Название | TREU |
---|---|
Автор произведения | Sven Hornscheidt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783750231382 |
Vielleicht war Lukas auch etwas neidisch auf ihn. Zumindest schien das Verhältnis zwischen ihnen nicht das Beste zu sein, aber woran das lag, konnte ihr niemand sagen. Auch Lukas’ Eltern wollten sich zu diesem Thema nicht äußern. Meistens wurde sie harsch abgewürgt oder auf ein „anderes Mal“ vertröstet, wenn sie es anschnitt. Also vermied sie es.
Vor der Badezimmertür wurde laut herumpalavert, dann rumpelte es und das quietschige Lachen von Jan war zu hören. Sie seufzte. So schön und entspannend war die Ruhe, die sie bis eben noch beim Duschen genießen konnte. Offenbar war die Meute draußen nun auch zum Leben erwacht und begann mit akustischen Lebenszeichen zu strotzen. Doch sie entschied sich, ihren Badezimmeraufenthalt noch etwas in die Länge zu ziehen. Sie bückte sich nach vorne und wrang mit beiden Händen ihr pechschwarzes langes Haar aus. Dann türmte sie sich ihre Haarpracht auf dem Kopf auf und griff nach einem Handtuch, das sie sich schon neben der Duschkabine zurechtgelegt hatte. Im Spiegel begutachtete sie ihren Turban und öffnete die Dose einer Körpercreme.
Das Dachfenster war beschlagen vom heißen Dampf und der Schnee knisterte leise, als er auf dem Glas seine Falltiefe erreichte.
„Aua, MANN!“, drang es vom Wohnraum herein. Dann Stöhnen und weiteres Gerumpel.
„MANN! ... ARSCHLOCH!“
Es klopfte an der Badezimmertür.
„Was ist denn da draußen los?“, fragte Marina, immer noch mit dem Eincremen beschäftigt.
„Ich bin’s, Lukas. Bin mal mit Bella draußen. Schmeiß die einfach raus, wenn es hier wieder einigermaßen aussieht.“
„Der Arsch hat mich geboxt!“, rief Jan kleinlaut hinter ihm.
„Ist okay“, antwortete Marina, „wenn ich nachher weg bin, sehen wir uns ja später.“
Moritz
5
Moritz wusste an diesem Morgen nichts mit sich anzufangen. Die schlechte Laune war zwar etwas verflogen, doch ein Motivationsschub zum Start des Tages ließ noch auf sich warten. Er schlurfte in sein Zimmer und setzte sich auf das Bett. Draußen schneite es schon den ganzen Morgen. Er knipste den Fernseher an und zappte durch die Programme, bis er ihn gelangweilt wieder ausschaltete. Auf seinem Schreibtisch türmten sich etliche Broschüren der Studienberatung, doch so richtig festlegen wollte er sich noch nicht. „Erst mal die Weihnachtsferien überstehen und danach die Zielgerade zum Abitur“ – so hatte er sich das vorgestellt, aber so weit wollte er noch gar nicht denken.
Abitur – und was danach? Lukas hatte sich vorgenommen, in Berlin zu studieren. „Ich weiß zwar noch nicht was, aber Hauptsache weg aus dem Kaff hier“, sagte er immer. Moritz wollte nicht, dass er wegzog, genauso wenig wie er wollte, dass sich überhaupt irgendetwas änderte. Er mochte seine momentane Situation zwar nicht, aber sie war immer noch besser als Veränderungen. Er hasste Veränderungen. Weihnachtsgeschenke hatte er noch keine besorgt, er wusste einfach nie, was er schenken sollte, genauso wenig wie er wusste, was er sich wünschte. Einen Herzenswunsch gab es natürlich, doch selbst das bittende Flüstern zu einem Gott, an den er nicht glaubte, brachte keine kleinen Wunder hervor. ‚Jeder ist seines Glückes Schmied‘ thronte in von seiner Mutter gestickten Lettern eingerahmt an der Wand über der Haustür. Welch eine Ironie. Am liebsten würde er es abreißen und in die Mülltonne werfen, doch die anderen Sprüche, die in gestickter Weise im ganzen Haus verteilt waren, waren auch nicht wirklich besser.
Er warf seinen Kopf nach hinten auf sein Kopfkissen und starrte die Decke an. Kaum sichtbare Schatten, die von den Schneeflocken vor dem Fenster an die Zimmerdecke geworfen wurden, verwandelten das spärliche Tageslicht in ein graues Flimmern. Moritz schloss seine Augen.
Das Telefon klingelte.
Er schreckte aus seinem Tagtraum auf und tastete hektisch um sich.
„Ach ...“, murmelte er, als er begriffen hatte, dass das Klingeln nicht von seinem Smartphone kam, sondern vom Haustelefon im Erdgeschoss. Das konnten nur seine Eltern sein, die sich aus dem Urlaub meldeten und vergewissern wollten, ob alles in Ordnung sei.
Moritz verdrehte die Augen und stürmte die Treppen hinunter.
Das kurze Gespräch mit seiner Mutter verlief, wie erwartet. Mit kurzen „Jas“, „Okays“, „Ist guts“ und weiteren Einsilbigkeiten quittierte er ihre Fragen, die sich für ihn oft so anhörten wie die Checkliste eines übereifrigen Feldwebels, der seine Rekruten danach fragte, ob all ihre Ausrüstungsgegenstände im Gepäck verstaut waren, bevor sie in den Kampf zogen.
Nachdem er aufgelegt hatte, schloss er die Haustür auf und tastete mit seinen dünnen Armen durch den Schlitz des Briefkastens, der an der Außenwand neben der Eingangstür hing. Er war leer, die Tageszeitung hatten seine Eltern vorsorglich für die Dauer des Urlaubs abbestellt.
Sein Blick fiel auf die Stickerei über der Haustür. Er schüttelte den Kopf und schlenderte zur Fensterbank, um die Blumen zu gießen.
Er zog die Rollladen hoch und ging in die Küche. Als er den Kühlschrank öffnete, bot sich ihm gähnende Leere. Er nahm einen angebrochenen Tetrapack Milch heraus und stellte ihn auf die Arbeitsfläche. In einer Schublade fand er die Einzelteile eines Espressokochers für die Herdplatte. Er füllte den unteren Teil des kleinen Kännchens mit Wasser, vervollständigte das Ritual mit zwei Löffeln Espressopulver im Siebaufsatz und schraubte das kleine Edelstahlwunder zusammen. Es war Wochenende und die Bäckereien, die jetzt noch geöffnet waren, erschienen ihm zu weit weg, zumal er das Auto bei diesem Wetter lieber stehen lassen würde. Also fiel das Frühstück heute wohl eher karg aus. Ein Stück Käse und ein trockenes Croissant von gestern mussten reichen.
Der Espressokocher begann zu zischen.
Er goss etwas Milch in eine Tasse, auf der ein Einhorn abgebildet war. Mit verschnörkelten Buchstaben stand darauf All you need is trust and a bit of pixie dust. Seine Mutter hatte diese Tasse in irgendeinem Kitschladen erstanden, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, was Moritz wohl von diesem klischeebelasteten Motiv halten würde.
Sie wusste es nicht besser – wie auch? Trotzdem mochte Moritz diese Tasse. Nicht so sehr wegen des Motivs, sondern wegen der Selbstverständlichkeit, mit der er sie benutzte. Vielleicht etwas trotzig, vielleicht war es auch dem Wunsch geschuldet, normal und unbefangen mit seinen eigenen Gefühlen umgehen zu können.
Die Kanne begann zu pfeifen.
Mit einem Finger verrührte er Milch und Kaffee und trank in einem Zug aus. Dann ging er noch einmal nach oben ins Bad, um sich sein Smartphone zu schnappen, knipste alle Lichter aus und trottete wieder die Treppenstufen hinunter.
In der offenen Haustür stehend, beobachtete Moritz die Flocken, die langsam hinabrieselten. Die Straße, in der er mit seinen Eltern lebte, war in klinisches Weiß getaucht. Er liebte diesen Anblick, nur gab es leider nicht mehr so viel Schnee wie früher, als er noch klein war. Hinter dem Haus gab es einen kleinen Berg, wo im Sommer Schafe grasten. Vor ein paar Jahren rasten sie dort immer mit dem Schlitten herunter, sobald der erste Schnee lag. Der Maschendrahtzaun am unteren Ende des Hanges war noch immer von ihren Einschlägen ramponiert und thronte wie ein Mahnmal einer sorglosen Kindheit der Zeit entgegen. Das hatten sie Jahre nicht mehr gemacht und wahrscheinlich waren sie nun auch zu alt dafür. Oder ihnen erschien der unbefangene Spaß auf dem Holzschlitten einfach zu kindisch. Moritz vermisste das sehr. Wie die Zeit alles veränderte ...
Er fröstelte und schob seine Hände tief in die Taschen seiner Jeans. Dann drehte er sich noch einmal um, nahm eine daunengefütterte Jacke von der Garderobe und setzte sich eine schwarze Strickmütze auf. Er schloss die Tür hinter sich zweimal ab, prüfte noch einmal am Türgriff, ob sie auch wirklich verschlossen war und ging die Stufen hinauf zum Bürgersteig, der von zu vielen Autos zugeparkt war.
Ein Adrenalinstoß flutete seinen Körper, als sein Blick auf sein Auto fiel. Jemand hatte auf der Windschutzscheibe des VW Polo ein kleines Kunstwerk hinterlassen. Schmierig war im Schnee ein großer Penis aufgemalt, aus dessen rudimentär gezeichneter