Die Chroniken der drei Kriege. S. A. Lee

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Название Die Chroniken der drei Kriege
Автор произведения S. A. Lee
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Год выпуска 0
isbn 9783967525557



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Worte des Priesters zu erörtern. Mehr als auf alle anderen hatte darauf gehofft, dass Megan irgendwo davon gelesen und ihm erklären könnte, was hinter dieser rätselhaften Geschichte steckte. Umso mehr raubte ihm ihre Ratlosigkeit alle Hoffnung.

      Rhùk zuckte die Achseln. »Andauernd hat er davon geredet, dass der Eine Gott zurückkehren wird – und von zwei auserwählten Kindern, von denen eines die kleine Novizin ist.«

      »Soweit ich das verstanden habe, scheint sich alles um diese Prophezeiung zu drehen«, sagte Kirin langsam, die Augen geschlossen, um sich besser zu konzentrieren. »Irgendeine Prophezeiung, die darauf hinausläuft, dass in einer bestimmten Nacht und mithilfe von Elouané und diesem Priester der Schatten zurückkehren soll.«

      »Das klingt völlig verrückt«, meinte Monzù herablassend, doch ansonsten sagte keiner etwas.

      »Die alten Schriften sind voll von Prophezeiungen und Weissagungen. Bei den meisten weiß man nicht mehr, wer sie gemacht hat, und viele haben sich nie erfüllt.« Megan stützte das Kinn in die Hände.

      »Was heißt überhaupt ‹zurückkehren’?«, warf Rhùk leicht genervt ein. »Wie kann ein Gott oder was immer es sein mag zurückkehren? Ich dachte, die Götter wohnen irgendwo tief unten in der Erde oder in den Wolken?«

      »Es heißt, dass während des ersten Zyklus Kreaturen und Dämonen in dieser Welt umgingen«, antwortete Megan, »Wesen, die wir heute nur noch als Märchen kennen. Unter anderem sollen in frühesten Zeiten auch die Götter auf der Erde gehaust haben, in menschlicher oder tierischer Gestalt und stofflich. Mit der Zeit aber verloren die Menschen zusehends ihren Glauben an sie, woraufhin sich die Macht der Götter verringerte und sie sich irgendwann aus der Welt der Sterblichen zurückziehen mussten. Auch darüber existieren unzählige Geschichten. Aber darin war, soweit ich mich erinnere, nie von einer Rìzhar-Nacht und einem Gefäß die Rede.«

      In dieser und ähnlicher Weise setzten sich die Diskussionen fort, bis draußen schon wieder der Morgen graute.

      Dann zogen Monzù und Larniax sich zurück, und auch Rhùk entschuldigte sich, tiefe Ringen unter den Augen.

      »Dieses ganze Gerede ist nichts für mich«, klagte er und drückte im Vorbeigehen einen schmatzenden Kuss auf Megans Wange.

      Die Heilerin für ihren Teil blieb sitzen, rieb sich die Augen und gähnte unverhohlen.

      »Du solltest dich auch ausruhen«, sagte Kirin müde; er fühlte sich hundert Jahre alt und zentnerschwer, und an ihm nagte die Sorge um Elouané. Wenn dieser alte Priester nicht bereit war, zu reden … wenn sie ihn auch mit Prügel und Folter nicht zum Reden bringen würden … was wäre dann?

      »Selbst wenn ich wollte, es geht nicht!«, entgegnete Megan und schlug gereizt mit den Fäusten auf den Tisch. »Ich kann nicht glauben, dass ich noch nie etwas von einer Prophezeiung um eine Rìzhar-Nacht gehört habe!« Sie warf Kirin einen Seitenblick zu. »Aber du solltest etwas schlafen – du siehst aus wie eine Leiche.«

      Kirin schüttelte den Kopf. »Bloß nicht. Ich weiß genau, dass ich wieder Albträume haben werde.«

      »Wieder?« Megan runzelte die Stirn.

      Kirin zögerte erst, dann jedoch erzählte er ihr von den Träumen mit der Krähe und dem Blut, dem toten Falken und der Schneeeule. »Ich habe schon angefangen zu glauben, dass ich den Verstand verliere«, erklärte er ihr. »Dann habe ich die Krähe gesehen und die Eule draußen in der Stadt, die mich zu den Schattenjüngern geführt hat. Ich weiß, dass es verrückt klingt, aber ich glaube, dass diese Träume in Zusammenhang stehen mit dem, was sie planen. Es ist, als hätte mich jemand die ganze Zeit mit der Nase drauf stoßen wollen.«

      Megan betrachtete ihn über ihre aneinandergelegten Finger hinweg. »Also du hast von Blut geträumt und Vögeln«, sagte sie. »Sonst noch etwas?«

      Kirin dachte nach. »Einmal hatte ich … ich weiß nicht, was es war, eine Art Vision … ich meine, ich war hellwach, und auf einmal war der ganze Gang, in dem ich stand, voller Blut. Und dann hatte ich Träume von einem blutroten Meer … und die Krähe war dort. Und ein Turm, ein schwarzer Turm, der aus dem Meer aufgetaucht ist, mitten aus einem Strudel.«

      »Ein schwarzer Turm?« Megan starrte ihn an, als wäre er ganz plötzlich aus dem Boden gewachsen. Ganze vier Herzschläge lang saß sie völlig unbeweglich da, dann sprang sie auf, so heftig, dass ihr Stuhl umkippte. Wie von Sinnen schlug sie sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. »Oh, ich bin ja so dumm!«, rief sie, »so idiotisch! Ich kann nicht glauben, dass ich so lange gebraucht habe! Ich habe … ich muss …« Wie ein aufgescheuchtes Tier rannte sie hin und her, die Hände in den Haaren. »Elouané hat mir von ähnlichen Träumen erzählt! Ich habe die Verbindung nicht gesehen … nur … ich kann mich nicht mehr erinnern …«

      »Wovon redest du eigentlich?«, fragte Kirin und stand auf, versucht, sie festzuhalten. Mit erzwungener Ruhe blieb Megan stehen, aber ihre Hände flogen in heller Aufregung durch die Luft.

      »Ich habe vor Jahren etwas in der Richtung gelesen … aber ich habe die Details vergessen … ich wünschte nur, ich wäre in der Großen Bibliothek, dann könnte ich nachlesen!«

      »Es gibt eine Bibliothek hier«, sagte Kirin, »aber ich habe sie noch nie wirklich benutzt. Ich kann jemanden mit dir schicken, der sie dir zeigt.«

      Megans Augen glühten bei diesen Worten auf, und ohne Umschweife rannte sie zur Tür. »Sehr gut. Ich hoffe nur, dass ihr habt, was ich suche.«

      »Das hoffe ich auch«, sagte Kirin leise, als die Tür hinter ihr ins Schloss fiel.

      Stilicho träumte.

      Es war eine Kunst, die nur wenige Jünger des Dunklen jemals erlernten, da es innerhalb des Ordens so viel einfacher war, mithilfe von Spiegel miteinander zu kommunizieren. Stilicho jedoch hatte die unscheinbaren Zweige der Magie niemals unterschätzt, und so ließ er sich auch jetzt, umgeben von den ungläubigen Westsoldaten mit ihren Schwertern und ihrem geschliffenen Metall, tief in die Abgründe seines Geistes sinken und entfernte sich von seinem sterblichen Leib. Er überließ seine Essenz den Strömen des magischen Flusses und begab sich auf die Suche, auf die Suche nach einem Geschöpf, das wie er die Künste der Seelenwanderung beherrschte und mit dem er in Kontakt treten konnte. Er spürte, wie er dahinflog und andere Wesen streifte, Magier, Mitbrüder seines Ordens, die ihm jedoch keine Hilfe waren. Tatsächlich gab es nur einen einzigen Menschen, der ihm in seiner jetzigen Lage helfen konnte; Skaidridt, der Oberste seines Ordens, würde seine Not spüren und dafür sorgen, dass die nichtswürdigen Hunde, die ihn festhielten, ihr blaues Wunder erlebten.

      Es dauerte lange, bis er die Präsenz seines Obersten spürte. Als es soweit war, schlang er sein ganzes Sein um die Essenz des Ordensführers, klammerte sich an ihn und schilderte ihm, was geschehen war.

      Lange, lange Zeit herrschte Stille.

      Stilicho wusste, dass Skaidridt ihn gespürt und verstanden hatte, und daher beunruhigte ihn dieses Schweigen. Es wurde zunehmend anstrengend, die Verbindung aufrecht zu erhalten, und außerdem wurde sein Körper schwächer, je länger seine Seele ihm fernblieb. Wenn Skaidridt nicht bald antwortete, würde er die Verbindung abbrechen müssen. Kaum hatte er das gedacht, als er mit einer solchen Gewalt in seinen Körper zurückgedrängt wurde, dass ihm für einen Augenblick die Luft wegblieb; mit weit aufgerissenem Mund wachte er auf, auf dem Rücken liegend, Arme und Beine von sich gestreckt, aber nichtsdestotrotz noch immer unter Bewachung der Arachinen, die sich hinter ihren stählernen Schilden alarmierte Blicke zuwarfen. Er versuchte sich auf die Seite zu drehen, doch irgendetwas hielt ihn am Boden fest; verwirrt registrierte er, dass er nicht vollständig zu sich selbst zurückgekehrt war, sondern dass ein Teil seines Geistes noch immer in jener höheren Ebene festhing, die nur so wenige jemals betreten durften.

      Wie durch einen inneren Zwang drehte er den Kopf und sah sein eigenes, aschgraues Gesicht in einem der Metallschilde gespiegelt. Doch war es wirklich sein Gesicht? Während er hinsah, schienen sich die Züge zu verändern und zu verzerren, bis er sich jemandem gegenübersah, der zwar ebenfalls eine schwarze Kapuze trug, sich ansonsten jedoch gänzlich von ihm unterschied.