Название | Symbolische Dimension des Wohnens in der Stadt |
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Автор произведения | Monika Arlt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783844258653 |
Wie die Symbole, bringen sich Rituale in Bildern zum Ausdruck, und die Deutung, das Verständnis der Bilder macht es möglich ihre Absicht, die Implikationen der Symbole und Rituale nachzuvollziehen. Der Kult der Führer- und Heldenverehrung, Bilder, die sich als Propaganda erweisen, überdimensionale, monumentale, pharaonische Projekte deuten weniger auf Entwicklung und Zukunft, als auf Stagnation und Störung.
Beruhen Rituale aber auf eigenen oder auf positiven kollektiven Lebenserfahrungen, dann sind sie Werkzeuge, den Geist bewusst zu lenken. Sie können wie die Symbole manchmal auch durch tiefere Einsichten den Weg ebnen. Sie können bestimmte Haltungen zum Ausdruck bringen — und sie können Halt geben, wo Brüche und Störungen das Bewusstsein beeinträchtigen. (Trink erst mal eine Tasse Tee, so der Zenmeister vom blauen Fels.)
Raum für Rituale waren in früheren Zeiten die Aufmarschplätze in der Stadt. Heute noch sind es Kirchen, in denen Rituale, die Gottesdienste, stattfinden. Shopping wird durch die Werbung zum Einkaufsritual stilisiert, der Catwalk in der Stadt ist die Bühne für die ritualisierte Selbstdarstellung. Dem Ritualcharakter von massenhaftem Picknicken und Grillen im Grünen, in den städtischen Parks, lässt sich wohl nur mithilfe anderer Rituale und Symbole beikommen, die den Schutz der Parks und der Natur zum Gegenstand haben. Mit einem Verbot dieses lustvollen, gemeinsamen Rituals, wie es der Bezirk Mitte in Berlin für den Tierpark für das Jahr 2012 angeordnet hat, ist es nicht getan. Appelle und Sanktionen reichen nicht aus, um den Grillmüll in den Griff zu bekommen. Es gilt, Rituale und Symbole zu entdecken, die die Verantwortlichkeit und die Zuständigkeit der Menschen, die den Müll verursachen, zum Thema machen. Auch hier macht es den Unterschied, authentisch und bürgernah zu agieren oder durch Verbote, Zerstörung, Abriss oder Inszenierungen, der Ungastlichkeit symbolisch Ausdruck zu verleihen.
Mythen
Jedes Kind, das ein Papierschiffchen auf einer Pfütze fahren lässt, ist schon in einer anderen Welt, in einem kleinen Mythos. (Anselm Kiefer im Spiegel-Gespräch Trümmer sind Kunst in: DER SPIEGEL, 27/2009.)
Mythen erklären die Welt nicht, sie sind eine von vielen möglichen Aneignungsformen der Wirklichkeit, die etwas von den kulturellen Vereinbarungen der Vergangenheit erfahren lassen..
Mythos ist ein vielgestaltiger Begriff, der häufig und ganz unterschiedlich verwendet wird. Peter Tepe, Professor an der philosophischen Fakultät der Heinrich Heine Universität in Düsseldorf hat auf der Grundlage von über 100 Texten mehr als 50 Bedeutungen herauskristallisiert.
Im Brockhaus findet sich der Begriff für Erzählung bzw. Ursprungs- oder Schöpfungserzählung. Die Mythen erzählen von urzeitlichen Ereignissen in Form irrationaler, märchenhafter und wundersamer Geschichten. Sie sind so alt wie die Menschheit, und sie erzählen von der allmählichen Organisation der menschlichen Gesellschaft. Es handelt sich dabei um symbolische und idealisierte Darstellungen dieser ursprünglichen Ereignisse mit dem Anspruch einer — allerdings keineswegs eindeutigen — Deutung der Welt. Mythen wurden von Generation zu Generation weitergegeben, verändert und erweitert. Indem sie damalige Wirklichkeiten in Form von „Großerzählungen“ erklärten, wurden die wirklichen Geschehnisse entpersonalisiert, die Protagonisten der Geschichten wurden zu Symbolen.
Im allgemeinen Sprachgebrauch allerdings reicht die Spannweite des Mythosbegriffs von einer unwahren Erzählung, etwas falsch Verstandenem, einer Illusion bis hin zu einer Identifikations- und Symbolfigur, die Vorbild- und Leitcharakter hat.
Schon Sokrates hatte auf der Agora in Athen Mythen als Lügen lächerlich gemacht, und von dem Dichter Xenophanes ist der Ausspruch überliefert: Wenn die Pferde Götter wären, sähen die aus wie Pferde. Mit diesem Ausspruch hat Xenophanes dem Muster der Projektion Ausdruck gegeben, und er hat damit wohl auch gleichzeitig die Mythen der griechischen Götterwelt ins Wanken gebracht. Mythische Potenz hat dadurch aber nicht gelitten. Dafür wird keine Götterwelt benötigt — es genügt die Ästhetik oder die Außergewöhnlichkeit eines Objektes oder einem Geschehen, das den Mythos begründet. Ansehen, Prestige, Selbsterhöhung, Heldenhaftigkeit sind Motive dazu, und Künstler waren und sind oft die Ausführenden, die Vermittler.
Tatsächlich spiegelt ein wirksamer Mythos wie eine Projektionsfläche bestimmte Bewusstseinszustände. Er kann damit auch aktuell zur Erklärung unverständlicher und problematischer Wirklichkeit genutzt werden.
Die Aufklärung wollte die Mythen auflösen, wollte sie durch Wissen und Erkenntnis entmachten. Quellen der Mythen sind aber Ereignisse, die Menschen immer wieder zustoßen. wie das bei Liebe, Erfolg, Trennung oder Tod der Fall ist. Sie lassen sich nicht „abschneiden“, aber sie lassen sich begreifen in den Epen, Tragödien, Kunstwerken, in der Poesie und auch in den baulichen Gestalten der Stadt oder in Form baulich-räumlicher Unternehmensdarstellung.
Im Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart-Untertürkheim gibt es sogenannte Mythosräume, die die Markenentwicklung von Mercedes-Benz chronologisch dokumentieren. In einer Art „Zeitmaschine“, die beinahe sakralen Charakter hat, werden Geschichte und Gegenwart erzählt und Devotionalien ausgestellt. Das Unternehmen hat zielgerichtet mit dem Mythosbegriff im Sinne seiner Unternehmenskultur und -kommunikation gearbeitet. Natürlich geht es darum, die Besucher zu beeindrucken, aber die Distanz für eine vergnügliche Rezeption ist in diesem Zusammenhang durchaus gegeben.
Der Begriff des Mythos wird im vorliegenden Text im Sinne von außergewöhnlichen, individuellen und kollektiven Lebensgeschichten verwendet. Jedes Leben ist ein Mythos, so lautete das Thema eines Kunsttherapie-Seminars des Berlin-Brandenburgischen Instituts für Kunsttherapie im Jahr 2007, das dieses Thema für mich erschlossen hat. Und tatsächlich hat jedes Leben seine außergewöhnlichen Ereignisse, die diesem Leben neue Wendungen geben und die ihre Wurzeln in der Vergangenheit haben. Eine Besonderheit besteht darin, dass der Sinn gebenden Form der Ereignisse in den Lebensgeschichten nicht unbedingt ein Ursache-Wirkungszusammenhang zugrunde liegen muss. Als kollektive Wunschvorstellungen, zum Beispiel von einem anderen, besseren Leben, können solche Mythen Gruppen von Menschen erfassen. Die Menschen können sich von den Symbolen dieser Geschichten und Vorstellungen ergreifen lassen. Die „himmlischen Helfer“ finden sich in der eigenen Psyche und in dem, was menschliche Vorstellungskraft seit Menschengedenken zusammengetragen hat.
Wie ein Mythos heute wirkt, kann man an den Ereignissen um die Handaufzucht des Eisbären Knut in Berlin durch seinen Pfleger nachvollziehen. Anlässlich des Todes des Pflegers gab es eine beinahe weltweite Trauer, die den Verlust dieser liebevollen Beziehung zwischen Mensch und Tier zum Gegenstand hatte. Es ist der kollektive Mythos von einem Paradies, der sich hier Bahn gebrochen hat, wo Mensch und Tier zusammenleben und der Löwe seinen Kopf in den Schoß des Mädchens legt.
Am Grab des Pflegers stehen heute noch manchmal ergriffene und weinende Menschen. Sie haben sich von dem Mythos mit seinem Symbol, dem Eisbären Knut, verzaubern lassen.
Der Mythos von Hausbesetzungen, die Geschichte langjähriger Kämpfe um Häuser mag die einen faszinieren, die meisten anderen abstoßen. Er findet in der heutigen Zeit nur noch einen begrenzten Kreis von Unterstützern und Nachahmern, die den Mythos „der revolutionären Tat“ wieder aufleben lassen. In den Niederlanden hat die Besetzung alter Lagerhäuser und Fabrikgebäude in jüngster Zeit wieder für Aufmerksamkeit gesorgt: Künstler, Sportler, alleinerziehende Mütter und andere Gruppierungen haben es geschafft „schlafende Riesen“ zu wecken und aus verlassenen Arealen belebte Orte zu machen, wie in der NDSM-Werft Amsterdam geschehen, wo ganz real ein Spielraum für Imagination geschaffen wurde.
Arbeit am Mythos stellt sich als eine Möglichkeit dar, das Geheimnisvolle und Unerreichbare wieder ins Leben zu holen. Der