Название | Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt |
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Автор произведения | Monika Arlt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844258653 |
Die heute bekannte Plastizität des Gehirns lässt es wahrscheinlich erscheinen, dass Symbole auch als Muster in Form von strukturellen Analogien zwischen Außen- und Innenwelt existieren. Sie bringen sich als „Bauchgefühle“ für oder gegen die inneren und äußeren Gegebenheiten zum Ausdruck.
Der Psychologe Gerd Gigerenzer (vgl. Bauchentscheidungen, Gigerenzer 2007) vertritt die Auffassung, dass Bauchgefühle nicht nur ein Impuls oder eine Laune sind, sondern auch ihre eigene Gesetzmäßigkeit haben. Die Intelligenz des Unbewussten liegt darin, dass es, ohne zu denken, weiß, welche Regel in welcher Situation vermutlich funktioniert. Als Beispiel aus der Zeit des Nationalsozialismus verweist er auf eine Untersuchung des Historikers Christopher Brownig, die auf die besondere Identifikation von Männern in Uniform mit ihren Kameraden hinweist. Der einfachen Faustregel Tanz nicht aus der Reihe folgend, haben sich damals nur wenige Menschen den Ritualen und den unfassbar grausamen Befehlen verweigert. Die Uniform als Symbol, dessen man sich zugehörig fühlte, und die unbewusste Befolgung einer einfacher Regel hatte verheerende und moralisch verwerfliche Handlungsweisen zur Folge. Unter anderem hat auch symbolische Einsicht, die Einsicht in einen Sinn- und Bedeutungszusammenhang, den jemand nicht mehr bereit ist mitzutragen, nicht stattgefunden.
Symbolische Einsicht drängt das Negative, das Unbegreifliche und Bedrohliche nicht in die Tiefen des Unbewussten weg, sondern lässt Widersprüche und negative Emotionen zu. Wo sich Verbindung ergibt, wo eine spezifische Wahrnehmung Vergnügen bereitet oder Einsicht erzeugt, kann „Freundschaft geschlossen werden“ mit dem Gebäude, dem Ensemble, der Straße, dem Quartier, der Stadt, den Menschen und den Dingen in ihrer verbindenden symbolischen Qualität. Man fährt hin, sucht sie auf oder holt sie sich ins Haus.
Orte des Leidens und der Schande — die Vernichtungslager des Nazi-Regimes, die Wohn- und Sterbeorte für unzählige Menschen waren — sind heute Erinnerungsorte und Symbole für das größte Verbrechen an der Menschheit. Sie werden von vielen Menschen aufgesucht, die sich der Verantwortung verpflichtet fühlen, dass so etwas nie wieder geschehen dürfe.
In Zeiten des Konflikts, der Gefahr und der Enttäuschung kommen symbolische und religiöse Bilder und Mythen ins Spiel, um Ideologien und Positionen in den Konflikten zu rechtfertigen. Sofern eine bestimmte Vorstellung oder Geisteshaltung als höher, überlegener oder als die einzig wahre erachtet werden, existiert ein reduziertes, eindimensionales Symbolverständnis und eine sehr eingeschränkte symbolische Einsicht. In solcher Beschränktheit sind manche Menschen sogar bereit, das eigene Leben und das anderer Menschen für die höhere Sache zu opfern.
Damit ist die Welt der Bilder, Mythen und Symbole zugleich Verbindung und Verführung, Rettungsanker und Instrument der dunklen Triebkräfte der Psyche. Es gibt das Schreckliche und das Schöne, das Gezähmte und das Ungezähmte, das Schwere und das Leichte, die Angst und die Lust. Die Bilder dazu kommen nicht aus sich heraus, sondern sind Gebilde der menschlichen Fantasie, mentale Modelle im Bewussten und im Unbewussten. Die Dämonen der Angst, der Sucht, der Hysterie und der Depression, der Zerstreuung und des Zwangs gehören als schmerzhafte Erfahrungen zum Leben. Aber viele dieser Monster lassen sich auch dienstbar machen, so, wie es die Märchen und Mythen immer schon gezeigt haben und wie sie durch gute Rituale immer wieder auch gezähmt werden konnten.
Es gibt das Wunderbare und das Geheimnisvolle. Es kann und soll Spaß machen, sich z. B. bei einem Konzert oder bei einem Fußballspiel der „unterirdischen“ Dynamik des Unbewussten hinzugeben. Ein vernünftiger Umgang mit Risiken und Unwägbarkeiten besteht in der Fähigkeit, sich mit Unsicherheit vertraut zu machen und gelassen selbst mit unlösbaren Problemen zu leben. Selbst eine „falsche“ Deutung der Welt, eine nützliche Fiktion, ist manchmal besser als gar keine, sofern sie als hilfreiche Deutung funktioniert und anderen Menschen nicht schadet.
Kreativität und Fantasie sind etwas Wunderbares, etwas, das sich naturwissenschaftlichen Gesetzen nicht unterordnen lässt. Kunst, Mythologie und symbolische Einsicht sind Formen der Erkenntnis, die Menschen untereinander und mit ihrer Lebenswelt verbinden. Wer versucht, symbolische Einsicht walten zu lassen, dem erschließt sich eine neue Weite für die Entfaltung der Persönlichkeit und dem erschließt sich auch eine tröstende Verbindung zur Ewigkeit, ohne dass dem Leben seine Realität von Schmerz und Trauer, Lust und Vergnügen genommen wird. Der unbewussten Reaktion auf Gegenstände, Bilder, symbolische Formen, Riten und Mythen hat allerdings ein bewusstes Verständnis der Zusammenhänge nachzufolgen, bei dem die Implikationen der symbolischen Dimension soweit wie möglich aufgedeckt werden.
Wahrnehmung im Sinne eines solchen Verständnisses ist mehr als Sehen, Wiedererkennen und der Gebrauch der Gegenstände. Sie schließt die Wahrnehmung der eigenen Gefühle, Lust oder Unlust, vernünftiges oder unvernünftiges Verhalten, Langeweile oder Ergriffenheit mit ein und erstreckt sich auf über den Gegenstand hinausgehende Informationen, die einen Wert oder eine Bedeutung für den Wahrnehmenden enthalten. Die Wirklichkeit ist nicht mehr zum Wegschauen, sondern dient dazu, die Welt um eine erstaunliche und erträgliche Dimension zu erweitern. Es besteht deshalb eine Verpflichtung dahin gehend, die symbolischen Implikationen von Ereignissen, Objekten, Orten aufzudecken und soweit wie möglich transparent zu machen. Dafür muss die verlorene Sprache der Symbole wiedererlernt werden. So ist es beispielsweise für Eltern sehr wichtig, sich darüber zu informieren und sich damit auseinandersetzen, welche Symbolik ihre Kinder in ihren Kinderzimmern verwenden. Gruppen und Kulte, die bestrebt sind Jugendliche an sich zu binden, verfügen über solche Symbole, und als verantwortungsvolle Eltern gehört es zu ihrer Aufsichtspflicht sich damit auseinanderzusetzen und auch den Kindern und Jugendlichen den Kontext deutlich zu machen. Die „psychische Ladung“ von Symbolen, die Gefühlsreaktionen auslöst, kann „zum Sprechen“ gebracht werden und dadurch bestenfalls Gegensätze innerhalb der eigenen Psyche miteinander versöhnen. Dies wahrzunehmen ist eine Chance, die den Sinn des Erwerbs symbolischer Fähigkeiten begründet.
„Sich wiederfinden“ kann man auch in der Realität der Natur, der Landschaften, Wälder, an Flüssen, Bergen, Seen sowie in der Kunst, in Bildern, in der Musik. Das Erlebnis ist immer wieder ein beglückendes, eines, das „begeistert“, das über die eigene Person hinausweist.
Aber auch gebaute Umwelt kann Menschen begeistern. Die Gedächtniskirche, der Eiffelturm, das Brandenburger Tor, die Freiheitsstatue in New York und die Jesus-Statue in Rio — Bauwerke und Wahrzeichen in aller Welt haben ihre Fans. Sie sind für sie Symbole für Freiheit, Mut, Glauben, Vertrauen, Sicherheit, Lebenslust, Heimat, Zuversicht.
Gruppen und manchmal auch Massen von Menschen lassen sich von etwas begeistern, das sie anzieht, beglückt, manchmal sogar verändert. Je mehr Geschichten — auch widersprüchliche — damit verbunden sind, desto stärker das Symbol. Geschichten, die von vielen verstanden werden, setzen Kräfte frei. Die Betrachter, Benutzer, Leser, Hörer, Liebhaber sind begeistert, fasziniert von etwas Gemeinsamem, etwas Geheimnisvollem, und dieses Etwas ist Projektionsfläche für Eigenes, für die eigenen Vorstellungen, Erfahrungen und Wünsche.
Der amerikanische Komplexitätsforscher Stuart Kauffman hat dem Universum die Spur einer enormen, zumindest teilweise keinen Grenzen unterworfene Kreativität zugewiesen, die er als „Wunder“ bezeichnete. Ein Absatz aus dem Glaubensbekenntnis von Albert Einstein weist einen ähnlichen Weg: Das Schönste und Tiefste, was der Mensch erleben kann, ist das Gefühl des Geheimnisvollen. Es liegt der Religion sowie allem tieferen Streben in Kunst und Wissenschaft zugrunde. Wer dies nicht erlebt hat, erscheint mir, wenn nicht wie ein Toter, so doch wie ein Blinder. Zu empfinden, dass hinter dem Erlebbaren