Die Chroniken der drei Kriege. S. A. Lee

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Название Die Chroniken der drei Kriege
Автор произведения S. A. Lee
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Год выпуска 0
isbn 9783967525557



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Gesichter in Nardéz gesehen worden – Händler, von denen die meisten sich von der blutigen Mordserie hatten abschrecken lassen und trotz der winkenden Reichtümer das Weite gesucht hatten. Allzu weit schien es aber nicht gewesen zu sein, denn kaum machten die ersten positiven Gerüchte die Runde, kehrten dickbäuchige Koggen und schlanke Flussschiffe in den Hafen zurück, um aus den für den Winter dringend benötigten dicken Stoffen für die Nardézer Profit zu schlagen.

      Es war kälter geworden – lange nicht so kalt, wie es in Yorenin um diese Jahreszeit war, aber kühl genug, dass die meisten Frauen ihre hauchdünnen Sommerstoffe gegen samtene Überzüge und Röcke eintauschten und die Windreiter ihre Uniformen um schwarze Waffenröcke und Handschuhe erweiterten. Kirin, der die arachinischen Krieger bisher noch nie in dieser Montur gesehen hatte, fand den Anblick irritierend – tatsächlich machten die Stadtwachen in ihren langen Ärmeln auf ihn einen beinahe harmlosen Eindruck.

      »Nur zu, fordere einen von ihnen heraus, dann wirst du sehen, wie harmlos sie sind«, ermunterte ihn Rhùk, als Kirin ihm diesen Gedanken mitteilte. Der Windreiter war noch immer beleidigt, weil er die Aufforderungen zum Kampf auf Leben und Tod nicht hatte annehmen dürfen, und daher war Kirin beinahe froh, dass der Tag der Einweihung nun endlich bevorstand; die Aussicht, seine Schwerter in einen der Schwarzmagier versenken zu dürfen, würde Rhùk hoffentlich von unüberlegten Handlungen abhalten.

      Die Zeremonie sollte bei Sonnenaufgang stattfinden, mit dem Gedanken dahinter, dass die Schattendiener sich einerseits noch sicher genug fühlen sollten, aus ihren Löchern hervorzukommen, andererseits aber genug Licht vorhanden sein würde, damit sie nicht einfach unbemerkt verschwinden konnten. Demzufolge stand Kirin eine Stunde vor dem Morgengrauen auf dem Balkon des Fürstenpalastes und musterte die Szenerie auf dem Hof unter ihm; Soldaten, die sich in Reih und Glied aufstellten, Karren, die mit Blumen und Bildern festlich geschmückt durch die Stadt gezogen werden sollten, und einige Höflinge, darunter auch Monzù, die prächtig gekleidet ihre Positionen neben diesen Festwagen einnahmen.

      ›Das gefällt mir nicht‹, dachte er bei sich, ›das gefällt mir ganz und gar nicht.‹

      »Mein Herr.« Elouané war aus der Düsternis des Palastes an ihn herangetreten, die graublauen Augen ebenfalls voller Sorge.

      Kirin neigte den Kopf; Elouané trug eine helle Novizinnenrobe, dazu ein Tuch über dem Kopf, wie es zu religiösen Anlässen üblich war. Im Gegensatz zu den Tüchern der vereidigten Schwestern war es jedoch nicht in ihrem Nacken zusammengebunden, sondern fiel locker über ihre Schultern, sodass man eine Andeutung ihrer langen Haare sehen konnte. Dafür hielt sie eine schlichte weiße Maske in den Händen, die sie während der Prozession zum Tempel tragen würde, zum Gedenken an ihre toten Brüder und Schwestern.

      Einen Moment schien sie um Worte zu ringen, dann sagte sie sehr schnell: »Mein Herr Kirin, ich habe Angst.«

      Kirin machte einen vorsichtigen Schritt auf sie zu; selbst mit einer Armlänge Abstand zwischen ihnen meinte er die Wärme, die sie ausstrahlte, zu spüren.

      »Ihr seid sicher«, beruhigte er sie. »Euch kann nichts geschehen.«

      Doch Elouané schüttelte den Kopf. »Es geht nicht um mich … ich habe Angst um die anderen, um Megan, um Euch … was ist, wenn Euch etwas zustößt? Wenn … wenn wieder jemand getötet wird?« Sie schürzte die Lippen, als müsste sie ihre Tränen zurückhalten.

      Kirin versuchte zu lächeln.

      »Wir können auf uns aufpassen. Durch Eure Warnung sind wir so gut gewappnet, wie es nur irgendwie geht. Jeder, der heute mitkommt, weiß, worauf er sich einlässt. Jeder von uns ist bereit, sein Leben zu riskieren, um den Wahnsinn dieser sogenannten Gottesdiener zu beenden.«

      Lange sagte Elouané nichts; Kirin sah, wie sie unruhig mit ihrer Maske spielte. Schließlich hob sie den Kopf und sah Kirin so direkt an wie nie zuvor, und wieder war ihm, als würde ein unsichtbares Band gesponnen, zwischen ihren Augen und seinen.

      »Wenn Ihr getötet werdet … Dann stirbt ein Teil der Welt, die der Lichte geschaffen hat. Alle, die ich in Eurem Umfeld sah, sind gute Menschen, das weiß ich. Aber Ihr … es ist mehr in Euch, und ich glaube, Ihr spürt es auch. Der Lichte hat Euch ausersehen. Wozu, weiß ich nicht, aber … Bitte, Ihr dürft nicht zulassen, dass Sie Euch etwas antun! Ihr müsst leben, versprecht mir das!« Sie schien nicht zu bemerken, dass sie beim Sprechen die Hände nach ihm ausgestreckt hatte, und ebenso unbewusst hob Kirin die seinen und umfasste sie.

      Ihre Finger waren kalt, aber er spürte, wie seine Wärme auf sie überging.

      »Ich verspreche es«, sagte er leise.

      »Versprecht mir, dass Ihr nicht für mich sterben werdet«, flüsterte Elouané. »Versprecht mir, dass Ihr Euer Leben rettet, bevor Ihr meins rettet.«

      Kirin spürte, wie ihre Finger die seinen drückten, und er erwiderte den Druck.

      »Das kann ich nicht«, sagte er mit einem Lächeln. »Und wenn Ihr mich so kennt, wie ich es glaube, dann wisst Ihr das auch.«

      Elouané erwiderte nichts, sondern sah ihn nur aus traurigen Augen an, die goldenen Punkte um ihre Pupillen wie sterbende Sonnen.

      In diesem Augenblick erschallte unten auf dem Platz eine Trompete, und beide fuhren zusammen. Verlegen und auch ein wenig verwirrt lösten sie ihre Hände voneinander.

      »Es ist Zeit«, sagte Kirin.

      Elouané sah ihn an, als wollte sie noch etwas sagen, senkte denn aber nur den Kopf und kehrte gemeinsam mit ihm ins Innere des Palastes zurück.

      Trotz der frühen Stunde waren die Straßen voller Menschen; es waren nicht so viele wie bei ihrer Heimkehr nach dem Vergeltungsschlag gegen die Ostländer, aber noch immer genug, um allfälligen Angreifern eine Deckung zu bieten. Ein weiterer Grund, warum Kirin dieser Plan nicht behagte.

      Er reckte den Hals und überblickte den Festzug, dem er folgte: Ganz vorne ging eine Abteilung Windreiter, dann folgten die sechs geschmückten Wagen. In deren Mitte, für Kirin durch die ganzen Blumengirlanden gerade noch zu sehen, schritt die weißgekleidete Dienerin des Lichten, flankiert von weiteren Wachen. Danach folgte Kirin zusammen mit einigen hochrangigen Adeligen und seinen Leibwächtern. Rhùk und Larniax gingen direkt hinter Kirin, Asusza jedoch war im Palast zurückgeblieben. Ebenso fehlte die Heilerin, um die sich so viele Geschichten rankten.

      Das Volk von Nardéz tuschelte, es handele sich um dieselbe widernatürliche Kreatur, die damals gefangen in die Stadt geführt worden war und den Untergang Galihls herbeigeführt hatte. Gerüchten zufolge hatte der Großfürst mögliche Angriffe auf sie verhindern wollen, andere wiederum behaupteten, er habe sie im Palast zurückgelassen, um das Gotteshaus nicht mit ihrer Anwesenheit zu entweihen.

      Die Sonne war noch nicht aufgegangen, als sie den vierten Stadtring passierten, wo der Tempel sich erhob, und Kirin war plötzlich von einer fiebrigen Erwartung erfüllt; etwas würde geschehen, da waren er und die anderen sich einig. Die große Frage war: Was?

      Bevor die Prozession ihr Ziel erreichte, machte ihre Route einen kleinen Schlenker von der Hauptstraße weg, scheinbar, um den Zuschauern länger Gelegenheit zu geben, das farbenfrohe Gepränge zu bestaunen. Allerdings wurde die Straße jetzt enger, und so hatten die Menschen keine Möglichkeit, dem Zug zu folgen. Es wurde still um die Festwagen, und Kirin war, als hielte die Stadt mit ihm zusammen den Atem an. Er hob unauffällig den Blick und musterte die überhängenden Dächer ringsum.

      ›Nun macht schon‹, dachte er nervös, ›zeigt euch! Diese Stelle ist ideal für einen Hinterhalt!‹

      Es geschah jedoch nichts, und die Gruppe kehrte nur wenig später auf die Hauptstraße zurück. Ein kleiner Platz lag vor ihnen, an den der neugebaute Tempel grenzte, und auch diesen hatte Kirin weiträumig absperren lassen. Während er hinter den quietschenden Wagen auf die freie Fläche hinausritt, versuchte er die Entfernung zu den von Soldaten zurückgehaltenen Zuschauern abzuschätzen. Zwanzig, dreißig Schritte?

      ›Viel zu weit‹, überlegte er finster. ›Zu viel Platz, zu wenig Deckung, um von hier aus anzugreifen.‹ Frustriert tauschte er einen Blick mit