Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt. Monika Arlt

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Название Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt
Автор произведения Monika Arlt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844258653



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sich aber für den Diskurs, für Teilhabe und für die Gestaltung nutzen, indem ihre Implikationen zur Sprache gebracht werden. Symbole sind zeitlose Gestalten und Formen, die Menschen über deren Subjektivität hinweg in einem kollektiven Bewusstsein und mit der von allen wahrnehmbaren Außenwelt verbinden.

      Was verstanden, was integriert ist, kann offengelegt werden. Das schafft neue Räume, die den Geist des Ortes berücksichtigen.

      Anders als bei der herkömmlichen Bürgerbeteiligung kann unter Einbeziehung der symbolischen Dimension, wie in einem Mediationsprozess, die Gefühlslage „vor Ort“ wahrgenommen, verstanden und im symbolischen Kontext erörtert werden.

      Symbolische Einsicht lässt sich auf diese Weise auch als Training für die Aufdeckung auch der „dunklen Seiten der Macht“ verstehen. Die monströsen Monumente des 19. Jahrhunderts in Deutschland haben zum Beispiel in ihrer Symbolik viel zum vaterländischen Empfinden und damit zur nationalen Identität beigetragen. Eine Symbolfigur Deutschlands als Reichsgründer, Feldherr, Verräter und Nationalheld war und ist für viele, insbesondere für die Besucher der Ausstellungen zum Varusjahr 2009, der Cheruskerfürst Arminius. Das historische Ereignis, die Varusschlacht, aus der er als Sieger hervorging, wurde zum Mythos. Dieser Mythos wurde lange Zeit dazu genutzt, die Deutschen von anderen Völkern abzugrenzen und ihre eigene Identität als Nachfahren der Germanen und „als Sieger“ zu begründen.

      Für Länder haben Symbole eine große Bedeutung. Griechenland ist ohne die Akropolis nicht vorstellbar und die klassischen Bauwerke geben dem Land seine nationale Identität.

      Eine Nation braucht Erinnerung — auch an ihre Erfolge, so heißt es in der Urkunde der Deutschen Nationalstiftung zum Nationalpreis 2008, der den Initiatoren für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal im Juni 2008 in der Französischen Friedrichskirche in Berlin übergeben wurde. Mit ihrem langfristigen Engagement haben sie es möglich gemacht, dass Deutschland ein Denkmal für etwas „Erfreuliches“, die erste erfolgreiche friedliche Revolution auf deutschem Boden, erhält. Ein solches Denkmal wäre u. a. auch ein Symbol für den Mut, den Bürger der DDR bewiesen hatten. Jürgen Engert, der Preisträger, sagte in seiner Dankesrede sinngemäß: Wenn Menschen keine Angst mehr haben, ist jede Diktatur am Ende. Ein Denkmal, das solche Vorstellungen von Mut, Wahrheit, Selbstachtung und Veränderung abbildet und transportiert, stellt eine Verbindung zwischen den Menschen her, die diesen Mut gehabt haben, und denen, die davon profitieren. In der Realität der Auseinandersetzungen zum Wettbewerb für ein solches Denkmal sind diese Gedanken zunächst allerdings auf der Strecke geblieben.

      Der Architekt Peter Zumthor hat mit einer kleinen Feldkapelle am Pilgerweg nach Trier ein großes Symbol für die Verbindung von Himmel und Erde geschaffen. Zumthor ist ein Architekt, der sich im Dienst moderner Architektur auf die Suche nach Substanz und Wahrheit gemacht hat. Im Finden von Gestalten schafft er Gebäude mit Symbolfunktion. Sein Entwurf für die Topografie des Terrors in Berlin hatte den Anspruch, das Unaussprechliche, das Trauma der nationalsozialistischen Herrschaft ans Licht zu bringen. Er ist damit an den Widerständen in der Stadt gescheitert. Die Stadt hat in einer Art „Minimalkonsens“ einen rechteckigen „Kasten“ an diesen Ort gesetzt, und sie hat damit nicht gewonnen. Das nüchterne Bauwerk besitzt keine eigene Ausstrahlung im Hinblick auf die Wahrheit, wie sie an diesem Ort in Erinnerung an das damalige dortige Geschehen erforderlich gewesen wäre. Die Nüchternheit des bestehenden Gebäudes ist Symbol für die Distanz, die dem Besucher eingeräumt wird.

      So gibt es etwas wie einen guten „symbolischen Gebrauch der Stadt“ durch das Gewahrsein ihrer symbolischen Dimension und der Implikationen dieser symbolischen Qualität. Wer sich mit seiner eigenen Lebensgeschichte in der Stadt verankern kann, z. B. über die Identifikation mit Personen, Ereignissen und Gestaltungen aus Vergangenheit und Gegenwart der Stadt, verfügt über einen solchen Gebrauch. Die Stadt Eisleben zum Beispiel hat mit der kulturellen und baulichen Bezugnahme auf ihren großen Sohn Martin Luther der Stadt einen Bedeutungsüberschuss zukommen lassen, der einen Gewinn für die Stadt insgesamt darstellt.

      Wo in Herkunftsgeschichten und in Religionen die eine Wahrheit als höher und moralisch höherwertig eingeschätzt wird als die der anderen, und die eigene Wahrheit als die einzig richtige erachtet wird, existiert aber nur ein verkürztes Symbolverständnis und eine deutlich eingeschränkte symbolische Einsicht. Verliebtheit in einen Ort, in eine Stadt oder in einen Gegenstand muss nicht heißen, dass man dem Liebesobjekt, seiner Schönheit und der Magie „heillos“ verfällt.

      Ein aufgeklärter und spielerischer Umgang mit Symbolen, Mythen und Ritualen richtet sich auf ihre positiven Möglichkeiten. Viele Künstler und Architekten wissen um diese Kräfte. Sie finden „die richtigen Worte“ und den richtigen Ausdruck. Dani Karavan, Anselm Kiefer, Olafur Eliasson sind nur einige Namen von Künstlern, die für viele stehen, denen das gelingt. Architekten wie Herzog & de Meuron, die zu den Olympischen Spielen 2008 das Nationalstadion in Peking entworfen und realisiert haben, sind mit symbolischen Fertigkeiten vertraut und wissen um das Verbindende dieser emotionalen Kräfte und Energien. Gottfried Böhm, der einzige deutsche Pritzkerpreisträger, hat skulpturale Bauten geschaffen, die zu den Ikonen des 20. Jahrhunderts zählen.

      Aber auch mancher einfache Wohnhof kann über eine hohe symbolische Qualität verfügen. Er kann als perfektes Symbol für eine Gemeinschaft gelten, indem er die Gemeinschaftsprinzipien lebendig und bildhaft vor Augen führt: das miteinander Kommunizieren, gemeinsames Essen, Spielen, die Pflege der Pflanzen und Tiere.

      Die lebensreformerischen Siedlungsprojekte des CIAM (Congrès International d´Architecture Moderne) haben seinerzeit im Jahre 1929 in Frankfurt diese Ziele in Abkehr vom Mietskasernenelend der Gründerzeit verkörpert. Mit ihren für Gemeinschaftsaktivitäten symbolhaften und dazu auffordernden Außenräumen haben sie auf die identitätsstiftende Wirkung für die Gemeinschaft hingewirkt. Wohnanlagen mit solchen geschlossenen Wohnhöfen sind auch heute noch in allen großen Städten sehr beliebt. Schon 1913 war die Falkenberg-Siedlung bei Grünau im Berliner Bezirk Treptow-Köpenik von Bruno Taut entstanden. Aufgrund ihrer Farbigkeit hatte sie schnell den Namen Tuschkastensiedlung erhalten. Über das Gemeinschaftserlebnis hinaus hat das Spiel mit den Farben, wenn damals nicht unbedingt Begeisterung, so doch Aufmerksamkeit erzeugt, und dient heute noch als Identifikationsobjekt.

      In einer ganz anderen Kategorie bietet ein städtisches Bauwerk, die Erasmusbrücke in Rotterdam, entworfen von dem Architekten Ben van Berkel, ein Bild, das zu einem Symbol für die Stadt Rotterdam geworden ist. Das Bild des 139 Meter hohen Pylonen, geknickt und in der Mitte gespalten, ist ein Symbol der Unvollkommenheit im Kontext einer vollkommenen Harmonie. Gerade aus diesem Widerspruch heraus ist die Brücke perfekt und ein treffendes Symbol für die Stadt Rotterdam, die im Zweiten Weltkrieg geknickt, fast nahezu zerstört worden ist.

      Die Magie des Eiffelturms in Paris, Symbol für ein damaliges technisches Wunderwerk, die Gedächtniskirche in Berlin als Ruine, als Mahnmal auf dem Kurfürstendamm in Berlin, sind Beispiele für Symbole als Identifikationsobjekte. Eine Stadt muss ihre mythischen Orte und ihre Symbole hüten, bewahren und pflegen. Durch diese Orte, Räume und Gebäude, durch ihre Geschichten und Mythen wird die Stadt zusammengehalten. Das Leben erhält seine Struktur durch die Dinge, die geschehen, und die Geschichten, die darüber erzählt werden — die Mythen, die sich bilden.

      Jedes Leben ist ein Mythos. In der Stadt kommen Mythen, Symbole und Rituale vielfach in gegenständlichen Formen zum Ausdruck, die viele Menschen begeistern. Die Objekte erzählen die Geschichte der Stadt auf einer überindividuellen Ebene, so wie eine Schublade in einem Küchentisch individuelle Geschichten über eine ganze Familie erzählen kann. Die Bilder schaffen Ein-Bildungen. Sie haben Auswirkungen auf die kulturellen Muster und Wertesysteme, auf die Ideen und Ideale der Bewohner und Besucher.

      Eine Stadt braucht viele solcher Orte, die ihre Geschichten erzählen und die auf diese Weise Verbindungen bewirken. Die Bürger der Stadt und auch viele Besucher fühlen sich durch sie verbunden, auch wenn sich nicht alle gleichermaßen mit den einzelnen Objekten identifizieren können. Die Symbole der Stadt, aber auch die der eigenen Wohnumwelt, sind wie die Knotenpunkte in einem Netzwerk der Alltagskultur, die eine Funktion als „Muster“ in diesem Gewebe haben, die das