Название | Die Brüder von Nazareth |
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Автор произведения | Andreas Flamme |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783903382084 |
„David besiegte Goliath mit einer solchen Schleuder und wir sind die Nachkommen seines Geschlechts. So sagte unser Vater“, meinte er stolz mit leuchtenden Augen.
Der schwächere von beiden, doch um zwei Köpfe größere Junge, empfand keinerlei Ärger über seine Misserfolge – im Gegenteil. Er war ruhig und irgendwie abwesend. „Nicht die Steinschleuder brachte Goliath um, sondern die Kraft des Geistes von David.“
„Und die Steinschleuder, etwas musste ja den Stein werfen und den Kopf Goliaths treffen“, ließ sein Bruder nicht locker.
Die Jungen hörten nicht auf, zu schwatzen und alles zu kommentieren, was ihnen unter die Augen kam. Es waren die zwei Söhne des Josef – Jakobus, der zum ersten Mal mitkam, und der größere Jeschua, der schon einmal in der Heiligen Stadt war. Sie waren beide aufgeregt und fröhlich, griffen sogar selten zu den Wasserbehältern im Leiterwagen.
Allmählich veränderte sich die öde Landschaft. Öfter stießen sie auf Schaf- oder Ziegenherden, lichte Zimt- und Olivenhaine waren zu sehen. Die Luft war schon nicht mehr so glühend heiß, wenn sie durch die Nasenflügel strich. Als ob sie von einem leichten Windhauch Feuchtigkeit mitführte, der aus dem Westen kam – dort, wo der rote Diskus der Sonne hing, dort, wo die Wogen des uferlosen Meeres rauschten.
Unversehens führte der Weg in ein breites Tal. Der Esel hielt inne und stieß müde mit den Hufen in den Staub. Vor ihm stand Josef, seine beiden Söhne umarmend, die vor Staunen verstummten.
Im entfernten Tal erschien wie eine Fata Morgana eine von den Sonnenstrahlen leuchtende wunderbare Stadt. Sie war ganz von hohen Steinmauern schützend umgeben. Vor ihnen wimmelte es von Menschen, die aussahen wie Ameisen. Innen waren Gebäude zu sehen, doch eines überragte alle und berauschte das Auge mit seinem Glanz und seiner Schönheit. Es stand auf einem Hügel, der so weiß war, als wäre er mit Schnee bedeckt, und die Sonnenstrahlen spiegelten mit einer solchen Kraft die goldenen Flächen wider, sodass ein jeder die Augen abwandte, um nicht zu erblinden.
„Jerusalem!“, rief Jakobus aus und streckte seine Hand zur Stadt.
„Das Heilige Gotteshaus!“, konnte sich Jeschua nicht enthalten.
4
Der Markt war voller Menschen. Er befand sich am Fuße der westlichen Tempelmauer. Die Händler boten lauthals ihre Ware feil, einige liefen sogar auf die Hauptstraße und luden die besser gekleideten Passanten ein, ihre Läden zu besuchen. Alles, was man sich nur vorstellen konnte, wurde angeboten.
Olivenöl von den Olivenhainen um Jerusalem, Wolle aus Judäa, Leinenstoffe aus Galiläa, Getreide aus Ägypten, getrocknete Feigen aus Zypern, Weihrauch, Zimt, Zimtkassie und andere Gewürze aus Arabien, Vögel, Lämmer, Eier, Obst und Gemüse, auch Wasserhändler gab es.
Selbst goldener und silberner Schmuck, Glasgefäße aus Sidon, Purpurfarbe aus Tyros wurden verkauft, obwohl kaum reiche Bewohner und Gäste der Stadt in der Menge auszumachen waren, die den Markt wie ein wasserführender Fluss am unteren Teil der Stadt überschwemmte.
Die Obersten, die Priester und die Beamten am Hofe und Tempel wohnten im oberen Stadtteil und ließen sich selten unter dem einfachen Volk sehen. Sie hatten ihren eigenen Markt.
Der Esel zog brav den Leiterwagen, ohne sich um das Menschengewühl drumherum zu kümmern. Ihn beschäftigten allein die Fliegen, die ihn störten. Um sie zu vertreiben, wedelte er erregt mit den langen Ohren, schüttelte den Kopf und schlug von Zeit zu Zeit mit dem Schwanz.
Der Weg war eben, mit großen Steinplatten belegt. Die Räder des Leiterwagens klapperten monoton darüber und ihr Lärm ging in dem übrigen Getöse unter.
Josef zog an dem Strick, der dem Esel um den Hals gebunden war. Das Tier gehorchte seinem Herrn und blieb stehen. Der Mann drehte sich um. „Kommt mal!“, rief er den Jungen zu, die hinter dem Wagen gingen.
„Warum haben wir angehalten?“, fragte Jeschua.
„Nimm mal die Zügel und halte den Esel an der Stelle.“
„Vater, sind wir angekommen?“, fragte Jakobus.
„Noch nicht“, meinte der Mann und reichte dem größeren Jungen die Zügel. „Ich muss dem Marktverwalter Zoll bezahlen und dann wird er uns sagen, wo wir den Wagen abladen können.“
Die Jungen stellten sich zu beiden Seiten des Esels, der mit dem Fuß auf das Steinpflaster stampfte, und folgten dem Blick ihres Vaters, der sie zu einem reich gekleideten Mann geleitete.
Dieser saß an einem Tisch, an dessen Seiten zwei Wächter standen. In der Hand hielt er einen Fächer, mit dem er eher die Fliegen verscheuchte, statt Kühlung zu fächeln.
Josef ging auf den Tisch zu und verbeugte sich. Der Verwalter legte den Fächer beiseite, schaute ihn an und richtete seinen Blick auf den Leiterwagen mit dem Esel. Noch ein Bauer, der hoffte, seine Ware während der Feiertage loszuwerden. Dieser war ein Tischler.
„Zwei Denare12“, sagte der Verwalter.
Josef zog den ledernen Beutel hervor, der unter seiner Kleidung auf dem Rücken gebunden war, öffnete ihn, nahm zwei Moneten heraus und legte sie auf den Tisch. Der Mann hinter dem Tische nahm sie mit seinen fleischigen Fingern und warf sie in eine Holztruhe, die rechts von ihm neben dem Tisch angebracht war.
„Einer meiner Aufpasser wird dir den Weg zeigen“, fügte er hinzu und schnipste mit den Fingern, nahm seinen Fächer wieder und wedelte damit vor seinem Gesicht.
Josef verbeugte sich noch einmal und ging zu seinem Wagen. Ihm folgte ein kleiner untersetzter Mann mit strammen Beinen und Ledersandalen.
Die Buden reihten sich in einer nicht enden wollenden Schlange aneinander. Wiederum trabten die Knaben hinter dem Wagen einher. Sie hielten ihre Augen offen, schauten aufmerksam einmal nach dieser und einmal nach der anderen Seite des Weges. Selten konnten sie so viele fremde Menschen auf einem Platz sehen. Sie waren schon mit ihrem Vater zum Verkauf von Möbeln in Sepphoris gewesen, bevor es zerstört wurde, doch nichts konnte dem Vergleich mit Jerusalem standhalten.
Das hier war die Stadt der Städte.
Wiederum hielt der Leiterwagen. Die Knaben schauten auf ihren Vater. Der Mann, der sie führte, zeigte nach vorn und Josef nickte verständig. Der Platzanweiser drehte sich um und ging in entgegengesetzter Richtung zurück.
Die Stelle zum Abladen war sehr nahe. Im Umkreis waren ebenfalls Möbel und Holzgegenstände zum Verkauf angeordnet. Jeder Händler hatte auf dem Markt einen ganz bestimmten Platz, je nachdem, welche Ware er verkaufte.
Josef hielt den Esel an, den Wagen nach hinten zu schieben, damit dieser auf dem Weg nicht störte. Er schirrte ihn ab, führte ihn nach hinten und band ihn erneut an, nahm ihm den Sack mit dem Körnerfutter ab und lud gemeinsam mit den Jungen die Möbel ab, ordnete sie vor dem Leiterwagen an, sodass jeder der Passanten sie leicht bemerkte.
Die Möbel allein waren nichts Besonderes; einfach, doch stabil und praktisch. Die Stuhllehnen allerdings waren geschnitzt. Die Hand von Josef hatte Blätter, Zweige und Gräser hineingeschnitzt.
„Passt auf die Ware auf!“, wandte er sich an die Knaben.
„Wohin gehst du?“, fragte ihn Jakobus.
„Ich werde mich mal bei den anderen Händlern umschauen, um sie zu begrüßen und sie zu befragen, ob sie schon etwas verkauft haben.“
Die Jungen blickten dem Vater nach, bis er anhielt und mit irgendeinem Mann ins Gespräch kam. Sie setzten sich auf zwei der Stühle und schauten auf die Hauptstraße.
„Guck mal! Dort!“, rief Jeschua aus und hob die Hand.
Jakobus folgte der Richtung.
Auf einer viereckigen Steinplatte stand eine Frau. Um ihren Hals war ein Seil gebunden, das ihren Körper entlang hinunterhing. Das Seilende hielt ein Mann, der mit der anderen Hand die Menschen auf der Straße aufforderte, stehen zu bleiben und die Frau zu