Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt. Monika Arlt

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Название Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt
Автор произведения Monika Arlt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844258653



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Alltag einbetten lassen, können Anlass sein, den Mythos des eigenen Lebens wahrzunehmen und zu entfalten. Wer sich mit ihnen vertraut macht, kann sie im positiven Sinne als „Spielfeld oder als Spielzeug“ nutzen.

      Wie ein Mythos, z. B. der Mythos des „Helden“ positiv wirken kann, wie man sich ihn zu Nutzen machen kann, zeigt ein Pilotprojekt des Vereins Strohhalm in Berlin Neukölln, in dem türkisch- und arabischstämmige Jugendliche zu „Heroes“ gegen Unterdrückung ausgebildet werden. Das Geld kommt von der Childhood-Stiftung aus Schweden, wo es schon eine richtige „Heroe-Bewegung“ gibt.

      Die Beschäftigung mit Mythen und Märchen und mit den Symbolen als den „Stars“ dieser Geschichten bedeutet dann kein Abgleiten ins Esoterische, sondern spielt eine wichtige Rolle im Hinblick auf Welt- und Selbstverständnis, auf Mut und Zutrauen in das Leben und auf die so notwendigen Gemeinsamkeiten der Menschen in einer Gesellschaft.

      Beispiele für den gefährlichen Umgang mit Mythen, solange sie unbewusst, unaufgeklärt und verdrängt bleiben, sind in der Neonaziszene zu finden. Durch Vorstellungen von Männlichkeit, unverletzlichem Germanen- und Heldentum verführt und vom Hass auf die Gesellschaft überwältigt, werden Jugendliche dazu veranlasst kriminelle Taten auszuführen.

      Es zeugt aber auch von mangelnder symbolischer Einsicht und vom Ungeschick von Bezirksverwaltung und Wohnungsbaugesellschaft, wenn zum Beispiel ein Haus „von Linken“, für das mit den ehemaligen Besetzern Mietverträge abgeschlossen wurden, verkauft wird. Die Kosten für die Räumung, die der neue Besitzer einfordert, verletzte Polizisten, zerstörte Geschäfte und Sachbeschädigungen kosten ein Vielfaches von dem, was der Verkauf des Hauses eingebracht hatte. Ein Bewusstsein von Mythos und Symbolik, ein einsichtiger und gelassener Umgang mit den Mythen, die auch im modernen Rechtsstaat existieren, könnte solche Eskalationen verhindern.

      Mythische Gesellschaften waren Opfer von Mächten, Geistern und Göttern, die das Schicksal der Menschen bestimmten und die von den Menschen durch Opfer und Riten beeinflusst werden konnten. Mythen erzählen von der Wirklichkeit solcher Mächte und von den Wendungen im Leben, aber eben nicht logisch, schlüssig, sondern interpretierend und in Distanz zum realen Geschehen. Mythen erzählen von außergewöhnlichen oder grundlegenden Lebenssituationen, in denen — auch im Leben von Wissenschaftlern und Therapeuten — Monster, Dämonen, Götter, Helden, Hexen, Prinzessinnen und Könige unterwegs sind. In jedem Leben lassen sich solche Mythen der Menschheitsgeschichte dingfest machen.

      Freud hat den Ödipuskomplex zur Grundlage von Störungen in späteren Lebensaltern gemacht. Die Psychoanalytikerin Christiane Olivier sieht kleine Mädchen in der Rolle von Jokastes Kindern. In manchen Therapiesitzungen findet sich die Klientin in ihrer Fantasie als Prinzessin wieder, und das rosa Prinzessinnenkleid befindet sich vielleicht auch noch zuhause in einer Ecke hinten im Schrank versteckt. Kollektive Menschheitserfahrungen sind in Mythen wie auch im Unbewussten verankert. Schriftsteller, Drehbuchautoren und Regisseure bedienen sich mit großem Erfolg aus dem Fundus solcher Mythen, wie man an den Figuren von Harry Potter, James Bond oder den Gestalten aus Der Herr der Ringe mühelos erkennen kann. J. R. R. Tolkien war als Sprach- und Literaturwissenschaftler der größte Experte des über 1.000 Jahre alten englischen Heldenepos Beowulf. Diese archaische Dichtung hat ihn zweifellos zum Herrn der Ringe inspiriert und stellt wohl auch den Schlüssel zu diesem Werk dar. Der Erfolg der Filme zeigt deutlich, wie Mythen und Märchen mit ihrer Buntheit und Vielfalt und ihrem unerschöpflichen Reservoir an Bildern und Gestalten den Alltag verzaubern und mit Lust besetzen können, solange sie Kreativ-Spiel-Zeug bleiben.

      Wer erzählt legt dar, legt aus, interpretiert, konstruiert, rekonstruiert. Der individuelle Mythos legt die eigene Wirklichkeit zurecht und spielt dabei unter Umständen auch die Rolle der selbsterfüllenden Prophezeiung. Wo die Bindekraft der Arbeit im Schwinden begriffen ist, braucht Identität andere Quellen. „Selbst-Autorisierung“ — etwas, in dem jemand sich selbst zum Ausdruck bringen kann, dadurch, mit welchem Mythen er sich in Verbindung bringt.

      Je mehr die eigenen Mythen im Unbewussten bleiben, desto stärker werden sie auch unbewusst als Handlungsanweisungen erlebt und ausagiert. Die Rollen des „Terminators“, des Freibeuters, des Piraten, Odysseus als Held, Madonna oder Antigone als Person die sich geltenden Regeln widersetzt, existieren nicht nur im Außen und in den bekannten Geschichten, sondern auch in der individuellen Psyche als Teil des kollektiven Unbewussten. Menschen besitzen eine Doppelnatur, wenn nicht gar ein inneres Team widersprüchlicher Interessen. Und es ist für jeden einzelnen Menschen selbst äußerst hilfreich die eigenen Anteile zu kennen, um den Angsthasen, den Wolf oder den Löwen in sich zu bändigen, ohne ihn zu erwürgen.

      Die Verbindung von eigener Lebensgeschichte oder eigener urtümlicher Lebenssituation mit Mythen der eigenen Kultur oder kollektiven Mythen der Welt ist es, die im Leben und Wohnen in der Stadt einen Ausdruck finden kann.

      Bleibt Penelope Odysseus treu, wenn er über zwanzig Jahre lang seine Abenteuer in der Welt sucht? Bleibt die junge Frau ihrem Mann treu, wenn er längerfristig in einer weit entfernten Stadt arbeitet, und welche Zeichen sprechen davon in der Wohnung? Wie eignet sich die Frau ihre Wirklichkeit an, wie geht sie damit um? Wie verwandelt sie ihre Umwelt, wie ist das Verhältnis von physischer Realität und Einbildungskraft, welche Überlebensstrategie setzt sie ein, wie transformiert sie ihre Welt? Odysseus ließ sich an den Mast seines Schiffes binden, um den Gesang der Sirenen zu hören. Er erfährt dabei größte Sehnsucht, aber durch die Fesseln, die er sich selber auferlegt hat, schützt er sich, sein Ich, vor der Gefahr des Verschlungenwerdens.

      Der Mythosraum in der Wohnung ist heute meist der Platz am Fernseher, wo sich die Bewohner die Soaps, die Geschichten und Seifenopern der Gegenwart „einverleiben“. Mythosraum kann auch der Platz am Computer sein, wo sich die Welt erschließt, wo Arbeit, Spiel und Entspannung möglich sind, wo sich aber auch ein Spielsüchtiger der Animation eines Computerspiels hingeben und sich von seinem selbst gewählten Mythos kontrollieren lassen kann. Es kann aber auch der Platz am Kamin oder auch der Tisch sein, an dem man sich die Geschichten erzählt, die einen berühren, und die Träume und Einfälle, die man mit den anderen teilen will. Es kann auch das Bett sein. Das Bett, ein Tisch, ein Sessel, ein Schrank, ein Bild, eine Bibliothek können in ihrer Gegenständlichkeit und Materialität Symbole sein, die den Blick auf alte Geschichten und die Möglichkeit gemeinsam Geschichten zu erfahren, zu bewahren und miteinander zu teilen, freigeben. Die Welt lässt sich so transformieren, dass man darin leben kann. Die eigene Lebensgeschichte kann an den Gegenständen dingfest gemacht werden. Die Reise durch das Zimmer kann beginnen.

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