TREU. Sven Hornscheidt

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Название TREU
Автор произведения Sven Hornscheidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750231382



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die Zeit mit Lukas stahl, ganz eigennützig und geheim. Die Euphorie über seinen detektivischen Spürsinn verflog – was mache ich hier nur? Was würde Lukas von ihm denken, wenn er hier, mitten im Wald, auf ihn traf? Gut, sie waren beste Freunde, aber so ganz normal war das nicht – oder machte er sich einfach schon wieder zu viele Gedanken? Er war ein Verfolger, der dem Silberstreif einer nicht umsetzbaren Zukunft hinterherlief. Wie bestellt und nicht abgeholt stand er da und richtete seine Aufmerksamkeit abwechselnd auf seine innere Stimme und die Natur um ihn herum.

      Wieder ein Bellen, diesmal etwas weiter entfernt.

      Ziellos schaute er umher, unentschlossen, was er nun machen sollte. Die Hände tief in seine Jackentasche gesteckt, zog er ein missmutiges Gesicht. Er wollte Lukas sehen, nicht wieder alleine in sein viel zu leeres „Zuhause“ gehen. Doch er wollte sich auch nicht der Erklärungsnot hingeben müssen, was er hier machte. Wieder trugen Teufel und Engel einen sinnlosen Zwist auf seinen Schultern aus.

       „Mo? Was machst du denn hier?“

      Lukas bog vor ihm um die Kurve und kam seinen inneren Konflikten zuvor.

      Moritz spürte, wie das Blut in seine Wangen schoss, seine Ohren wurden warm und das Herz pochte.

      Rot.

      „Spazieren!“, erwiderte er, doch er klang dabei nicht sehr überzeugend. Am liebsten würde er im matschigen Boden versinken und Steine seines frühkindlichen Staudammes über sich aufhäufen, bis nur noch der Puschel seiner schwarze Wollmütze von seiner Existenz zeugte.

      Lukas schmunzelte, als würde er seine Gedanken durchschauen und half Moritz aus der Bredouille, indem er ihn umarmte und auf seinen Rücken klopfte. Moritz war unfähig, die Umarmung zu erwidern und stand mit steif an seinen Körper angepressten Armen da und ließ diese Geste über sich ergehen. Wieder kam er sich doof vor.

      Lukas roch so gut und seine Ohrläppchen streiften kurz seine Wange. Atemnot. Herzinfarkt. Dann klatschte er auf Moritz’ Schultern und kniff ihm mit einem Lächeln in die Wangen – Was war das? Moritz war überfordert.

      „Ist klar ...“, sagte er grinsend und kehrte, als würde er einen Schalter umlegen, von einer auf die andere Sekunde wieder völlig in die distanzierte Normalität zurück. Wie gerne hätte Moritz diesen Moment in die Länge gezogen, Sekunden ... Stunden ... Tage ...., doch nun war er wieder verflogen, wie eine Eintagsfliege, die noch Besorgungen machen musste, bevor sie verstarb. Seine Gedanken rasten, doch er konnte sie nicht fassen.

      Lukas rief nach Bella, die mit weißgepuderter Schnauze aus einem Gebüsch angerannt kam, ihren Stock fallen ließ und sofort Moritz begrüßte. Er griff in ihr dichtes Fell und tätschelte ihren Rücken, was sie mit einem freudigen Jaulen beantwortete. Mit Mühe musste er sie auf dem Boden halten, damit sie ihn nicht mit ihren dreckigen Pfoten anspringen konnte.

      „Sie liebt dich!“, sagte Lukas.

      ICH liebe dich!, dachte Moritz

      In diesem Moment waren sie vereint. Lukas machte Bella wieder an ihrer Lederleine fest und Moritz war froh, dass Marina nicht dabei war. Lukas gehörte nun ihm, redete sein innerer Dieb ihm ein.

      „Spazieren ...!“, wiederholte Lukas noch mal mit einem ironischen Unterton. Moritz fand gar nicht, dass Lukas schlechte Laune hatte, wie Max es ihm gesagt hatte. Vielleicht musste er einfach nur mal raus. Oder vielleicht freut er sich, mich zu sehen?

      „Kommst du mit?“, fragte Lukas.

      „Wohin denn?“

      „Bisschen den Wald entlang. Bei mir hängen noch alle rum, ich hab’ da gerade keinen Bock drauf!“

      Moritz verschwieg das leere Haus, an dem er vergeblich geklingelt hatte.

      „Klar!“, sagte er etwas zu euphorisch.

      Lukas schmunzelte ihn spitzbübisch an. Ob er etwas ahnte?

      „Und Jan hat in den Mülleimer gekotzt?“, fragte Moritz.

      „Ja, warst du da noch da?“

      „Nein, habe eben Max getroffen.“

      Lukas grübelte kurz. Seine Miene verfinsterte sich.

      „Ich glaube, ich hab’ da echt keine Lust mehr drauf, dass sich bei mir immer alle die Birne zuhauen. Wir sind doch zu alt dafür, meinst du nicht?“

      Zu alt dafür? Zu alt waren sie auch zum Schlittenfahren oder Grillen, Moritz gefiel die Richtung nicht, in die sich das Gespräch entwickelte.

      „Mag sein ...“, Moritz wusste nicht so recht, was er darauf erwidern sollte.

      „Und dann die ganze Aufräumerei und Jans Rumgekreische.“ Er verdrehte die Augen.

      „Neunzehn, Mann! Die werden bald alle neunzehn und benehmen sich immer noch wie die kleinen Kinder!“

      Lukas wurde richtig wütend. Aus dem Nichts. Bella sah ihn verdutzt an und wusste nicht so recht, wie sie reagieren sollte, also machte sie „Platz“.

      „Naja, aber war doch ein netter Abend, mal wieder alle beisammen zu haben, oder nicht!? Und bald ist Abitur und alle verschwinden ...“, er versuchte, Lukas etwas zu beruhigen.

      „Ja, schon.“

      Moritz grübelte kurz.

      „Und was ist mit Marina?“

      Im selben Moment bereute er seine Frage.

      „Warum? Was soll mit ihr sein?“

      „Ach, nichts ...“

      Lukas schüttelte entnervt den Kopf und strafte ihn mit einem unlesbaren Blick.

      „Wollen wir hoch gehen?“

      Er schaute in Richtung des Hanges, den sie hätten erklimmen müssen, um auf die Lichtung zu kommen, an die er eben noch gedacht hatte.

      „Bei dem Matsch?“

      „Mann oder Memme?“

      Lukas konnte er nicht widersprechen. Er hob seinen Fuß hoch und betrachtete seine Sneakers von allen Seiten, als würde er sich innerlich schon von ihnen verabschieden, bevor sie endgültig hinüber waren oder zumindest nicht mehr ausgehfähig – wobei er ohnehin nicht oft ausging. Die Abendplanungen, wenn es denn welche gab, beschränkten sich in diesem Kaff hier nur auf Billardspielen in einem Dorfpub und ab und zu fuhren sie mal zu einer Großraumdisco oder nach Köln oder Düsseldorf.

      Bella stürmte voraus. Für sie war es ein Leichtes, schließlich hatte sie zwei Beine mehr zur Verfügung und ein dickes Fell gegen die nassfeuchte Kälte.

      „Weißt du noch, wie wir hier mit dem Schlitten runter sind und die Brücke treffen mussten, um nicht im Bach zu landen?“, fragte Lukas unvermittelt.

      Moritz war überrascht von dieser sentimentalen Anwandlung.

      „Klar!“, erwiderte er und freute sich darüber, dass Lukas sich daran erinnerte.

      „Hat aber nicht immer geklappt!“ Er schmunzelte.

      „Sollen wir den Schlitten holen?“, fragte Lukas.

      Das sollte doch wohl ein Scherz sein.

      Moritz Herz begann wieder zu pochen. Wie leicht Lukas ihn erwischen konnte ... aber natürlich war es nicht ernst gemeint, hier war nur Schneematsch und Dreck. Daher erübrigte sich eine Antwort.

      Lukas stützte sich mit der Hand auf seinen rechten Oberschenkel und setzte den ersten Schritt zu dem kleinen Aufstieg. Er schauspielerte eine übertriebene Anstrengung, als er sich hochstemmte, untermalt von einem angestrengten Stöhnen. Manchmal konnte er ziemlich albern sein. Er drehte sich zu Moritz um.

      „Schon einen Schritt geschafft!“, grinste er.

      Wenn Moritz es nicht besser wüsste, könnte man meinen, dass Lukas flirtete. Wenn die anderen dabei waren, hatte Moritz bisher nie beobachtet, wie Lukas sich ihnen gegenüber verhielt. „Das muss ich unbedingt mal machen“, sinnierte er und schrieb es in sein gedankliches