TREU. Sven Hornscheidt

Читать онлайн.
Название TREU
Автор произведения Sven Hornscheidt
Жанр Языкознание
Серия
Издательство Языкознание
Год выпуска 0
isbn 9783750231382



Скачать книгу

tion>

      sven hornscheidt

      TREU

      für

      die

      liebenden

      und

      die

      toten

      MORITZ

      1

      „Bin ich schön?“

      Mit nacktem Oberkörper stand Moritz vor dem Badezimmerspiegel in seinem Elternhaus. Er fingerte mit seinen schlanken Händen in seinen Locken herum, stützte sich auf das Waschbecken und lehnte sich leicht nach vorne, als würde er von dem Spiegelbild eine Antwort erwarten. Er war eher mager – hatte kaum Muskeln, kein Gramm Fett, wie es für einen achtzehnjährigen Jungen normal war, wenn seine Eltern auf eine gute Ernährung achteten und „Hotel Mama“ noch das Zuhause war. Seine Haare waren noch nass vom Duschen und hingen ihm in Strähnen die Stirn hinunter. In seinen Augen reflektierte das Licht des Badezimmerspiegels und glitzerte in der sich ansammelnden Feuchtigkeit seiner unteren Augenlider. Seine Blicke wanderten von seiner Stupsnase, zu den Lippen und hinab zu seinen Schlüsselbeinen, zur Brust und zum Bauch.

      Plötzlich vibrierte das Handy und verursachte ein schepperndes Geräusch auf der Spiegelablage. Pinzette und Kamm tanzten im Takt dazu. Moritz schreckte auf und entsperrte es mit einem Wisch. Nur ein ‚like‘ auf Facebook. Von ihm keine Nachricht. Warum auch? Er würde nie erfahren, wie viel er Moritz bedeutete.

      „Ich liebe dich“, sagte er mit leiser Stimme, ohne dass der Adressat diese Botschaft je hören würde. Er schüttelte den Kopf, legte das Smartphone beiseite und drehte sich zur Tür, um sich zu vergewissern, dass dort auch niemand stand, der diese Peinlichkeit beobachtete. Dabei war er völlig alleine im Haus.

      Moritz war Meister im Verdrängen. Er schob seine Launen und Gefühle auf sein Alter und schloss sie seit seinem fünfzehnten Lebensjahr tief in einer Schublade seines Unterbewusstseins ein. Es würde sich schon ändern. Doch ab und an, besonders, wenn er gerade aufgewacht war, schob seine Sehnsucht selbstständig ihren dunklen Verwahrungsort auf und lugte vorsichtig nach draußen.

      Ihm war flau im Magen. Die Party bei seinem besten Freund gestern war lang und exzessiv. Der Geschmack im Mund war schal, doch essen wollte er jetzt nicht. Dazu rebellierte sein Magen noch zu sehr, was seiner Stimmung nicht gerade förderlich war. „Warum muss ich mich auch immer abschießen?“, fragte er sich. Seine Eltern waren im Urlaub, er alleine zu Hause. Er hätte bei ihm schlafen können, es wäre kein Problem gewesen, schließlich hatten alle bei ihm übernachtet. Doch wie hätte er es aushalten können, dass Lukas mit seiner Freundin zusammen im Bett lag und Moritz sich wahrscheinlich irgendwo in dem großen Haus mit einer Flasche billigen Fusels hingesetzt hätte, um sich in seinem Selbstmitleid zu suhlen? Vermutlich wäre es der Hund gewesen, der ihm Gesellschaft geleistet hätte. Er hätte ihn verständnisvoll mit seinen Hundeaugen angeschaut, ohne auch nur ein Wort von dem zu verstehen, was Moritz ihm anvertraute.

      Er wischte seine Gedanken weg, schaute noch einmal in sein Spiegelbild, ein, zwei Sekunden lang. Dann begann er, sich die Zähne zu putzen.

      ∞

      Es war kalt. Das einzige Licht, das hereindrang, kam von einer kleinen Öffnung am Ende des Ortes. Eine formlose dunkle Masse überlagerte den kargen Boden, der hier und da von einer schimmernden Feuchtigkeit überzogen war. Sie bewegte sich weg vom Licht, in die dunkle Leere hinein. Nur um ihn herum bildete sich ein unbefleckter Kreis, als würde eine magnetische Kraft die Masse von ihm fernhalten wollen. Konturen, oder gar das Ende des Ortes, konnte er nicht erkennen, doch er wusste, wo er sich befand. Das Loch der Öffnung atmete ein und aus und der entstandene Sog zerrte an seinen Lungen. Er war ruhig und konzentriert und kauerte auf allen vieren, den Blick nach vorne auf die Öffnung gerichtet, die sich scheinbar immer weiter entfernte und die Dunkelheit wachsen ließ. Der Luftzug war nun deutlicher zu hören. Erst ein Flüstern, dann ein bedrohliches Rauschen. Ein ... aus ... ein ... aus ... und je weiter sich die Öffnung entfernte, desto lauter wurden die Atemzüge, bis sie sich zuerst in ein bedrohliches Rauschen, dann in ein lautes Pochen verwandelten.

      LUKAS

      2

      Ein lautes Klopfen drang an Lukas’ Ohren und vermischte sich mit den düsteren Bildern seines Albtraumes. Er drehte sich mit halb geöffneten Augen auf die andere Seite, stöhnte leise, er war erledigt von der langen Nacht und dem vielen Alkohol, und versuchte, den Schlaf abzuschütteln.

      „Aus, jetzt!“, rief er, aber er war froh, dass die verwirrenden Nachbilder seines Traumes verschwanden und er sich wieder in der sicheren Realität seines Zimmers befand. Neben ihm lag Marina – verschmierter Kajal und verklebte Haare machten sie am Morgen nicht gerade sexy. Er strich über ihr Haar und stützte sich mit einem Seufzen auf seinen Ellenbogen, um sich von einer höheren Position aus einen besseren Überblick zu verschaffen.

      Klopf, klopf. – „Ist gut jetzt!“

      Es sah aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Eine abgewetzte Jeans lag quer über das untere Bettende ausgestreckt, ein T-Shirt hing daneben über dem Bettpfosten. Halbleere Bierflaschen standen auf der Fensterbank und auf dem Laptop lief in unbarmherziger Manier die Dauerschleife eines DVD-Menüs mit der nervtötenden Musik eines Intros. Offenbar hatten sie noch angefangen, eine Folge ihrer Lieblingsserie anzuschauen, ehe sie einschliefen.

      „Wie spät ist es?“, fragte Marina.

      Lukas streckte seinen Arm Richtung Boden und kramte unter einer Socke.

      „Halb eins schon!“

      Er band sich seine Fitnessuhr um und setzte sich auf.

      „War ganz schön lang heute Nacht.“

      Er drehte sich um und blinzelte zum Fenster.

      „Es schneit.“

      „Dann viel Spaß beim Gassigehen“, grinste sie.

      „Ach, Scheiße. Erst mal aufräumen.“

      Klopf, klopf, scharr, klopf.

      „Ich glaube, das sieht jemand anders“, sagte Marina.

      „Aus, jetzt!“

      Lukas stand auf und schlurfte zur Tür. Zu dem langsamen Klopfen gesellte sich ein schnelles Schlagen – die Rute eines fröhlichen Hundes, die im Viervierteltakt gegen die Tür schlug. Er öffnete seine Zimmertür und prompt stürmte Bella herein, sprang aufs Bett und drehte sich dreimal im Kreis, bevor sie sich hinlegte.

      Marina stöhnte. „Ich hasse diesen Hund.“

      „Tust du nicht“, grinste Lukas zurück.

      „Sie stinkt!“

      „DU stinkst!“

      Sie lachten beide, wobei sich Lukas schmerzverzerrt an den Kopf fasste, einen schwankenden Schritt tat und stöhnte.

      „Scheiß Kater!“

      „Sind die anderen noch da?“

      „Woher soll ich das wissen? Wahrscheinlich pennen die alle noch. Ich glaub’ kaum, dass sie schon angefangen haben aufzuräumen.“

      Ein schaler Geruch nach abgestandenem Bier und kaltem Zigarettenrauch drang herein.

      „Ich mach Bella mal eben was zu essen.“

      „Tu’ dir keinen Zwang an!“

      Nun stand auch Marina auf, zupfte an ihrem BH und bückte sich nach einem auf dem Boden liegenden T-Shirt.

      „Ich geh mal duschen.“

      „Tu’ dir keinen Zwang an!“

      Dieses kommunikative Ritual wurde beiden nie langweilig. Als Devise galt, sich lieber zu necken als in romantischen Floskeln zu versinken. Eigentlich waren sie eher Freunde als ein typisches Paar, aber was war schon typisch ...

      Lukas zog sich ein T-Shirt an und stapfte barfuß aus dem Zimmer. Bella ließ sich nicht zweimal auffordern, sprang mit einem Satz auf und folgte ihm mit einem Scheppern, als ihr Allerwertester eine auf dem Boden stehende Bierflasche umwarf.

      Das Bild, das sich ihm bot, war einer gelungenen Hausparty