Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt. Monika Arlt

Читать онлайн.
Название Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt
Автор произведения Monika Arlt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783844258653



Скачать книгу

symbolische Einsichten sogar Frontstellungen öffnen.

      Besonders die tief im Unbewussten ruhenden nichtrationalen Erinnerungsbilder lassen sich durch Umweltereignisse wachrufen und können sowohl hilfreich wie auch gefährdend wirken. Sie können bei einem bewussten Umgang als Instrumente dienen, einen Pluralismus an Ideen und Gefühlen freizusetzen, der dazu verhilft, das eigene Dasein voll und ganz zu entwickeln.

      Zur Symbolsprache gehören die Bestandteile von Märchen, Mythen und Träumen, Werten und Wünschen, Farben und Zahlen, Planeten, Tieren und Pflanzen, auch Gebäuden und Konstruktionen jeder Art bis hin zu Zickzacklinien und Mäandern, die das Leben mit seinen Hochs und Tiefs und seinen Verwicklungen symbolisieren.

      Die Idealgestalten und archetypische Grundmuster, wie sie als Helden, Sieger, Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen, Götter und Göttinnen in Erscheinung treten, sind solche Ganzheiten, Ordner oder Konsensgebilde. Gilgamensch und sein Freund Enkidu sind eine einzige Gestalt, die den monströsen Walddämon besiegt. Ödipus taucht unbewusst in fast jedem Kinderleben in der Liebe zum gegengeschlechtlichen Elternteil auf.

      Unbewusst erlebt ein Kind im Märchen die böse Hexe als etwas, das überwunden werden kann. Als Symbol erscheint die Hexe als die personalisierte Angst vor einer unsichtbaren Bedrohung. Damit bekommt die Bedrohung für das Kind ein Gesicht und kann im Märchen überwunden oder überlistet werden. Das Kind kann es mit der Hexe aufnehmen. Der König, die Königin sind Bilder für Menschen die Herrscher sind, die sich selbst beherrschen können, die in der Lage sind Ordnung zu schaffen. Im Märchen wird das Kind, der Prinz, die Prinzessin eines Tages König oder Königin sein, die ihr Land und ihr Leben in Ordnung halten können. Für einen psychisch Kranken kann das Ungeheuer allerdings lebensbedrohlich existent sein. Im Prozess einer Psychose ist Symbolisierung nicht mehr möglich. Ein im Primärprozess überschwemmtes Bewusstsein erliegt der Magie, nicht der Verarbeitung.

      Die Katholische Akademie in Berlin veranstaltete im Mai 2004 einen Vortragsabend zum Thema: 10+5=Gott — Die Macht der Zeichen, in Verbindung mit einer gleichnamigen Ausstellung im jüdischen Museum in Berlin. Gegenstand des Vortrages war die Macht, die elementare Zeichen, Zahlen und Buchstaben im Spannungsfeld von religiöser Tradition und moderner Kultur entfalten. 10+5, der dreieinige Gott, 7 Tage der Woche, Burg, Schloss, Villa, Palast, Turm ... Bett, Bank, Schrank, Schublade, Tisch, Stuhl, Sofa, Sessel, Lampe, Kamin, Backofen ... Teller, Tasse, Pfanne, Sieb ... Kreuz und Kopftuch. Die Nutzer haben meist keine Ahnung, was diese Gegenstände ihnen über den Gebrauch hinaus bedeuten, was sie sonst noch zu sagen haben. Alle diese Bilder von den Gegenständen haben in einem weiteren Sinne mit den Lebensverhältnissen der Bewohner und mit ihrem Seelenhaushalt zu tun.

      Symbole, Mythen und Rituale erzählen Geschichten über die Welt. Sie lassen die Betrachter und Zuhörer an den zum Teil uralten und immer wieder neuen Lebenssituationen und Auseinandersetzungen teilhaben. Sich den Symbolen des Unbewussten zuzuwenden heißt aber nicht, rationales Denken aufzugeben. Es bedeutet, die Verhältnisse wirklichkeitsgemäß wahrzunehmen, indem akzeptiert wird, dass es neben den bewussten die unbewussten, und neben den mentalen auch die emotionalen Kräfte gibt.

      Der Glaube und die emotionale Hingabe an Symbole, Mythen und Rituale können Menschen zu unglaublichen Dingen verführen. Ohne eine Unterscheidung zwischen dem was guttut, und dem was vereinnahmt, was unterwirft und was von der eigenen Vernunft entfernt, besteht die Gefahr, dass Grenzen unzulässig überschritten werden. Es ist deshalb unumgänglich und auch unerlässlich, sich mit Mythen, Symbolen und Ritualen auseinanderzusetzen, sie zu durchschauen, um sie zu nutzen — aber sich nicht von ihnen verführen zu lassen. In verschiedenen Welten kann leben, wer sich nicht in ihnen verstrickt, wer sich nicht zerreißen lässt, wer die symbolische Dimension des Raumes in dem er lebt annimmt, ohne ihr zu verfallen.

      Der bewusste Umgang mit Bildern und Symbolen, Mythen und Riten kann Menschen dazu veranlassen, sich mit der „Sprache der Symbole“ zu befassen. Sofern Menschen symbolische Fertigkeiten erwerben, kann es ihnen gelingen, aus dem „Niemands-Dasein“ herauszutreten und Rückbindung zu erfahren im symbolischen Beziehungsnetz von Kunst, Kultur, Gemeinschaft und Religion. Man muss nicht zum Mystiker, zum Fanatiker oder zum Astrologen werden, um das Gefühl einer tieferen Bedeutung des eigenen Lebens in der Verbundenheit mit der Symbolebene zu erleben und die eigene Identität gestärkt zu sehen, indem ein „eigener Platz im Universum“ gefunden wird. Symbolisierungsfähigkeit wird im Kleinkindalter erlernt. Sie bleibt in der Regel unbewusst. Das Kind weiß nicht, was „Hexe“, „König“ oder „Prinzessin“ bedeuten. Symbole emotional zu verstehen macht es aber später leichter, diesen eigenen Platz zu finden.

      Der unbewusste Umgang mit Symbolen ist mit einer unbewussten emotionalen Identität verbunden. Das bewusste Erleben dieser Identität im Versuch, in die Wirklichkeit des Unbewussten einzudringen, kann zu diesem Gefühl der tieferen Bedeutung des eigenen Lebens führen und kann innere Kraftquellen erschließen. Achtsamkeit für das Unbewusste und die Auseinandersetzung mit Symbolen, sowie das Entwickeln symbolischer Fertigkeiten, dienen dem Ziel, die eigenen Lebensmuster zu entdecken und zu verstehen, über alte Muster hinauszugehen und neue Freiräume, neue Einstellungen dem Leben gegenüber zu gewinnen.

      In der Auseinandersetzung mit Symbolsprache kann jemand die für sich selbst bedeutungsvollen Symbole entdecken und entschlüsseln. Er kann sich eigene Symbole — Selbstsymbole — zunutze machen. Der Weg einer solchen Auseinandersetzung kann allerdings nur partiell über Kataloge von Symbolen als Deutungshilfe in Büchern und im Internet gehen. Symbole zu nutzen, symbolische Fähigkeiten und Fertigkeiten zu entwickeln heißt nicht, Symbole zu kanonisieren und zu „kolonialisieren“. Es heißt aber, dieses „Mehr“ in allen Entscheidungssituationen auszuleuchten und soweit wie möglich bewusst zu machen, damit es nicht ungewollt die Beteiligten „kolonialisiert“ oder von Beteiligten „kolonialisiert wird“. Symbole und Mythen werden von der Presse häufig kolonialisiert, das heißt, in einer manipulierenden, unzuträglichen Weise benutzt. Was berührt, was fasziniert wird herausgehoben und der Öffentlichkeit in einer verdichteten und vereinfachten Weise präsentiert. Die Welt erscheint auf diese Art einfach und verständlich. Im Konsens der „Fans“, der Demonstrierenden, der Gut-Meinenden verbinden sich Menschen miteinander und in der Zugehörigkeit zu einem Mythos und seinen Symbolen.

      Für den guten Umgang mit Symbolen sind in dem, was die symbolische Qualität von Ereignissen, Orten und Objekten ausmacht, die symbolischen Implikationen offenzulegen und zu diskutieren. Nur so können Symbole ihre hilfreiche Funktion entfalten, nur so können sie die gesellschaftliche Realität in ihrer Komplexität zum Ausdruck bringen. Das Nachdenken, der Austausch über eben diese Implikationen kann dazu führen, das Leben und Wohnen in der Stadt sowie die Arbeit von Architekten, Planern, Bauherrn und Bewohnern zu bereichern.

      Im öffentlichen Raum ist es beispielsweise für viele Menschen schwer zu ertragen, wenn sich totales Entertainment, Hully-Gully, das Spektakel, die monströse Verschandelung im Dienst der Eventfabrikation und purer Kitsch in Form von Disneyland einschleichen. Andere fühlen sich davon angezogen, bleiben und konsumieren. Der Spielplatz der Erlebniswelt markiert einen Punkt des inszenierten „Gesehen-haben-müssens“ und der Verlust von Würde erschlägt die symbolische Qualität. Es bleibt die Gratwanderung, das Ausbalancieren der Interessen auf der Leinwand des Lebens.

      Klamauk mit den Symbolen der ehemaligen DDR und kostümierten Grenzsoldaten als Touristenattraktion, überlassen beispielsweise am Brandenburger Tor in Berlin das Bedeutungs- und Erklärungsmonopol für diesen international bedeutenden Ort der deutschen Teilung und der ehemaligen Teilung der Welt in Ost und West dem Tourismus und dem Profit. Für die Leidtragenden des damaligen DDR-Regimes sind solche symbolischen Demonstrationen eine Zumutung.

      Ein guter, entspannter Umgang mit symbolischen Einsichten, Fähigkeiten und Fertigkeiten ist in Deutschland nach der Inflation der Mythen und Symbole während der Nazizeit nur marginal ausgeprägt. Auf eine gute Weise des Umgangs weist die Begründerin der TZI (Themenzentrierte Interaktion), Ruth Cohn hin, indem sie die Zusammengehörigkeit der Menschen als Gemeinschaft auf der Erde, spürbar durch dieselben Lebensrhythmen, dieselbe Lebensluft und denselben Lebensatem, die