Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt. Monika Arlt

Читать онлайн.
Название Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt
Автор произведения Monika Arlt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844258653



Скачать книгу

mit ihren Denkmälern und Kunstwerken das wertvolle Volksvermögen, das Erbe vergangener Jahrhunderte, über die Kriege hinweg bewahren konnten. Das gilt aber auch für zeitgenössische Bauwerke. Nicht umsonst hat der Architekt Oswald Mathias Ungers das Podest der 1997 eröffneten Hamburger Kunsthalle mit dem Spruch des schottischen Künstlers Hamilton Finlay überhöht: Die Heimat ist nicht das Land, sie ist die Gemeinschaft der Gefühle.

      Anlässlich einer Veranstaltung zum Berichtsjahr 1994 der Internationalen Bauausstellung, IBA Berlin 1987, hat Dieter Claessen die Auffassung vertreten, dass die Stabilisierung einer Gesellschaft evolutionär über ihre Symbole erfolge. Die nicht von Instinkten geleiteten Menschen haben von je her ihr psychisches Gleichgewicht dadurch her-gestellt, dass sie ihre Umwelt ordneten und übergreifend stabilisierten. Teils geschah das durch Schutzbauten und deren „Mobilisierung“, die Abwehrwaffen, teils durch gegenseitige Benennung und Zuordnung, teils indem sie die Um-welt be-deuteten, das heißt, die Naturerscheinungen, sich selbst und die Folgen ihres eigenen und fremden Tuns als „Symbole für etwas“ auffassten. Die gesamte Umwelt, nun ihre Welt, wurde symbolisch besetzt ... Da diese Art der Stabilisierung tief in der Evolution zum Menschen hin verankert war, entwickelten sich an verschiedenen Orten und unter verschiedenen Bedingungen durchaus unterschiedliche Interpretationen der Welt, unterschiedliche Symbolwirklichkeiten, die sich nach außen hin häufig am deutlichsten als religiös darstellten (Claessens, 1984).

      Nach wie vor sind Symbolwirklichkeiten in der Evolution verankert. Sie haben sich in den westlich aufgeklärten Gesellschaften weitgehend von den Religionen gelöst. Allerdings beginnt der Islam heute offensiv mit seinen Gebetshäusern in ganz Europa symbolisches Terrain baulich-symbolisch zu besetzen, und sich damit zu legitimieren.

      Das Bild eines eher „verklemmten“ Umgangs mit einem Symbol zeigt zum Beispiel die neue US-Botschaft am Brandenburger Tor in Berlin, entworfen von dem kalifornischen Büro More Ruble Yudell. Botschaftsgebäude sind immer schon Symbole, indem sie baulich eine Botschaft ihres Landes vermitteln. In der Presse wurde die Botschaft als denkwürdig provinzielle Architektur beschrieben. Sie signalisiert aber in erster Linie ein „Safety first“. In Bezug auf die damalige Regierung der USA verraten die Zeichen stimmig den Hochsicherheitstrakt.

      Wo es strukturelle Analogien gibt, wo innere Muster auf korrespondierende Muster in Form von Bildern, Symbolen, mythischen Orten im Außen treffen, kann sich ein Gefühl der Zugehörigkeit, der Stimmigkeit, der Identität mit dem Ort oder der Situation einstellen. Seelenlandschaften korrespondieren mit äußeren Landschaften. Eine solche äußere Landschaft war seinerzeit der 1995 von Christo und Jeanne-Claude verhüllte Reichstag.

      Ein Gefühl von Stimmigkeit und Zugehörigkeit lag in diesen Tagen der Verhüllung wie eine Hülle über dem gesamten Reichstagsgelände — es war eine kurze Zeit lang zu einem mythischen Ort geworden. Wie bei einem festlichen Ereignis verbreitete sich bei den sich rund um das Bauwerk aufhaltenden Menschen ein Erlebnis von Verbundenheit durch Schönheit im Anblick der silbrigen Verpackung des Gebäudes.

      Symbole als Gefühlspartner und Identitätsstifter

      Und die Welt hebt an zu singen, triffst du nur das Zauberwort.

      (Joseph von Eichendorff)

      

      Symbole sind Zauberworte, sie dienen der Selbstvergewisserung. Symbole haben diese Dimension von etwas Wunderbarem und des Geheimnisvollen, indem sie über den Gegenstand, die Situation, die Person hinaus auf etwas Unbestimmbares, Unendliches hinweisen. Sie spielen eine Rolle im Event, in der Landmark, im Höhenrausch, im Abgrund, im Gefühlskitsch. Sie sind nicht gut oder schlecht, aber sie können gute oder schlechte Wirkungen entfalten.

      Der Tierpfleger Andreas Dörflein, der den Eisbären Knut im Berliner Zoo im Jahre 2007 mit der Flasche aufgezogen hatte, war über seine Popularität nicht immer glücklich. Er äußerte einmal, es sei schon irre, was in den Gesichtern der Zuschauer vor sich gehe, die hätten oft so einen Ausdruck, als sei ihnen der Heiland erschienen. Ganz offensichtlich erschien der Tierpfleger zusammen mit dem Eisbären Knut etlichen Menschen als Heilssymbol, als Symbol einer heilen Welt, als Symbol für das Paradies.

      Der Pekinger Konzeptkünstler Zhao Bandis hatte ein Symbol der Stadt Chengdu beschädigt. Chengdu versteht sich als Panda-City. Pandas sind für die Stadt nicht einfach wilde Tiere, sondern eine Ressource, eine Industrie, eben ein Symbol für die Stadt. Der Künstler hat eine Panda.-Modenschau vorgeführt mit Models, die in schwarz-weißen Dessous und mit Plüschohren aufgetreten sind. Aufgrund der Empörung, die diese Modenschau hervorgerufen hat, wurde in Chengdu ein Gesetz auf den Weg gebracht, das die öffentliche Beleidigung von Pandas künftig unter Strafe stellen sollte.

      Was Symbolkraft hat, geht über ein Objekt in seiner Gegenständlichkeit hinaus und stellt Verbindung her zu einem Ideal, einem Unbestimmbarem und Unendlichen, wie es die Liebe oder die Freiheit, Frieden oder Gerechtigkeit, Treue, Ehre, Tapferkeit oder eben auch das Paradies darstellt. Als „Gefühlspartner“ öffnen die Symbole Resonanzräume für die entsprechenden Gefühle, für dieses „Nichtauslotbare“. Sie lassen Kräfte ins Fließen und Menschen ins Schwärmen kommen, und sie können dem Leben Weite und Richtung geben. Symbole sind im Bewussten wie im Unbewussten an solche Gefühle gebunden. Zustimmung und Ablehnung erfolgen aus diesen Gefühlen heraus. Soziales Verhalten, Zusammenarbeit und gutes Zusammenleben gründen sich auf positive Gefühle. Ein guter Ruf, ein gutes Bild strahlen als symbolische Qualität nach außen, und die Gruppe oder die Gemeinschaft definiert sich in ihrer sozialen und politischen Identität darüber. Heute geschieht das auch oft mithilfe eines Instruments, einer Marke.

      Die Gemeinschaft der Gefühle der Zusammengehörigkeit ist noch bei manchen Stammesgesellschaften ausgeprägt, deren Ordnung von Symbolen geprägt ist, die auf eine unsichtbare, mythische Welt bezogen sind, die hinter der sichtbaren existiert. In dieser Welt ist alles bedeutsam, nicht nur Skulpturen, Reliefs, Statuen — auch ihre Alltagsgegenstände und die Landschaft, in der sie leben. Störungen der Ordnung bringen Unheil. Ein Stamm mit etwa 300.000 Menschen im Südosten Malis, die Dogon, lebt in einer solchen Welt, in der ihm seine Symbole und Rituale heilig sind, und die für ihn Heilkraft haben. Im Jahr 1989 hat die UNESCO die Traditionen der Dogon zusammen mit den spektakulären Felsen von Bandiagara als Kultur- und Naturerbe in die Welterbeliste aufgenommen.

      Heilkraft können Mythen, Symbole und gute Rituale auch im modernen Umfeld entfalten. Es erfordert keinen Aberglauben oder die Sehnsucht nach archaischer, ursprünglicher Lebensweise, um sich über Mythen, Symbole und Rituale mit sich selbst und mit seinem Umfeld in Verbindung zu bringen. Die Unbefangenheit, mit der die alten Juden im polnischen Schtetl zusammen mit den mythologischen Dibbons lebten, erlaubte ihnen zum Beispiel, einem solchen Untoten auch mal ein Messer in die Brust zu stoßen, um sich von ihm zu befreien. Ähnliches kann bei Visualisierungen in einer modernen Psychotherapie erfolgen.

      Ähnliches gilt für das Verständnis von Kunst und für die eigene kreative Betätigung, bis hin zum Verständnis der eigenen Träume und Fantasien. Mythologische Bilder und Symbole und symbolische Gegenstände haben Heilkraft oder können Heilkraft für Menschen entwickeln, die dafür offen sind und die sich in diesen Bildern selbst erfahren können.

      Placebo- und Nocebo-Effekte geben einen Hinweis darauf, was möglich ist im Hinblick auf „den Zauber“ den ein Wort, ein Gegenstand oder eine Umwelt auslösen können. Es ist inzwischen bekannt, dass die Auflistung der Nebenwirkungen in den Beipackzettel von Medikamenten oder die Bilder aus Röntgenuntersuchungen und von Kernspintomografieuntersuchungen manchen Patienten nicht aus dem Kopf gehen. Ihre Angstreaktion vor diesen Nebenwirkungen kann das gefürchtete Unheil herbeirufen.

      Symbole haben so in der Menschheitsgeschichte immer eine besondere, wenn auch widersprüchliche und unterschiedlich interpretierte Rolle gespielt. Sie sind vielschichtig, aber auch einzigartig und unvergleichlich. Sie haben ihre kleineren und größeren Fan-Gemeinden, für die sie konsens- und identitätsstiftend sind. Damit sind sie aber auch immer umstritten.

      Zustimmung