Название | TREU |
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Автор произведения | Sven Hornscheidt |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783750231382 |
„Bella, aus!“
Lukas verzog das Gesicht. Die feuchten Hundeküsse mochte er noch nie, außerdem brannte es noch ein wenig. Und die keimstrotzende Hundezunge wünschte er sich momentan lieber im Maul ihrer kleinen Besitzerin.
„Wieso siehst du so ramponiert aus? Wolltest du auch mal die Brennnesseln ausprobieren?“, fragte Jakob grinsend.
„Es waren keine mehr da.“
Lukas wollte nicht über seinen Sturz reden und markierte den Tapferen.
„Kannst du mir gleich helfen, das Rad zu reparieren?“, fragte er.
Darauf hatte Jakob gewartet. Er hasste Werkzeug, es sei denn, es hatte an seiner Spitze eine tintengetränkte Feder.
„Das schaffst du schon alleine. Was ist denn passiert?“
„Nichts ist passiert, nun nerv nicht rum!“
Jakob schmollte.
„Na gut, ich frage ja schon gar nicht mehr. Halina hat Kuchen gebacken. Ist aber irgendwie etwas pappig geworden. Also, falls du deinen geschundenen Körper stärken willst?“ Wieder grinste er hämisch.
Halina war ihre Tagesmutter, doch immer, wenn sie über sie sprachen, nannten sie sie eigentlich nur „die Tagesmutter“. Sie mochten sie, in ihrem polnischen Mamuschka-Charme sorgte sie sich sehr um „ihre Jungs“, wie sie sie immer nannte. Doch sie übertrieb es auch oft mit ihrer Fürsorge, wenn sie mal wieder auf die Idee kam, Gesellschaftsspiele zu spielen oder bei ihren Schulaufgaben helfen zu wollen, was Jakob und Lukas stets mit fadenscheinigen Ausreden ablehnten. Ohnehin wäre ihre schulische Leistung dadurch zweifellos nicht gerade gefördert worden, wenn sie mit „kurwa!“ und einem Kratzen am Hinterkopf versuchte, auch nur ein Wort von dem zu verstehen, was in ihren Schulbüchern stand.
Oft machten sie sich einen Spaß daraus, sie mit den kompliziertesten Aufgaben zu malträtieren, auch wenn sie sie schon längst gelöst hatten. Aber immerhin war Halina dann für eine Weile beschäftigt, ehe sie fluchend aufgab und sich tausendmal entschuldigte, weil sie nicht helfen konnte und nicht verstand, wie ein gottloser Lehrer solch unlösbaren Probleme einforderte.
Jakob war sie besonders zugetan. Offenbar hatte sie ein Herz für Underdogs. Jakob genoss seine Rolle, auch wenn er es nicht zugeben wollte.
Bella hatte sich nach diesem Wortwechsel wieder etwas beruhigt. Ihr Blick ging immer zwischen den beiden hin und her und manchmal legte sie ihren Kopf auf die Seite, als würde sie genau zuhören, was sie besprachen. Ihr Blick fiel auf einen gelben Tennisball, der in der Ecke des Eingangsbereiches lag. Sie ließ sich nicht zweimal bitten und tapste in seine Richtung.
Jakob stürmte wieder die Treppe hinauf – „Bin oben!“ – und ließ Lukas, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, stehen. Nach unten blickend sah Lukas nun in zwei leuchtende Hundeaugen, unter denen ein versabberter Ball in spitzen Welpenzähnen gefangen war. Er tätschelte ihren Kopf. „Jetzt nicht, Bella“, sagte er leise und zog sich seine Schuhe aus.
Im ersten Stock angekommen, humpelte er auf die Küche zu. Auf dem schwarzen Granitboden war es immer sehr angenehm barfuß zu laufen. Nur die vielen Hundehaare, die sich an den Fußsohlen sammelten, schmälerten dieses haptische Erlebnis. Er nahm sich ein Stück Marmorkuchen von der Arbeitsplatte und begann, über die Ereignisse im Wald zu sinnieren.
Er wunderte sich über sich selbst, weil er es eigentlich gar nicht kannte, sich aus der Fassung bringen zu lassen. Ängstlich war er eigentlich nie.
Bestimmt irgendein Spaziergänger, dachte er, doch ganz abhaken konnte er das Thema noch nicht. Er nahm sich einen Tetrapack Milch aus dem Kühlschrank und trank ein paar Schluck direkt aus der Verpackung. Dann ging er nach oben, wo Jakob mit einer Zeitschrift über Geologie auf der Couch lag und darin schmökerte.
„Was stimmt nur nicht mit dir?“, fragte Lukas seinen Bruder, mit einem ironischen Unterton.
„Meinst du, man findet im Kraterwald noch mehr Fossilien?“, fragte Jakob, der die Sticheleien gekonnt ignorierte. Sein Blick fiel imaginär durch die Zimmerwand auf sein Regal, auf dem schon einige Funde seiner Ausflüge thronten.
„Und was willst du mit dem Kram?“ Lukas verstand nicht, was Jakob an diesen Steinen fand, doch er bekam umgehend ein schlechtes Gewissen. Er sollte etwas netter zu seinem Bruder sein.
„Vielleicht gehen wir mal zusammen in den Steinbruch. Da finden wir bestimmt jede Menge davon.“
Jakobs Augen begannen zu leuchten.
„Kommt man da denn rein?“, fragte er.
„Klar, da ist doch nur ein Zaun.“
„Cool, das machen wir!“
Und wieder war ihr brüderliches Verhältnis im Lot. Manchmal war es wirklich einfach, Jakob für sich zu gewinnen. Obwohl sie fast gleich alt waren, fühlte Lukas sich verantwortlich für ihn und nahm sich selber immer als der Große Bruder wahr, was auch gut funktionierte.
Lukas setzte sich neben ihn auf die Couch und tat so, als würde er interessiert in Jakobs Zeitschrift schauen. Doch all die Bilder und Überschriften langweilten ihn ziemlich schnell.
„Ich glaube, ich geh mal duschen“, sagte er und knetete vorsichtig seine ramponierte Kniescheibe.
Ohne Vorwarnung umarmte Jakob ihn und widmete sich wieder seiner Zeitschrift.
Jakob – damals
9
Jakob war versunken in seine Umgebung. Er hockte in kurzer Hose, halbhohen Converse und mit Ohrstöpseln in den Ohren auf dem Boden eines Kraters. Aus seinem MP3-Player dröhnte „Geile Zeit“ und er zog mit beiden Händen schmalbrüchige Steinplatten aus der Wand vor sich, um sie dann zu begutachten. Jedes Mal bröckelte ein bisschen Schutt dabei herunter und fiel knisternd auf einen kleinen Haufen, der sich schon vor ihm gebildet hatte. Seine Hände waren ganz weiß vom Gesteinsstaub und neben ihm türmte sich eine kleine Auswahl an Brocken auf, die er sich später noch näher anschauen wollte. Sein bunter Rucksack war in der Ecke an einen hervorstehenden Felsen angelehnt und eine kleine PET-Flasche Cola stand direkt daneben auf dem Boden zwischen Baumwurzeln und Grasbüscheln. Ein kleiner Plüschanhänger mit einem braunen Hund – es sollte wahrscheinlich so etwas wie einen Schäferhund darstellen – baumelte per Karabinerhaken an der oberen Trageschlaufe und spielte mit einer kindlichen Anmutung. Bella lag neben Jakob in einem kleinen, flimmernden Sonnenfleck, der sich durch das wabernde Blätterdach auf dem Grund abmalte.
Launischer Wind spielte mit den Baumkronen und sie schwankten leicht hin und her. Sehr zum Leidwesen von Bella, die hin und wieder eine Korrektur ihrer Liegeposition vornehmen musste, um ganz von der Sonne angestrahlt zu werden. Dabei genoss sie, wie sich ihr schwarzes Fell aufheizte, denn heute war es sogar ausgesprochen kühl für einen Tag im späten August. Ab und zu schloss sie ihre Augen und döste vor sich hin. Nur das Klacken der Steine, die Jakob in regelmäßigen Abständen auf seinen kleinen Haufen warf, ließ kurz ihre aufmerksamen Ohren zucken.
Jakob kramte in der Seitentasche seines Kapuzenpullis, um den Next Button seines Players zu betätigen. Die Playlist, die Max ihm kopiert hatte, war so gar nicht nach seinem Geschmack, er musste morgen unbedingt daran denken, Lukas nach anderer Musik zu fragen. Dieses Zeug, das den ganzen Tag im Radio lief, interessierte ihn nicht.
In seinen Ohren begann mit einem dreckigen Lachen der Beat zu Gorillaz’ „Feel Good Inc.“. Okay, damit war er einverstanden. Vielleicht gab er der Musik auf seinem Player noch eine letzte Chance.
Seinen Zehenspitzen begannen zu kribbeln und dieses Gefühl strahlte bis in seine Waden aus. Er vergaß schnell die Zeit, wenn er konzentriert seinen Dingen nachging. Er stellte sich hin und schüttelte kurz seine Beine aus. Sie waren eingeschlafen. Tausende kleiner Ameisen krabbelten in seinen unteren Extremitäten umher und es dauerte eine Weile,