Название | Die Brüder von Nazareth |
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Автор произведения | Andreas Flamme |
Жанр | Языкознание |
Серия | |
Издательство | Языкознание |
Год выпуска | 0 |
isbn | 9783903382084 |
Nikodemus verlangsamte erst dann seinen Schritt, als er den länglichen Stein bemerkte, auf dem man die Sklaven zum Kauf feilbot. Im Inneren hörte er sein Herz stark klopfen. Unterwegs hatte er sich gewundert, warum Joseph ihm einen solch eigenartigen Auftrag erteilt hatte, doch war er ihm hörig und er wusste, dass es etwas Wichtiges war, sonst hätte er einen anderen Diener des Handelskantors damit beauftragt und nicht ihn.
Um den Stein stand ein Haufen Menschen herum, aber niemand beachtete die entblößte, auf dem Stein stehende Sklavin. Alle horchten gebannt auf das in Griechisch geführte Gespräch zwischen zwei Personen in reicher Kleidung.
Einer hatte eine Glatze und trug eine dunkelgelbe Toga. Aufgeregt erklärte er ununterbrochen gestikulierend etwas mit der linken Hand. Seine rechte war damit beschäftigt, den um den Hals der Sklavin gebundenen Strick zu halten. Neben dem ihm zuhörenden dicken Mann standen zwei starke Männer mit Schlagstöcken.
Nikodemus hatte ihn sofort erkannt. Es war der Verwalter des Marktes. Ein schlauer und neidischer Mann, dessen Gier keine Grenzen kannte. Der junge Mann bahnte sich einen Weg zu ihm. „Was geht hier vor?“, fragte einer aus der Menge leise.
Bevor er dessen Neugier stillte, sah er diesen verdächtig an. „Der Sklavenhändler ist über einen zerlumpten Knirps wütend, der ihm die Sklavin abkaufen wollte. Er meint, das Kind wäre wahrhaftig der Sohn eines Aufständischen, der ihn das gelehrt hätte, und verlangte, dass der Verwalter sofort Maßnahmen ergriff.“
„Und wo ist das Kind?“
„Irgendein Wichtigtuer stellte sich als Mitglied der Sanhedrin vor, ergriff ihn und führte ihn fort. Gut, dass er das getan hat, da ich mir nicht hätte vorstellen können, was hätte geschehen können“, flüsterte der Mann.
Nikodemus dankte mit einem Kopfnicken und konzentrierte sich auf das Gespräch.
„Sie müssen das der Obrigkeit melden. In kurzer Zeit ist Passah und alle möglichen Räuber treiben sich hier herum. Da kann doch einem die Idee kommen, sich als Messias auszugeben“, meinte mit ernster Miene ein Händler.
„Was ist denn schon passiert? Eine Rotznase von Bauer hat sich einen Spaß gemacht. Und den hat doch gerade ein Mitglied des Sanhedrin aufgegriffen“, entgegnete der Verwalter feindselig.
Er hatte noch immer Wut, dass er den angenehmen Schatten hatte verlassen und den Weg hierher machen müssen, um sich das Geschwätz dieses Sklavenhändlers anzuhören. Und obendrein war er kein Jude. Das aber verlangte sein Dienst. Außer die Markttaxen einzunehmen, hatte er auch auf die Einhaltung der Regeln zu achten – besonders, wenn wichtige Feiertage anstanden. Jedwede Störung musste vermieden werden, sonst würde er seinen Posten verlieren, auf den manch anderer sehr scharf war.
„Da hat sich einer einen Spaß gemacht! Denken Sie das so? Ein zerlumpter Bauernjunge treibt seinen Spaß mit mir, einem angesehenen Kaufmann wie mir? Nein, nein, mit mir können sie das nicht machen. Ich sage Ihnen, jemand hat ihm das beigebracht. Jemand, der vor diesen wichtigen Feiertagen Unzufriedenheit und Hass unter den Leuten schüren will. Wenn Sie keine Maßnahmen ergreifen, werde ich mich an jemand anderes wenden …“
„Gut, gut“, fand sich der Verwalter damit ab.
Der Händler bestand darauf und auch viele Leute hatten gehört, was passiert war. Die Sache hätte sofort ins Gespräch und in unerwünschte Ohren kommen können.
„Ich werde die Tempelwache informieren. Hat jemand wenigstens gesehen, mit wem der Junge hier war?“
„Mit einem Tischler, sie hatten einen Leiterwagen mit einem Esel.“
Der Verwalter runzelte seine dichten Augenbrauen, suchte in seinem Gedächtnis und erinnerte sich sofort an den Bauern, der seine zwei Denare gezahlt hatte, damit er seine Ware auf dem Markt verkaufen konnte. „Und das Mitglied des Sanhedrin, hat er sich vorgestellt?“
„Nein, ich habe vergessen, nach seinem Namen zu fragen. Aber es war kein alter Mann, er sprach ausgezeichnet Griechisch.“
„Gut, wie ich schon gesagt habe, ich werde die Tempelwache informieren.“ Der Verwalter drehte sich um und rief seine Wächter, die miteinander zu sprechen begannen, doch Nikodemus konnte sie nicht mehr hören.
Er hatte genug erfahren. Ihm war klar, wer dieses Mitglied des Sanhedrin war, der den Bauernjungen geschnappt hatte. Doch zweifelsohne würde auch der Verwalter in Kürze dessen Namen herausfinden. Er hatte Augen und Ohren in jedem Winkel vom Markt.
Er wusste, was er zu tun hatte.
6
Galiläa war nach der Niederschlagung des Aufstands von Judas nicht mehr dasselbe. Das Echo der Unruhen lag noch in der Luft. Alle hatten sich dadurch gerettet, dass sie weggelaufen waren. Auch die Familien der Aufständischen flüchteten, denn auch sie erwartete der Tod. Rom war nicht geneigt, jemandem zu vergeben, besonders denjenigen nicht, die es gewagt hatten, gegen die Machthabenden Roms die Hand zu erheben.
Auch die Familie von Judas war genötigt, Rettung zu suchen. Der Schriftgelehrte Zadok sorgte dafür, dass sie weit weggeführt wurden, damit niemand sie ausfindig machen konnte. Nirgendwo in den römischen Provinzen war für sie ein sicherer Platz. Weder in Judäa noch in Syrien oder Ägypten …
Zadok wollte kein Risiko eingehen, die Nachkommen, die Söhne des Aufständischen Judas zu verlieren. Eines Tages sollten sie die Sache ihres Vaters fortsetzen. Deshalb schickte er sie nach Osten, außerhalb der Reichweite des Flusses Jordan zu den Beduinen. Dort wären sie in Sicherheit, bis sie heranwuchsen.
Aber für sich selbst hatte er überhaupt keine Bedenken. Sehr wenig Leute kannten ihn persönlich und wussten, wer er ist und welche Rolle er in der Widerstandsbewegung spielte. Fast alle waren schon tot, die wenigen Lebenden waren bereit, ihr Leben zu opfern, um ihn zu schützen. Für sie war er der Gerechte, jener, der den Weg betrat und auch die anderen überzeugte, ihn mit derselben Hartnäckigkeit und Hingabe zu gehen.
Zadok hatte sich in ein kleines Dorf in der Nähe von Jericho und dem Ufer des Asphaltsees13 zurückgezogen. Es war das Gebiet der ehemaligen Thora14 oder Essener, oder eher jener Essener, die sich mit dem Geschehen im Tempel nicht abfinden konnten. Sie waren vor der Verderbtheit in der hohen Geistlichkeit geflohen, die nicht in Einklang mit dem Gesetz des Moses stand. Sie lehnten die Annahme und Weiterreichen der Opfergabe zu Ehren der Fremden ab, die ihr Land besetzt hatten, oder der Bunten, wie man sie hier nannte.
Die Menschen lebten in Gemeinden, sie teilten alles miteinander, was sie besaßen, arbeiteten gemeinsam, hielten die alten Traditionen zur Reinhaltung ein, kümmerten sich hingebungsvoll um Alte und Kranke, als ob es Brüder wären. Die Geweihten befassten sich mit dem Lesen, dem Abschreiben und der Auslegung der Heiligen Bücher. Sie ehrten gewissenhaft und ehrfurchtsvoll den siebenten Tag, die siebente Woche, den siebenten Monat und das siebente Jahr.
Es waren keine Aufständischen. Deshalb ließ man sie in Ruhe. Sie waren keine Bedrohung, solange sie weit vom Tempel blieben. Außerdem waren die Herrschenden den dort Lebenden wohlgesinnt, da diese sich mit der Herstellung von Opobalsam beschäftigten. Dieses wurde von allen Parfüms wegen seines göttlichen Aromas bevorzugt und in den Städten des Imperiums zu hohen Preisen verkauft.
Hier verfügte Zadok über viel Zeit zum Nachdenken und Beten. Er versuchte, sich zu erklären, warum sich Gott von seinem Volk abgewendet hatte, warum er sie auf solch grausame Art bestrafte, warum jeder Aufstand gegen die Fremden mit Elend endete.
Ist nicht von David verkündet worden, dass dieses Land auf immer und ewig den Juden gehöre? So sagt das Testament zwischen dem Allmächtigen und seinem auserwählten Volk. Weshalb hat dann Gott zugelassen, dass es von Fremden zertreten würde?
Galt das Testament noch oder nicht?
Jeremia15 sprach von einem neuen Herzen und einem neuen Geist, von einem neuen Testament, das Judäa und Israel im kommenden Jahrtausend gegeben würde. Ein neues Testament, das zum Reich