Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt. Monika Arlt

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Название Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt
Автор произведения Monika Arlt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844258653



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repräsentiert er aber lediglich ihr Eigentum. Die Vehemenz der Gefühle verweist auch auf das als symbolisch empfundene „Vermögen“, das jemand um keinen Preis hergeben möchte.

      „Symbolisches Vermögen“ im physischen und psychischen Sinne sind Kulturschätze — Bilder, Orte, Bauwerke und Landschaften auf der Schwelle zwischen dem Bewussten und dem Unbewussten ihrer Betrachter. Zwischen den Personen und den Objekten existieren Beziehungen und in diesem „Beziehungsraum“ existiert „das Symbolische“. Eine Sicht, die den Blick auf die Dimension des Symbolischen freigibt, lässt die Welt der Bedeutungen, des Irrealen, der Kunst und der Mythen in allem, was erklärt und was nicht erklärt werden kann, in Erscheinung treten. In einem Interview zur Kunst zwischen dem Künstler Anselm Kiefer und dem Verlagsmanager Mathias Döpfner (DER SPIEGEL, 2011) äußert sich Döpfner wie folgt: Die Rationalität des Gesellschaftslebens wird oft überschätzt. Für jedes Business, egal ob Autos, Kosmetik oder Zeitungen, gilt: Erfolg entsteht aus Gefühlen, nicht aus dem Taschenrechner. Gefühle und Intuitionen der Hersteller und der Kunden, der Absender und der Empfänger. Zahlen machen das Erreichte sichtbar. Zahlen allein schaffen gar nichts.

      Mit den Gefühlen verbinden sich Bedeutungserfahrungen. Je nach Herkunft, kulturellem Hintergrund und Bewusstheitszustand von Menschen werden Symbole unterschiedlich gedeutet und auch in unterschiedlicher Tiefe erfahren. Die Bedeutungserfahrungen des Symbolischen sind immer zunächst individuell. Jemand findet sich in einem anderen oder in etwas anderem wieder und fühlt sich von diesem berührt oder „erkannt“ und in seiner Existenz bestätigt. Manche Symbole — sei es ein Gegenstand in der Wohnung, der für den Bewohner bewusst oder unbewusst symbolische Qualität hat, sei es ein Objekt in der Stadt, zu dem sich jemand hingezogen fühlt — erweisen sich als besser, als intensiver, eindrücklicher oder nachhaltiger als andere. Und so ist es naheliegend, dass Künstler, Gestalter, Planer, Architekten, aber auch jeder einzelne Mensch für sich selbst die symbolische Qualität der Objekte bewertet, mit denen er sich umgibt, die jemand herstellt und die einem guttun. Nicht jeder Gegenstand, nicht jede Fassade, jeder Platz, jede Straßenkreuzung, nicht jedes Stadtmöbel hat einen besondern Bezug für die Bewohner. Es sind jeweils bestimmte Objekte, die Assoziationen hervorrufen, und die sich als bedeutungsvoll für Wendungen in der Lebensgeschichte der Bewohner oder im Kontext des Lebens in der Stadt gezeigt haben. Es werden Gefühle ausgelöst und die Möglichkeiten für emotionale Anteilnahme, Identifikation und Identität geschaffen. Veränderungen in, Gestaltungen und Umgestaltung von Räumen können damit auch Veränderungen im Erleben und Verhalten der Menschen in der Stadt zur Folge haben.

      Auslöser für Wunderbares und Identitätsstiftendes kann alles Mögliche sein: Dinge, Musik, Situationen, das Verhalten von Menschen, Ereignisse, Gebäude, Räume, Straßen, Plätze, Gestalten ... Nicht alles, aber alles, was sich für einzelne Menschen, Gruppen oder Mengen als Symbol eignet, ist Botschafter solcher Identitätsstiftung und kann das individuelle oder sogar das kollektive Bewusstsein von Menschen erschüttern.

      Bei manchen Pop-Stars wie Madonna, dem verstorbenen Michael Jackson oder Steven Patrick Morrisey ist eine solche konsens- und identitätsstiftende Wirkung in all ihrer Widersprüchlichkeit auch für jemanden, der kein Fan ist, erfahrbar. Mit ihrer Musik finden Stars „die richtigen Worte“, und wer die „richtigen Worte“ oder den „richtigen Ausdruck“ findet, wird für seine Fans zum Symbol. Die kulturellen Symbole einer Gruppe der Gesellschaft erzeugen Gemeinsamkeiten bezüglich dem, was dieser Gruppe am Herzen liegt.

      Die Bildsprache der Symbole übermittelt emotionale, mentale und soziale Bedeutungen, von denen Menschen über den sachlichen Gegenstand hinaus ergriffen und fasziniert werden. Durch sie dringt etwas Unendliches in das endliche Leben ein. Das entsprechende Vertrauen hat einen irrationalen Kern. Vertrauen ist nicht Gewissheit, aber die Gestalten, wenn sie als „hilfreiche Monster“ erscheinen, können ein entspanntes Verhältnis zu den Unsicherheiten des Lebens aufkommen lassen. So können Symbole bei der Bewältigung existenzieller Lebenssituationen helfen, wenn sie mit Potenzialen der Psyche korrespondieren und wenn sich die mentalen Modelle im Innen und die physischen Strukturen im Außen in Einklang bringen lassen.

      Selbstsymbole können hilfreiche und identitätsstiftende Symbole für das einmalige Individuum sein, das jeder Mensch ist. Symbole in der Stadt können als Ausdruck für „das Richtige“, für Nachhaltigkeit, für Zukunftsfähigkeit, für die Hingabe an das Leben, für Dauer und Beständigkeit, für Mut, für Lebensfreude, für Vergänglichkeit und Verwandlung stehen.

      Ein Symbol für deutsch-türkische Freundschaft sollte seinerzeit der Pamukkale-Brunnen im Görlitzer Park in Berlin werden. Er wurde aufgrund baukonstruktiver Mängel abgerissen, ohne dass er jemals recht in Betrieb gegangen war. In einer Stadt können Symbole wie dieser Brunnen die Bindung und Verbindung der Bevölkerung bewirken. Sie reduzieren den Angstlevel durch Dinge, die von den Bewohnern geliebt werden. Für wen solche Symbole einen positiven Bezug und Bedeutung haben, für den sind sie auch identitätsstiftend. Je mehr Menschen etwas mit der Botschaft eines Symbols anfangen können, desto mehr Anziehungskraft entwickelt das Symbol. Der Abriss des Brunnens ist nunmehr ein Symbol für das Gegenteil, für eine Ablehnung, für die Äußerung des „Nichtgewolltseins“, auch wenn der Grund des Abrisses ein technischer und kein ideologischer gewesen ist.

      Symbole als Gefühlspartner und Identitätsstifter zu entdecken, heißt für die Verantwortlichen, ein Symbolverständnis zu entwickeln, das Verantwortung für die Symbole als kulturprägende Reflexions- und Projektionsfläche im öffentlichen Raum übernimmt. In den Orten und bei Objekten, die sich als Projektionsflächen eignen, indem sie die Gemeinsamkeiten zwischen Menschen hervorrufen und wo Menschen sich selbst wiederfinden, lebt die Stadt. Daraus bezieht sie ihre Identität. Vor diesem Hintergrund dürfte der Abriss von Gebäuden, in denen legendäre Veranstaltungen stattgefunden haben, nicht vorrangig mit der Begründung erfolgen, dass diese Gebäude nicht mehr zeitgemäß seien. Das gilt zum Beispiel für den Abriss des Sportpalastes in Berlin, in dem Goebbels seine Rede hielt, die mit dem Aufruf zum „totalen Krieg“ und einer Hysterie der Teilnehmer endete, eine Emotionalität, die heute ohne dieses Raumgefühl kaum mehr glaubhaft erscheint. Das gilt auch für das langsame Verschwinden des Palastes der Republik und für das schnelle Verschwinden der Mauer, die Berlin geteilt hat. Das Entsetzen für solche Geschehnisse hat keinen Ort mehr.

      Zur Begrifflichkeit der Symbole

      Symbole sind bedeutungsvolle Zeichen — Zeichen, die über einen Bedeutungsüberschuss verfügen. Sie repräsentieren eine Ganzheit von etwas Auseinandergerissenem, so wie es der griechische Ursprung des Begriffs „symballein — zusammenfügen“ zum Ausdruck bringt.

      Der Bedeutungshorizont des Begriffs ist vielgestaltiger, reichhaltiger und umfassender, als es der allgemeine Sprachgebrauch annimmt. Ein Verkehrszeichen vermittelt seine Bedeutung konkret und eindimensional, selten lösen Verkehrszeichen Emotionen aus, höchstens, wenn jemand ein solches Zeichen als „ungerecht“ empfindet. Da gibt es aber keinen reichhaltigen Bedeutungsüberschuss und es darf ihn im Sinne eines fließenden Verkehrs auch nicht geben.

      Sofern die Umwelt als Zeichensystem gelesen wird, geben die Dinge der Umwelt als Zeichen Aufschluss über die semantische, syntaktische und pragmatische Weise, in der sie funktionieren. Unter dem syntaktischen Aspekt zeigen sie sich in der Weise, wie sie zueinanderpassen, unter dem pragmatischen zeigen sie ihre Handhabung und unter dem Blickwinkel ihrer Bedeutung — semantisch/symbolisch — geht es um eben dieses „Mehr“ und „Darüber hinaus“.

      Symbole sind Mittler und Vermittler von mehrschichtigen bis hin zu widersprüchlichen Bedeutungen. Sie sind „Versprechen“ auf etwas anderes. Sie sind Dolmetscher, aber ohne das, was sie vermitteln, zu erklären. Sie sind vergleichbar mit Brücken in eigene innere psychische Räume. Im psychoanalytischen und -therapeutischen Gebrauch sind sie allgegenwärtig.

      5.000 Symbole erläutert Sven Frotscher, und er konstatiert ein enormes Interesse an diesem Begriff in den verschiedenen Fachdisziplinen. Er stellt eine Übersicht von Definitionen bzw. Klassifikationen zusammen, die belegen, wie sehr sich dieser vieldeutige Begriff in den Fachdisziplinen unterscheidet