Название | Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt |
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Автор произведения | Monika Arlt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844258653 |
Die verbindende, symbolische Dimension ist eine Basis, auf der Veränderungen in Gang gesetzt werden können. Sie kann so lange nicht genutzt werden, solange dieser Dimension keine Bedeutung beigemessen wird. Das Juma-Projekt (jung, muslimisch, aktiv) in Berlin hat sich dieser Problematik angenommen und sie in Moscheen und Kulturvereine gebracht. Getragen von der Weisheit des Islams als einer symbolischen Weisheit, in der es unter anderem auch um den Fortbestand und um Sauberkeit in der Welt geht, erscheinen ein Umdenken und die Änderung des achtlosen Verhaltens langfristig möglich. Durch das Juma-Projekt wird ein neues, ein anderes Herangehen an ein Problem möglich, indem nach dem „Mehr“ gefragt wird, und indem zum Ausdruck gebracht wird, wofür ein Objekt steht und was es mit dem eigenen Leben und dem Leben auf der Erde zu tun hat,
Die meisten Bewohner der Stadt sind durchaus in der Lage sich selbst zu „autorisieren“ und ihr eigenes Leben und die Dinge, mit denen sie sich umgeben, in Besitz zu nehmen. Manche tun das extensiv, sehr zum Ärger der Behörden. Mancherorts wächst dort aber auch die Einsicht, den Bewohnern Mitverantwortung und Teilhabe zuzugestehen. Es macht Sinn, sich im selbstbestimmten Leben und Wohnen das Recht zu nehmen, die eigene Lebensgeschichte, „den eigenen Mythos“ aufzuspüren und sich im Kontext der eigenen Natur, des eigenen Körpers zu erfahren, sich manches zuzutrauen und manches auch „zu verdauen“. Die Deutungsmacht lässt sich erweitern, alles kann für jemanden, für Gruppen oder Mengen von Menschen Bedeutung erlangen. Dazu muss nicht Nabelschau betrieben werden, das kann mithilfe von Fantasie, Kreativität, Intuition und Innovation geschehen — und das betrifft nicht nur die eigene Wohnung, sondern auch die Straße, das Quartier, den Park und die ganze Stadt. Dazu ist die Information über Sachverhalte erforderlich, die Erstaunen und manchmal auch Entzücken oder Abscheu beim Erleben von Gegenständen, Objekten und Orten hervorrufen, wenn Kunst und Kreativität im Spiel sind. Ein „Kiezaktivist“ in Moabit nimmt für sich in Anspruch, der Kiez sei sein Zuhause, sein Wohnzimmer, das wolle er schönmachen. Aber nicht zu schön. Wie in einer WG, in der alle ihre Zimmer haben und man trifft sich regelmäßig in der Küche.
Was spricht dagegen, eine Wohnung, eine Straße, ein Quartier, eine Stadt, selbst einen vermüllten Park als Bild zu betrachten und mit den inneren Bildern und Symbolen in Beziehung zu setzen? Was spricht dagegen, im Falle von Störungen des Zusammenlebens, gemeinsam einen Verhaltenskodex zu entwickeln und Verpflichtungen einzugehen, die einen symbolischen Ausdruck finden.
Die Bilder und die Geschichten sind im Erleben der Bewohner aber ganz unterschiedlich. Gutes Leben und Wohnen in der Stadt ist nicht etwas, worauf man sich allgemein verständigen kann. Dafür gibt es zu viele unterschiedliche Bilder, Vorstellungen und Sichtweisen. Jeder Einzelne, jede Gruppe in der Gesellschaft entwickelt da eigene Qualitäten, einen eigenen zeitgefassten Raumwillen, wie der Architekt Mies van der Rohe das genannt hat. Im Spiegel des jeweils eigenen Erlebens der umgebenden Bilderwelt können sich einzelne Menschen oder Gruppen aber des Mythos eines Ortes bewusst werden. Wenn es gelingt sich selbst dort wiederzufinden, sich angenommen zu fühlen, ist im Einklang mit dem Ort symbolisches Erleben, sind symbolische Einsichten erfahrbar. Das ergibt Vielfalt, Unterscheidung und Besonderheit, das ergibt Möglichkeiten für ein breites Spektrum an Formen, Szenerien und „Bühnen“, auf denen sich die Bewohner erkennen und erfahren können.
Eine Flanierstraße der anderen Art, ein „Catwalk“ in Berlin, die Kastanienallee, auch „Casting-Allee“ genannt, ist ein Beispiel für eine solche Bühne in der Stadt. Wie die Stadt allerdings mit den Änderungswünschen der Bürger im Zusammenhang mit dem Umbau der Allee umging, ist auch ein Beispiel für den Umgang der Behörden mit den Symbolen der Stadt. Die 82 Einwände wurden wohl lediglich nur geprüft. Die Interessen der Anwohner und der anderweitig Betroffenen dürften bei der Verwaltung auf wenig Wohlwollen gestoßen sein.
Es würde der gebauten Umwelt guttun, wenn Architekten, Planer, Baufachleute und die Verantwortlichen in den Ämtern ihre Entscheidungen unter ausreichender Beteiligung der Betroffenen und in der Rolle als (Mit)Verantwortliche für die Identifikation und die Gesundheit der Bewohner und Benutzer heraus treffen würden. Solche Entscheidungen müssten die symbolische Dimension einbeziehen. Es könnten Symbole des Lebens, der Nachhaltigkeit und der Hoffnung installiert werden, anstelle von Symbolen der Angst, der Gleichgültigkeit und der Demütigung, wie sie in manchen heruntergekommenen Gebäuden, Wohnanlagen oder Quartieren in der Stadt offensichtlich zum Ausdruck kommen. Stadtplanung, die sich mehr am Reißbrett und an der Stadtmöblierung orientiert, als an den Bedürfnissen der Bewohner, kann der demokratischen Gesellschaft nicht genügend Ausdruckskraft verleihen. Dazu bedarf es einer Baukunst, die mit Symbolen arbeitet — früher mit viel Pathos, heute auf mehr partizipatorische Weise.
Die Frage danach, wie psychische Bedürfnisse durch die Gestalten und Formen von Stadtgestalt und Wohnumwelt befriedigt werden könnten, wird eher selten gestellt. Investorenarchitekturen haben in der Regel in erster Linie gute Renditen als Ziel. Da spielt die Architektur nur eine Rolle im Hinblick auf gute Verkauf- oder Vermietbarkeit. Es gibt aber auch Architekten, die eine funktionsfähige und zweckmäßige Gestaltung im Sinn haben, und die doch auch Protagonisten für eine Architektur sind, bei der das einzelne Gebäude Teil der „gesamten Musik“ einer Stadt ist, die den Menschen guttut.
Der Architekt Richard Neutra sah zum Beispiel in der Kunst des Architekten eine Parallele zur Kunst des Arztes. Er war der Ansicht, dass ein Architekt, der sich anschickt, das Rezept für die Milieubehandlung einer Familie zu schreiben oder eine Diät für das kombinierte Nervensystem einer Gruppe von menschlichen Wesen, wohl intuitiv, aber auch mit der vorsichtigen Sympathie des Arztes, jeden seiner Fälle ins Auge fassen müsse. Neutra sah die Bewohner als „Klienten“, deren „organische Harmonie“, Gesundheit und Entfaltungsmöglichkeiten in dem umgebenden Raum von Wohnung und Haus Bestand haben sollten (vgl. Neutra 1957). Diese Einstellung hat sicher auch heute noch ihre Berechtigung.
Einmischung der Kunst, vielfältiges Nebeneinander, gute Mischungen, Architekturvorstellungen wie sie in Baugruppenprojekten mit ökologischem Anspruch zum Ausdruck kommen, aber auch das Leben in Gemeinschaftsprojekten, wie es sich in manchen ehemals besetzten Häusern abspielt, zeigen eine solche Richtung auf. Die Gebäude setzen Zeichen, die den kulturellen Geist oder auch den Widerstand ihrer Bewohner nach außen tragen. Die Gebäude lassen sich in ihrem gestalterischen Ausdruck und in ihrer Verbundenheit mit dem Ort als Selbstsymbole deuten. Die Dimension des Symbolischen „spielt ihre Rolle“ an der Schnittstelle zwischen individuellem gutem Leben und Wohnen in der Stadt und dem „Gut Wohnen“ als Wirtschaftsgut, Kultur- und Sozialgut. Um diese Schnittstelle geht es, um einen gedachten Ort, der abgrenzt und verbindet. Ohne Bewohner, ohne Bewohnerzufriedenheit gibt es kein gutes Wohnen, ohne guten Wohnungsbau als ein wertvolles und Wert-gebendes „Gut“ gibt es keine zufriedenen Bewohner.
Die Arbeit mit Bildern und Symbolen als diagnostischem Element in der Kunsttherapie dient als Vorbild für die Entdeckung der symbolischen Dimension des Wohnens in der Stadt. Störungen und Konflikte sind Bestandteile von Entwicklungsprozessen. An ihnen lassen sich Unpassendes, Unsicherheiten, Abhängigkeiten und Verwirrungen am besten deutlich machen. Vielfach liegen die Konfliktpotenziale genau da, wo die Menschen nicht im Bilde sind, wo über sie und nicht mit ihnen entschieden wird. Die vielleicht interessanteste Frage, die sich stellt, ist diejenige, ob und inwieweit die betroffenen und beteiligten Menschen „im Bilde“ sind und wie sie die symbolische Qualität der Bilder nutzen können.
Zielgruppe dieser Publikation sind deshalb nicht nur Fachleute, Architekten und Planer, Wohnungsunternehmen die Wohnraum zur Verfügung stellen und die Immobilienwirtschaft. Zur Zielgruppe gehören auch interessierte Laien. Für alle gilt, dass es sich lohnt die Geschichten, die Bilder, Mythen und Symbole, die persönlichen und die der näheren und weiteren Wohnumgebung zu erkunden, in der Absicht, das Genießbare zu genießen, Genießbares zu schaffen und das Ungenießbare zu entdecken und wenn möglich zu verdauen. Dabei geht es um das „symbolische Mehr“ das nötig ist, um sich mit der eigenen Wohnung und der Stadt, in der man wohnt, identifizieren zu können. Unverwechselbare und unvergleichliche Gegenstände, Orte und Objekte