht nur sie.

      Die Eule hatte ihm Hinweise gegeben, hatte den schwarzen Orden verraten. Woher wollte er wissen, dass andere Vögel nicht genauso viel wussten? Und woher wollte er wissen, dass andere Vögel nicht ebenfalls Verräter waren?

      »Ich muss sofort in den Palast zurück!«, rief er und rannte los, so schnell wie nie zuvor in seinem Leben. Er achtete nicht auf die Rufe seiner Gefährten hinter ihm, denn ihre Stimmen wurden verdrängt von der einen, die in seinem Kopf war und die nur noch einen Gedanken zuließ:

      Elouané.

      

       Fort

       Sie wandelte durch die Straßen der schwarzen Stadt, die Arme vor sich ausgestreckt; sie ahnte ihren Weg mehr, als dass sie ihn sah, nur geleitet vom glatten, feuchten Boden unter ihren Füßen. Unzählige Augen ruhten auf ihr, doch seltsamerweise machten sie ihr in diesem Moment keine Angst. Sie war auf dem Weg nach Hause, spürte sie, und auf diesem Weg konnte ihr nichts und niemand gefährlich werden. Wie immer war die Stimme allgegenwärtig, doch sie klang sanfter, freundlicher als sonst, als wüsste der, der dort rief, dass sie endlich den richtigen Weg gefunden hatte und nicht mehr davon abweichen würde.

       ›Komm‹, sagte sie, ›komm nach Hause. Komm.‹

       »Ich komme«, antwortete Elouané und schloss lächelnd die Augen, als ein sanfter Wind ihr Gesicht streifte. Sie hob die Arme und fühlte, wie sie wie ein Blatt im Wind davongetragen wurde. Sie tanzte, schwebte, folgte dem Wind, ohne sich zu widersetzen. Sie fühlte die warme Feuchtigkeit an den Wänden der Häuser, die an ihr vorbeizogen, und schon von weitem sah sie den Turm, der über alles andere hinausragte wie ein Speer, der auf das Herz des Himmels zielte. Sie erkannte, wie schön er eigentlich war, wie vollkommen, und ihr Herz begann zu klopfen, als sie immer schneller darauf zuflog, sie streckte die Hände danach aus, wünschte ihn sich näher, brannte darauf …

      Elouané wachte auf.

      Zu ihrem Schrecken stellte sie fest, dass sie die Hände im Schlaf vor sich ausgestreckt hatte, als wollte sie tatsächlich nach dem schwarzen Turm greifen, der ihr im Traum so wirklich vorgekommen war. Sie ließ die Arme sinken, nur um im nächsten Augenblick zusammenzuzucken: Sie war nicht im Schrein der Waage, wo sie sich nach Kirins Aufbruch hinbegeben hatte, um zu beten, sondern stand auf einem verlassenen, mit Platten ausgelegten Pfad, der links und rechts von hohen Hecken umgeben war und den sie nicht kannte.

      Entsetzt fuhr sie herum; wo auch immer sie hinsah, erstreckten sich nur gleichförmige, von Hecken umgebene Wege, und sie waren menschenleer. Sie zitterte, und als sie an sich hinuntersah, bemerkte sie, dass sie barfuß war und auch ihr Gebetstuch nicht mehr bei sich trug.

      ›Was geht hier vor?‹

      Sie hob ihre bebende Hand an die Stirn, um sich zu beruhigen, und versuchte sich zu erinnern, wie sie hierhergekommen war. Sie hatte beim Schrein gekniet und gebetet und war plötzlich so müde geworden … danach erinnerte sie sich an nichts.

      Undeutlich fiel ihr ein, dass Megan ihr einmal von sogenannten Schlafwandlern erzählt hatte, die sie in der Bibliothek von Aléh hatte behandeln müssen. Als Elouané ihr von ihren Träumen berichtet hatte, hatte sie ihr beruhigende Kräutersäfte zubereitet, die die Wirkung dieser Erscheinungen hatten mildern und verhindern sollen, dass sie in der Nacht herumlief. Gegen die Träume hatten sie zwar nicht geholfen, aber zumindest war Elouané dabei ruhig liegengeblieben. Jetzt aber schien die überwältigende Kraft der Traumgebilde sie eingeholt zu haben. Sie atmete tief ein und aus und versuchte sich zu beruhigen.

      ›Ich muss noch irgendwo in den Gärten des Palastes sein‹, überlegte sie, ›ansonsten wäre ich irgendwann gegen Mauern oder Gitter gestoßen.‹

      Aber wo? In den kurzen Wochen, die sie im Haus des Großfürsten verbracht hatte, hatte sie nur zu erahnen begonnen, wie weitläufig die Parkanlagen wirklich waren; sie beherbergten ein Theater und Wasserspiele und unzählige kleine Pergolen, die als Rückzugsorte dienten und die gut versteckt in entlegenen Winkeln der Gärten lagen. Sie hatte einmal ein Bild gesehen, nach dem die Außenanlagen angelegt worden waren, und dabei hatte sich ihr ein unübersichtliches, verwinkeltes Labyrinth präsentiert, in dem man sich tagelang aufhalten konnte, ohne einer Menschenseele zu begegnen.

      ›Aber Kirin hat überall Wachen aufstellen lassen‹, dachte sie. ›Sogar vor dem Heiligtum standen welche. Wo sind sie?‹

      Sie warf einen hilfesuchenden Blick zum Himmel; sie hatte sich vor Sonnenaufgang zum Gebet niedergelassen, aber ihr Gefühl sagte ihr, dass seither eine Menge Zeit verstrichen war. Die Sonne war nirgends zu sehen, und mit jedem Herzschlag, den sie weiter so verharrte, schien es dunkler zu werden.

      Ein Krächzen in ihrem Rücken ließ sie zusammenfahren, und als sie hinsah, erkannte sie eine riesenhafte Krähe, die in den Ästen der nächstgelegenen Hecke hockte und sie mit boshaftem Vergnügen beobachtete.

      Elouané wich zurück, bis sie die gegenüberliegenden Büsche im Rücken spürte.

      »Geh weg von mir, Vogel der Finsternis«, wisperte sie und machte unbewusst das Zeichen der Drei über ihrer Stirn. Sie hatte früher Zuneigung zu jeder Art von Lebewesen empfunden, aber seit sie gesehen hatte, wie die Hexer des schwarzen Ordens diese Tiere für ihre Zwecke manipulieren konnten, waren Abscheu und Argwohn in ihr gewachsen. Der Vogel rührte sich nicht, sondern erwiderte stumm ihren Blick, ein hämisches Glitzern in den Augen.

      Zu ihrer Linken raschelte ein Zweig, und Elouanés Herz machte einen Satz in ihre Kehle; die Dunkelheit wurde dichter auf diesem Teil des Weges, und während sie hinsah, war ihr, als kröchen lebende Schatten über den Boden auf sie zu, um ihre Fußgelenke zu packen. Sie wirbelte herum und rannte los, das alarmierte Krächzen des Vogels ignorierend. Bei der nächsten Wegkreuzung stürzte sie blindlings nach rechts, während ein dunkler Lufthauch ihren Nacken streifte.

      Raus hier – sie musste raus aus den Gärten und jemanden finden!

      Da trat jäh vor ihr eine Gestalt auf den Weg.

      Elouané sah nur das Wirbeln von Roben und das Blitzen eines Messers in der Hand des Mannes – und noch ehe sie bremsen konnte, prallte sie gegen ihn. Der Mann strauchelte und fluchte, wedelte mit den Armen durch die Luft und versuchte sein Gleichgewicht wieder zu finden. Elouané fuhr auf dem Absatz herum, um davonzurennen, doch in diesem Augenblick schlossen sich kräftige Finger um ihren rechten Oberarm und zogen sie zurück. Elouané schrie und kämpfte wie wild und zerkratzte ihm mit ihren Fingernägeln das Gesicht.

      »Aua!